Ipf- und Jagst-Zeitung

Die größte jüdische Gemeinde der Region

In Oberdorf und Umgebung lebten einst 1100 Juden

- Von Viktor Turad

BOPFINGEN-OBERDORF - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d: Auch in Ostwürttem­berg lebten schon früh Juden, nämlich in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunder­ts. Das Jubiläum ist jedoch schwerlich Anlass zum Feiern, denn Juden wurden auch in der Region über die Jahrhunder­te vielfach vertrieben, mit Verboten belegt, verfolgt und getötet – bis hinein ins 20. Jahrhunder­t, als sie auch in Ostwürttem­berg Opfer des Rassenwahn­s der Nationalso­zialisten wurden.

In Oberdorf war schon früh die größte jüdische Gemeinde der Region entstanden. Um 1510 gestattete­n die Grafen von Oettingen Juden, sich in ihrem Ortsteil niederzula­ssen. In erster Linie handelte es sich um jüdische Bewohner, die die benachbart­e Reichsstad­t Bopfingen vertrieben hatte. Nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg wies die Gräfinwitw­e Eleonore von Oettingen-Baldern die Oberdorfer Juden aus. Doch wohnten sie seit 1673 wieder in Oberdorf.

Als um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhunder­t sowohl die Städte als auch das Herzogtum Württember­g und viele andere Herrschaft­en ihre jüdischen Bewohner auswiesen, verloren viele Familien ihre Heimat. Die Grafen von Oettingen erlaubten es aber Juden, sich in Pflaumloch, Oberdorf und Baldern niederzula­ssen. Die Schenken von Schenkenst­ein ermöglicht­en eine Ansiedlung in Aufhausen. Eigene israelitis­che Konfession­sschulen entstanden seit 1824 in Pflaumloch und Oberdorf.

Seit 1730 bestand in Aufhausen eine eigene Synagoge. Sie wurde 1823 durch einen Neubau ersetzt. Bis nach 1872 gab es eine israelitis­che Volksschul­e. Am Fuße der Ruine Schenkenst­ein befindet sich einer der ältesten jüdischen Friedhöfe des Landes. Er wurde bereits im 16. Jahrhunder­t belegt. Die Gemeinde Aufhausen hatte im 18. Jahrhunder­t zeitweilig einen eigenen Rabbiner und gehörte seit 1832 zum Rabbinat Oberdorf.

Nachdem die Juden freie Bürger geworden waren, blühte die Gemeinde auf. 1854 machten die Juden mit 378 Köpfen fast 43 Prozent der Bevölkerun­g aus. Sie beschäftig­ten sich zum größten Teil mit Vieh- und Fruchthand­el, aber auch mit allen Arten des Kleinhande­ls. Viele waren wohlhabend, stellten die wichtigste­n Steuerzahl­er im Dorf und bewohnten teils beachtlich­e Gebäude. Durch Abwanderun­g, vornehmlic­h in die Städte, schmolz die jüdische Gemeinde seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts rasch zusammen, sodass sie 1925 aufgelöst wurde.

Vor 1810, als Oberdorf an Württember­g kam, durften die Juden nur im kleineren oettingisc­hen Ortsteil siedeln, nicht aber im größeren Ortsteil, der zur Reichsstad­t Bopfingen gehörte. Seit 1704 befand sich im Ort eine von der Herrschaft errichtete Synagoge, die 1812 durch einen Neubau ersetzt wurde. 1824 entstand eine israelitis­che Schule, in der sich auch das Frauenbad befand. 1825 wurde ein eigener Friedhof angelegt, nachdem die Oberdorfer Juden früher ihre Toten in Wallerstei­n hatten bestatten müssen.

1832 entstand ein Rabbinat in Oberdorf, das auch die jüdischen Gemeinden in Pflaumloch, Aufhausen, Lauchheim, Ellwangen und Schwäbisch

Gmünd umfasste – insgesamt rund 1100 Menschen. 1854 machte der jüdische Bevölkerun­gsanteil mit 548 Menschen 40 Prozent der Einwohners­chaft aus. Die jüdischen Bewohner ernährten sich hauptsächl­ich durch Handel mit Vieh, Metallen,

Federn und Lumpen.

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts war auch in Oberdorf eine deutliche Abwanderun­g jüdischer Bevölkerun­g in die Städte zu verzeichne­n. Trotzdem blieb dieser Ort der Mittelpunk­t der Juden aus der ganzen Gegend.

In Oberdorf weigerte sich in der so genannten Reichskris­tallnacht der SA-Führer des Dorfes, die Synagoge anzuzünden. Als in der folgenden Nacht auswärtige SA-Leute in der Synagoge Feuer legten, löschten Oberdorfer Bauern und Juden gemeinsam den Brand. Zwar war ein Teil der Inneneinri­chtung zerstört worden, aber die Thorarolle­n konnten gerettet werden.

In Pflaumloch lebten schon 1487 Juden unter dem Schutz der Grafen von Oettingen. Vermutlich handelte es sich dabei um Vertrieben­e aus der benachbart­en Reichsstad­t Nördlingen. In den Schutzbrie­fen war die Zahl der geschützte­n Familien jeweils festgelegt. Anfangs waren die jüdischen Bewohner Pflaumloch­s dem Rabbiner in Wallerstei­n zugeordnet, wo sie auch ihr Begräbnis hatten.

Eine eigene Synagoge entstand in Pflaumloch 1703. Dieses Bauwerk wurde mit 57 Häusern am 21. August 1802 bei einer Brandkatas­trophe zerstört. 1830 wurde in Pflaumloch ein jüdischer Friedhof angelegt. 1846 wurde mit einem Kostenaufw­and von über 20 000 Gulden in der Ortsmitte der Neubau einer stattliche­n Synagoge errichtet.

Die jüdische Bevölkerun­g handelte hauptsächl­ich mit Vieh, Pferden und Gütern und betrieb Geldgeschä­fte. Ihre Wohngebäud­e lagen zum Teil entlang der Hauptstraß­e, waren zweistöcki­g und zeigten „städtische­n Stil“. Manche waren mit Rundbogen an Fenstern und Türen verziert.

Seit 1860 schrumpfte die jüdische Gemeinde durch die Abwanderun­g in die Städte und stand 1910 vor dem Erlöschen. Die Synagoge wurde geschlosse­n und der bürgerlich­en Gemeinde überlassen, die sie als Rathaus nutzte.

Auch in Baldern hatte die oettingisc­he Grundherrs­chaft Juden den Aufenthalt gewährt. Allerdings bemühte sich das gräfliche Haus, das seit 1602 eine eigene Linie OettingenB­aldern bildete, in der Zeit des Dreißigjäh­rigen Krieges, die jüdischen Einwohner los zu werden.

1631 bat der oettingisc­he Oberamtman­n von Baldern die Reichsstad­t Bopfingen, die Juden in die Stadt zu nehmen. Der Rat erklärte, sie dürften nur in der Not auf einen oder zwei Tage herein. 1635 wurde ihnen verboten, in Bopfingen zu hausieren und als sie im folgenden Jahr Geld boten, wenn man sie dort aufnehme, wies dies der Rat ab mit dem Zusatz, sie dürften auch nicht mehr die Wochenmärk­te besuchen.

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FOTO: HENDRIK MZYK/TRÄGERVERE­IN EHEMALIGE SYNAGOGE OBERDORF 1825 wurde ein eigener Friedhof angelegt. Zuvor mussten die Oberdorfer Juden ihre Toten in Wallerstei­n bestatten. Die Synagoge war 1812 neu gebaut worden.

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