Ipf- und Jagst-Zeitung

So lebten Juden in Nördlingen

Unter Hass, Verleumdun­g und Mord litten die Nördlinger Juden seit Jahrhunder­ten

- Von Viktor Turad

NÖRDLINGEN - Das ganze Jahr über wird ein besonderes Jubiläum gefeiert: 1700 Jahre jüdisches Leben auf dem Gebiet des heutigen Deutschlan­d. Auch in der Freien Reichsstad­t Nördlingen lebten schon früh Juden, nämlich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunder­ts. Das Jubiläum ist jedoch schwerlich Anlass zum Feiern, denn Juden wurden auch in Nördlingen über die Jahrhunder­te vielfach vertrieben, mit Verboten belegt, verfolgt und getötet – bis hinein ins 20. Jahrhunder­t, als sie im Ries ebenfalls Opfer des Rassenwahn­s der Nationalso­zialisten wurden. Heutzutage erinnern so genannte Stolperste­ine in Nördlingen an die jüdischen Mitbürger und an die Verbrechen der Nazizeit.

Im 13. Jahrhunder­t, seit dem Jahr 1250, haben sich in Nördlingen Juden niedergela­ssen. Daran erinnert heute noch die „Judengasse“, die in der NSZeit in „Schulgasse“umbenannt wurde, schreibt der Historiker KlausDiete­r Alicke. Am Ende der „Judengasse“lagen vermutlich die ersten jüdischen Friedhöfe. Die erste Synagoge soll im Bereich des Brettermar­kts gewesen sein. Vor 1380 wurde dieses Gebäude als Kastenhaus des Antonitero­rdens erwähnt. Aber bereits gegen Ende des 13. Jahrhunder­ts kam es zu Ausschreit­ungen gegen Juden. Diese hätten sich, hieß es, in der Stadt die besten Plätze gekauft und der Bürgerscha­ft Verderben gebracht, sodass sich diese „aus großer Dürftigkei­t“empört und in einer Nacht Juden und Jüdinnen erschlagen habe.

Nach Gerüchten über angebliche Hostiensch­ändungen in Röttingen kam es 1298 zu Massakern an Juden in Franken und den angrenzend­en Gebieten. Bei diesen Pogromen wurde die jüdische Gemeinde in Nördlingen fast vollkommen ausgelösch­t. Trotzdem entstand innerhalb der Mauern der Stadt bald wieder eine kleine jüdische Gemeinde, der eine Synagoge gehörte. Die Nördlinger Juden standen unter dem Schutz des Kaisers, wofür sie allerdings Abgaben entrichten mussten. Sie lebten vom Geldverlei­h und vom Handel mit Gebraucht- und Kleinwaren. Im 14. Jahrhunder­t hatten sie sogar ein umfassende­s Bürgerrech­t. Das schützte sie jedoch nicht vor dem Pestpogrom 1348. In jener Zeit gab es Spannungen mit den Christen, die den Juden Hostienfre­vel, Ritualmord­e und Wucher vorwarfen. Zudem hieß es, Juden hätten durch Brunnenver­giftung die Pest ausgelöst, die die Strafe Gottes dafür sei, dass man die Juden in die Stadt gelassen habe. Die Grafen von Oettingen erhielten vom Kaiser die Erlaubnis, deren Eigentum

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einschließ­lich ihrer Häuser zu behalten.

Aber spätestens 1357 soll es in Nördlingen wieder eine jüdische Gemeinde gegeben haben, die mit Geld handelte. 1384 kam es erneut zu Ausschreit­ungen: Die Juden wurden erschlagen, ihr Eigentum erhielt die Stadt, die Rädelsführ­er der Unruhen wurden der Stadt verwiesen.

Schon wenige Jahre später, 1400, gab es wieder eine kleine Gemeinde in Nördlingen, die etwa 100 Jahre bestand. 1507 aber hatte der Nördlinger Magistrat sein Ziel erreicht, dem er mit Geldzahlun­gen an den Kaiser Nachdruck verliehen hatte: Maximilian I. verbot den Juden, in der Stadt zu wohnen. Sie durften „für alle Zeit“ausgewiese­n werden. Die Grafen von Oettingen versprache­n zwar zunächst, sich dem anzuschlie­ßen. Als sie es aber nicht taten, erwirkte die Reichsstad­t Nördlingen 1510 ein an Oettingen gerichtete­s kaiserlich­es Mandat, dass die Juden einen Umkreis von etwa zwei Meilen um Nördlingen zu räumen hätten und weder die Grafen noch andere Territoria­lherren neue Judensiedl­ungen erlauben sollten.

Die entstanden dann in den umliegende­n Gemeinden. Trotz allem aber durften Juden tagsüber in Nördlingen ihren Geschäften nachgehen. Allerdings mussten sie einen besonderen Zoll entrichten und sich an der „Judenmauer“am Baldinger Tor treffen, von wo aus sie gemeinsam in die Stadt gehen durften. Gegen Geld durften auch in der zweiten Hälfte des 30-jährigen Kriegs jüdische Familien in Nördlingen leben.

Mit der Machtübern­ahme durch die Nazis begann auch im Ries die gesellscha­ftliche, aber noch nicht die wirtschaft­liche Ausgrenzun­g der Juden. Zwischen 1933 und 1938 verließen etwa 70 die Stadt, indem sie entweder wegzogen oder auswandert­en. Beim Pogrom am 9. November 1938 wurden zunächst die Scheiben der Synagoge eingeschla­gen. Am nächsten Tag wurden das Mobiliar und die Ritualien zerstört sowie die Thorarolle­n aus ihrem Schrein geholt und im Hof angezündet. Indem aber der Bürgermeis­ter erklärte, das Gebäude gehöre der Stadt und dürfe nicht angerührt werden, verhindert­e er, dass es zerstört wurde. Dies war eine mutige Tat. Die jüdische Gemeinde erhielt danach für Synagoge und Friedhof 15 000 Reichsmark. Häuser, in denen Juden wohnten, wurden „durchsucht“, wobei viele Gegenständ­e und Bargeld gestohlen wurden. Die rund 30 jüdischen Männer, die im Stadtgefän­gnis in so genannte „Schutzhaft“genommen wurden, kamen meist nach einer Woche wieder frei.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Kaiser Maximilian I. verbot den Juden 1507, in der Stadt Nördlingen zu wohnen.

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