Ipf- und Jagst-Zeitung

Plastikfla­schen werden zu Pflasterst­einen

Upcycling in Nairobi – Eine junge Unternehme­rin in Kenia verarbeite­t Plastikmül­l zu Baustoff

- Von Christiane Flechtner

Es qualmt und dampft, der dunkle kleine Raum ist erfüllt vom Lärm der Maschine, die an der Vorderseit­e ausspuckt, was der 30-jährige Ochieng an der Rückseite in einen Trichter hineinkipp­t. Der Kenianer ist voll bei der Sache. Das von ihm ausgeschüt­tete Gemisch aus kleingeras­pelten Plastiktei­lchen und Sand verschwind­et in dem dröhnenden Koloss und verwandelt sich darin bei Temperatur­en bis zu 400 Grad Celsius zu einer heißen zähen Masse. Diese wird anschließe­nd in einer Presse mit immenser Kraft in Form gepresst. „Upcycling“ist das Zauberwort, das wohl am besten beschreibt, was in dieser kleinen Werkstatt namens

Gjenge Makers im Industriev­iertel von Nairobi vor sich geht. Denn hier in einem Hinterhof an der Enterprise Road werden Pflasterst­eine aus Plastikabf­ällen hergestell­t.

Plastikmül­l gibt es hier – wie auch in anderen Ländern dieser Welt – reichlich. Mittlerwei­le sind Kleinstpar­tikel von Kunststoff auch in den entlegenst­en Ecken der Erde zu finden und bereits in der Nahrungske­tte des Menschen angekommen. Vor allem in Ländern, in denen es weder eine regelmäßig­e Müllabfuhr noch Mülltrennu­ng gibt, werden die Plastikber­ge zum Problem. In Kenia wurden aus diesem Grund 2017 strengere Regeln für die Herstellun­g, Nutzung und Einfuhr von Kunststoff­en in Kraft gesetzt. So sind beispielsw­eise Plastiktüt­en seitdem verboten.

Dennoch fallen allein in Kenias Hauptstadt mit ihren 4,4 Millionen Einwohnern täglich rund 500 Tonnen

Kunststoff­müll an, und dieser landet entweder in der Umwelt oder in Dandora, der größten Müllkippe des Landes. Die Müllberge wachsen exponentie­ll weiter an, denn Kenia ist eines der Länder mit dem größten Bevölkerun­gswachstum. Von 1960 bis 2017 stieg die Zahl von 8,1 Millionen auf 49,7 Millionen Einwohner – ein Anstieg um ganze 513 Prozent in 57 Jahren. Mittlerwei­le leben mehr als 52 Millionen Menschen im ostafrikan­ischen Land, und in den nächsten 25 Jahren soll sich die Zahl noch verdoppeln.

„Wir müssen also etwas für unsere Umwelt tun und nachhaltig­er leben, sonst ersticken wir hier irgendwann im Müll“, erklärt Nzambi Matee, Gründerin des kleinen Unternehme­ns. Für sie ist der Kunststoff, der auf den großen Müllhalden landet, auch keinesfall­s Abfall, sondern ein kostbarer Rohstoff. „Ich bin in Nairobi geboren und aufgewachs­en“, sagt die 29Jährige. „Aber nicht nur hier, auch an der Küste liegt viel Plastik herum. Es gelangt ins Meer und verschmutz­t die Strände. Ich habe Werkstoffk­unde studiert, und durch dieses Wissen reifte schnell die Idee, diesen Plastikmül­l in etwas Sinnvolles zu verwandeln – und damit möglicherw­eise sogar noch Geld zu verdienen.“

Es dauerte nicht lange, und Nzambi eröffnete ihr eigenes kleines Unternehme­n. Der Name „Gjenge“bedeutet soviel wie „selbst aufbauen“. „2017 haben wir den ersten Stein gefertigt und immer weiter daran gefeilt und verbessert“, erinnert sie sich. Dann hat die engagierte Kenianerin die Steine zu Baustellen gebracht und sie von Bauarbeite­rn testen lassen. „Ein Jahr lang haben wir

Nzambi Matee, Gründerin des kleinen Unternehme­ns Gjenge Makers in Nairobi

Die neuen Ziegel: Firmengrün­derin Nzambi Matee und ihre Angestellt­en sind stolz auf ihre Produkte.

Meine Hoffnung ist, dass Menschen Plastik nicht mehr einfach wegwerfen oder verbrennen, weil sie wissen, dass sie damit Geld verdienen können.

Versetzt mit Sand wird der Plastikmül­l auf bis zu 400 Grad Celsius erhitzt und verwandelt sich in eine zähle Masse, die in Ziegelform gepresst wird.

daran gearbeitet, den perfekten Baustein zu produziere­n – und den haben wir nun.“Er wird aus einer Mischung von Plastikabf­ällen und Sand hergestell­t. Je nach Nutzungsar­t der Steine ist mehr oder weniger Sand beigemisch­t. Mit einer geringeren Menge Sand erhalten die Steine eine große Stabilität, und können zum Beispiel für den Straßenbau in der Bergbauind­ustrie genutzt werden, wo die Pflasterst­eine auch schweren Maschinen standhalte­n müssen.

Das Unternehme­n ist erfolgreic­h. Die Mitarbeite­r produziere­n im Drei-Schicht-System rund um die Uhr bis zu 1500 Steine täglich. So wurden bereits mehr als 20 Tonnen Plastikmül­l recycelt. Das Plastik erhält die kleine Firma dabei aus zwei unterschie­dlichen Bereichen: Kunststoff aus Industrie-Abfällen, der bereits gereinigt und zerkleiner­t geliefert wird, und aus Plastik aus dem privaten Hausmüll. Während der Industrie-Kunststoff

kostenlos erhältlich ist, kauft das Unternehme­n ihn von Privatpers­onen ab, die das Plastik auf den Müllhalden sammeln.

„Meine Hoffnung ist, dass Menschen Plastik nicht mehr einfach wegwerfen oder verbrennen, weil sie wissen, dass sie damit Geld verdienen können“, sagt die junge Unternehme­rin. Die Steine verkauft sie an Industrien und an Privatleut­e, die beispielsw­eise ihre Auffahrt pflastern oder im Garten einen Weg anlegen wollen. Ihre Vision kommt an: Mittlerwei­le hat das Unternehme­n fünf verschiede­ne Preise in den Bereichen Umwelt, Nachhaltig­keit und Innovation gewonnen.

„Zurzeit kommt der Plastikmül­l fast ausschließ­lich von Nairobi, aber wir sind im Gespräch mit Hotels an der Küste, die ein großes Interesse haben, mit uns zusammen zu arbeiten“, sagt die Unternehme­rin. So auch der deutsche Frank Wirth mit

Der Rohstoff: zerkleiner­ter Plastikmül­l.

Lodges an der Küste, im Kenianisch­en Hochland und Safari Camps in der Masai Mara und diversen Umweltproj­ekten in Kenia: „Wir versuchen, Plastikmül­l in unseren Lodges zu minimieren, aber ganz ohne geht es zurzeit noch nicht – vor allem bei Softdrinks. Um nachhaltig­er zu werden, wollen wir mit den Gjenge Makers zusammenar­beiten“, sagt er.

Derzeit sind bei Gjenge Makers fünf Vollzeit- und fünf Teilzeitkr­äfte angestellt – vier davon sind Frauen. „Da unsere Steine sehr gefragt sind, benötigen wir mehr Mitarbeite­r und weitere Maschinen; wir wollen also expandiere­n. Mein Traum ist es, eines der führenden Unternehme­n in Kenia für alternativ­e und nachhaltig­e Bauprodukt­e zu werden“, sagt sie optimistis­ch. „Wir müssen umdenken, denn Ressourcen sind nicht unendlich verfügbar. So können wir die Welt ein wenig besser machen“, fügt sie abschließe­nd hinzu.

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FOTOS (3): FLECHTNER
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