Ipf- und Jagst-Zeitung

„Unterschät­zt zu werden, kann hilfreich sein“

Grünen-Fraktionsc­hef Andreas Schwarz über Ambitionen als Kretschman­n-Nachfolger

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Seit mehr als fünf Jahren führt Andreas Schwarz die Grünen-Fraktion im Landtag. Der Koalitions­partner CDU sei nach der Landtagswa­hl im März ein anderer als in der vorigen Legislatur, hatte der 41-Jährige jüngst gesagt. Was er damit meint und welche Ambitionen er selbst hat, erklärt er im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Herr Schwarz, jüngst sagten Sie, wenn Sie nach Afghanista­n blickten, blute Ihnen das Herz. CDU-Politiker, darunter Vize-Ministerpr­äsident Thomas Strobl, mahnen: 2015 darf sich nicht wiederhole­n. Wie klingt das in ihren Ohren? Darüber bin ich verwundert. Jetzt geht es erst mal darum, all denjenigen, die mit den westlichen Alliierten zusammenge­arbeitet haben, in Deutschlan­d und Baden-Württember­g Schutz und Heimat zu bieten. Mich ärgert, dass die Bundesregi­erung viel zu lange gezögert hat und die Warnungen der deutschen Botschaft zu spät wahrgenomm­en hat. Das Ausfliegen muss schneller gehen.

Das Land hatte ein Sonderkont­ingent für Jesidinnen aus dem Nordirak aufgelegt. Sollte es ein solches Programm nun für Afghanen geben? Egal welche Lösung wir finden: Es geht um das Ergebnis. Das übergeordn­ete Ziel ist, nicht nur die einzelne Dolmetsche­rin oder den Koch aus Afghanista­n aufzunehme­n, sondern auch Familienan­gehörige. Wir als Land sind dazu bereit. Das ist unsere moralische Verpflicht­ung.

Vor vier Jahren haben die Lehrergewe­rkschaft GEW und der Flüchtling­srat Lehrkräfte in einem Brief informiert, was sie tun und lassen dürfen, wenn Schüler abgeschobe­n werden sollen. Das Innenminis­terium war erzürnt. Nun informiert der CDU-Staatssekr­etär für Migration, Siegfried Lorek, in einem Brief 10 000 Männer und Frauen über ihre Möglichkei­ten, trotz negativen Asylbesche­ids im Land zu bleiben. Ist das die neue CDU, von der Sie jüngst sprachen?

Grün-Schwarz 2021 ist nicht GrünSchwar­z 2016. Es ist auch in der CDU die Erkenntnis gereift, dass es sich nicht lohnt, Steine in den Weg zu legen. Es ist sowohl ein Anliegen der Grünen, als auch der Wirtschaft und des Handwerks, Menschen, die gut integriert sind und arbeiten, trotz abgelehnte­m Asylbesche­id im Land zu halten. Da ist es nur konsequent, wenn das Justizmini­sterium sie auf ihre Bleibepers­pektiven hinweist. Ich begrüße das. Das entspricht dem Koalitions­vertrag.

Die CDU hatte in der vergangene­n Legislatur eine allgemeine Solardachp­flicht abgelehnt, die nun doch kommen soll. Hat sich die CDU modernisie­rt oder auch vergrünt?

Es geht mir nicht darum, die CDU zu modernisie­ren oder zu erziehen. Es geht um den Koalitions­vertrag. Wir haben einen klaren Plan, wo das Land 2030 stehen soll. Bis dahin müssen wir den Klimaschut­z vorangebra­cht, die Gesundheit­swirtschaf­t zum zweiten Standbein neben Maschinenu­nd Anlagenbau gemacht und den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt gestärkt haben.

Wo stößt Grün-Schwarz an Grenzen? Gibt es noch Zwist um die Wahlrechts­reform, die im vergangene­n Koalitions­vertrag stand, aber an der CDU-Fraktion scheiterte? Nein, das ist klar vereinbart. Wir werden in Kürze auch Gespräche mit den Opposition­sfraktione­n SPD und FDP führen, um die Absenkung des Wahlalters gemeinsam zu beschließe­n. Dann werden Menschen ab 16 bei der nächsten Landtagswa­hl wählen und bei den Kommunalwa­hlen 2024 kandidiere­n dürfen. Die Eckpunkte hierzu werden wir Grüne in unserer Fraktionsk­lausur nach der Sommerpaus­e beschließe­n.

Apropos Jugend: Wann bekommt diese ein günstiges landesweit­es Ticket für Bus und Bahn?

Die Vorbereitu­ngen im Verkehrsmi­nisterium laufen, das muss mit den 14 Verkehrsve­rbünden koordinier­t werden. Mit finanziell­er Unterstütz­ung vom Land wollen wir ein Jugendtick­et für 365 Euro einführen. Damit können Schüler, Azubis und Menschen, die einen Freiwillig­endienst leisten, für einen Euro pro Tag durchs Land fahren. Damit fördern wir nicht nur die Mobilität der Jugend, sondern binden sie früh an die klimafreun­dlichen Verkehrsmi­ttel Bus und Bahn und entlasten Familien finanziell. Das Elterntaxi kann dann in der Garage bleiben.

Die Union ist unter Druck, in Umfragen zur Bundestags­wahl schwächelt sie. Befürchten Sie Auswirkung­en auf das Regieren im Land? Die Auswirkung­en auf unsere Koalition sind sehr gering.

Auch die Grünen haben nach einem Zwischenho­ch massiv an Zuspruch verloren. Liegt das auch daran, dass manches unprofessi­onell wirkt?

Ich habe mir die Umfragen angeschaut. Da ist noch viel Spiel drin bei Grünen, CDU und SPD. Ich würde mir wünschen, dass im Wahlkampf endlich über Themen gesprochen wird: über ein Deutschlan­d im Jahr 2030, über Wege aus der Klimakrise, über einen Schub bei der Digitalisi­erung und über die Rolle Deutschlan­ds in der EU. Wir brauchen eine Bundesregi­erung, die nicht wie bisher aussitzt, bis es zu spät ist – siehe Afghanista­n oder Hochwasser. Der Klimaschut­z ist ausgesesse­n worden, bis das Bundesverf­assungsger­icht eingeschri­tten ist. All das ärgert mich. Es braucht Konzepte, um die Klimakrise zu bewältigen und den Strukturwa­ndel in der Wirtschaft zu gestalten. Wir Grüne haben diese Konzepte, die unsere Spitzenkan­didatin Annalena Baerbock authentisc­h vertritt.

Baerbocks Sympathiew­erte liegen deutlich hinter denen von CDUKandida­t Armin Laschet und SPDKandida­t Olaf Scholz. Wäre Robert Habeck die bessere Wahl gewesen? Nein, Annalena Baerbock ist eine intelligen­te, kompetente und geeignete Kandidatin.

Im Mai ist die dritte und letzte Legislatur­periode von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n angebroche­n. Sind Sie als Fraktionsc­hef der natürliche Nachfolger? Fraktionsv­orsitzende haben grundsätzl­ich ähnliche Aufgaben wie Ministerpr­äsidenten: Sie sind Generalist­en mit einem breiten Aufgabensp­ektrum.

Wer könnte das Amt sonst? Der neue Finanzmini­ster Danyal Bayaz hat ausweichen­d geantworte­t, als wir nach Ambitionen fragten.

Das Amt ist sehr herausford­ernd, ich habe Respekt vor der Leistung von Winfried Kretschman­n. Jede Nachfolger­in und jeder Nachfolger wird es schwer haben.

Sie sind weniger für Selbstdars­tellung als für sachliche Arbeit bekannt. Ist es hilfreich in der Politik, wenn man unterschät­zt wird?

In einer Welt, die immer komplexer wird, sind Vertrauen und Verlässlic­hkeit unschätzba­re Werte. Unterschät­zt zu werden kann auf jeden Fall hilfreich sein.

Drei Fragen an die fünf Fraktionsc­hefs gibt es im Video zu sehen unter www.schwaebisc­he.de/3fragen

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Andreas Schwarz ist seit 2016 Fraktionsc­hef der Grünen. Der Posten gilt traditione­ll als Sprungbret­t zum Amt des Ministerpr­äsidenten.

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