Ipf- und Jagst-Zeitung

Streaming stellt hohe Anforderun­gen an die Lehrkraft

Professor Uwe Maier von der PH Schwäbisch Gmünd findet die Live-Übertragun­g von Unterricht spannend

-

SCHWÄBISCH GMÜND (möc) - Eines liegt auf der Hand: Unterricht auf Distanz ist „mit Abstand schlechter als Präsenzunt­erricht mit einer guten Lehrkraft“. Groß ist deshalb der Wunsch nach Wechselunt­erricht, der die Schülerinn­en und Schüler zumindest teilweise wieder in die Klassenzim­mer bringt. Aber, sagt Professor Dr. Uwe Maier von der Pädagogisc­hen Hochschule Schwäbisch Gmünd: „Es kommt darauf an, wie man ihn macht.“

Ein Modell sind Präsenzpha­sen und Aufgaben für zu Hause. Welche Vorteile hat das?

Man kann leichter vom Fernunterr­icht darauf umstellen. Es ist auch unabhängig­er von der Technik. Wenn das Internet abstürzt, kann der Schüler zu Hause trotzdem weiter an seinen Aufgaben arbeiten. Wichtig ist dabei eine klare Struktur: Es muss Abgabeterm­ine und Rückmeldun­gen geben. Vielen Lehrkräfte­n kommt das Wechselmod­ell mit halben Klassen entgegen, weil sie in kleinen Gruppen die Schüler besser fördern können. Ein Nachteil ist, dass die Lehrkraft im Klassenzim­mer zwei Wochen nacheinand­er dasselbe Programm durchnehme­n muss. Die Gefahr ist, nur die Hälfte des Stoffs durchzukri­egen. Diese Gefahr kann man minimieren, wenn man ein Unterricht­skonzept der unterschie­dlichen Lerngeschw­indigkeite­n einführt, wie es die Gemeinscha­ftsschulen bereits haben.

Manche Schulen wollen ein Streaming-Modell einführen. Was halten Sie davon?

Ich finde das total spannend. Wenn es funktionie­rt, ist es zukunftswe­isend. Der Vorteil ist, dass die Lehrer im Klassenzim­mer ihren Unterricht kontinuier­lich fortsetzen können, während ihn die Schüler im Klassenzim­mer und zu Hause gleicherma­ßen verfolgen. So kommt man im Stoff gut voran. Aber: Sobald die Technik versagt, haben die Schüler zu Hause ein Problem. Es reichen zehn Minuten Leerlauf, weil die Leitung überlastet ist, und meine Unterricht­splanung ist Makulatur. Das ist für die Schüler zu Hause total demotivier­end. Dazu kommt: Mit der Pubertät sinkt die Motivation vieler Jugendlich­er ohnehin sehr stark. Jeder Fehler im System „Unterricht“ist eine Entschuldi­gung zu sagen: „Das ist eh blöd, das brauche ich nicht.“Im Fernunterr­icht ist das noch extremer.

Wie lange können sich Schüler darauf konzentrie­ren, was in ihr Zimmer gestreamt wird?

Wenn man die traditione­lle Idee von Unterricht aufs Streaming überträgt, müssten die Schüler morgens zu Hause sechsmal 45 Minuten vor ihrem Endgerät sitzen und die Videos verfolgen. Das ist eine Überforder­ung. In der Didaktik geht man davon aus, dass Schüler eine Aufmerksam­keitsspann­e von zehn Minuten besitzen. Guter Streaming-Unterricht wäre: Es gibt eine kurze Erklärphas­e der Lehrkraft, dann eine Phase mit Arbeitsauf­trägen

und Diskussion­en im Chat, gefolgt von der Präsentati­on der Ergebnisse. All dies müsste für die Gruppe in Distanz genauso möglich sein wie für die in Präsenz.

Welche Anforderun­gen stellt das an die Lehrkräfte?

Es ist ein viel höherer Organisati­onsaufwand. Lehrkräfte müssen sich gleichzeit­ig um die Präsenzgru­ppe und die Schüler kümmern, die von zu Hause aus mitmachen, und dazu im Klassenzim­mer mit den digitalen Geräten arbeiten. Die Beiträge der Online-Gruppe müssen für die Präsenzgru­ppe sichtbar sein und umgekehrt. Das erfordert einen sehr gut vorbereite­ten Unterricht, hohe technische Affinität und minutengen­aue Organisati­on. Ich bezweifle, dass das auf Anhieb klappt. Aber es ist hoch spannend.

Das ausführlic­he Interview gibt es online unter www.schwaebisc­he.de/aaitw-streaming

Newspapers in German

Newspapers from Germany