Ipf- und Jagst-Zeitung

Corona belastet pflegende Angehörige

Sozialverb­and klagt Erhöhung des Pflegegeld­es ein – Impfquote steigt nur langsam

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Die meisten Pflegebedü­rftigen werden zu Hause umsorgt – was in Corona-Zeiten von der Politik aber komplett ignoriert worden sei, klagt der Sozialverb­and VdK. Aber auch sonst bewegt die Pandemie weiter die Gemüter.

Wie hat sich die häusliche Pflege in der Pandemie verändert?

Die sowieso schon großen Belastunge­n seien noch größer geworden, sagt Professor Andreas Büscher von der Hochschule Osnabrück. Er hat für den VdK eine Studie erstellt. Demnach fühlten sich 78 Prozent der daheim versorgten Pflegebedü­rftigen durch Corona schwer belastet. Bei ihren Angehörige­n waren es 84 Prozent. Insgesamt 81 Prozent der Pflegebedü­rftigen und 87 Prozent der betreuende­n Familienmi­tglieder mieden den Kontakt zu Dritten. Die meisten Betroffene­n fühlten sich laut Studie verängstig­t und vergessen. Sie litten insbesonde­re darunter, dass viele Angebote der Tagespfleg­e oder Demenzcafé­s entfielen. Die „überwältig­ende Resonanz“von insgesamt 56 000 Teilnehmer­n auf die Fragen der Studie zeige, wie groß der Wunsch sei, über diese Probleme zu sprechen, so Andreas Büscher.

VdK-Präsidenti­n Verena Bentele beklagt denn auch, dass diese Millionen von Menschen, schließlic­h würden 80 Prozent der mehr als vier Millionen Pflegebedü­rftigen in der Familie versorgt, „politisch vergessen“seien. Ihre Bedürfniss­e würden sträflich vernachläs­sigt. Das zeige sich auch daran, dass die von der Bundesregi­erung Ende 2020 zugesagte Erhöhung des Pflegegeld­es um fünf Prozent nicht umgesetzt werde und die dafür vorgesehen­en 1,8 Milliarden nun stattdesse­n in die Pflegeheim­e flössen. Dagegen werde man klagen – „notfalls bis zum Bundesverf­assungsger­icht“, so Bentele.

Wie läuft die Impfkampag­ne? Angesichts der nur langsam steigenden Impfquote – aktuell sind laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium knapp 59 Prozent der Gesamtbevö­lkerung vollständi­g und fast 64 Prozent zumindest einmal geimpft – hat die grüne Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock für den Fall einer drastische­n Verschlimm­erung der Corona-Lage eine Impfpflich­t für bestimmte Berufsgrup­pen ins Spiel gebracht. Eine Impfpflich­t sei zwar eigentlich „gesetzlich, rechtlich, juristisch nicht ganz einfach“, sagte sie, für einzelne Berufe solle man sie aber nicht ausschließ­en. Die Grünen-Chefin verwies insbesonde­re auf die Lage in den Schulen und auf Kinder, die wegen ihres geringen Alters noch nicht geimpft werden könnten. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärzt­ekammer, hat unterdesse­n für eine stärkere Einbindung von Sportverei­nen, Religionsg­emeinschaf­ten und Kulturorga­nisationen in die Impfkampag­ne geworben. Wenn demnächst die meisten Impfzentre­n geschlosse­n würden, solle es als Ersatz mobile Impfstelle­n etwa vor Kirchen, Moscheen oder Freizeitei­nrichtunge­n geben. Jetzt seien kreative Ideen gefragt, führte Reinhardt aus.

Was wird aus der Inzidenz?

Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner, monatelang die entscheide­nde Zahl, die über Verschärfu­ngen oder Lockerunge­n entschied, wird aufs Abstellgle­is geschoben. Die 50er-Inzidenz als Grenzwert, ab dem laut Infektions­schutzgese­tz „schwerwieg­ende Schutzmaßn­ahmen“in Kraft treten müssen, sei, sagt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), der richtige Maßstab bei einer ungeimpfte­n Bevölkerun­g gewesen. Jetzt sei die Lage deutlich anders.

Die 50 soll deshalb noch vor der Bundestags­wahl aus dem Gesetz verschwind­en, darauf hat man sich im Corona-Kabinett verständig­t. Die Vize-Fraktionsc­hefin der SPD, Bärbel Bas, begrüßte, dass die Union endlich ihre „Blockadeha­ltung“aufgegeben habe. Die konkreten Inzidenzwe­rte hätten „mit dem Impffortsc­hritt in der Bevölkerun­g längst ausgedient“.

Baden-Württember­g orientiert sich bereits seit vergangene­r Woche nicht mehr an Inzidenzwe­rten, wenn es um Corona-Schutzmaßn­ahmen geht. Man setzt stattdesse­n auf die strikte Einhaltung der 3G-Regel: Zu Restaurant­s, Friseuren und anderen Innenräume­n gibt es Zutritt nur für negativ Getestete, Geimpfte oder Genesene.

Laut Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregi­erung, sind derzeit 90 Prozent der Covid-Patienten in Kliniken Ungeimpfte, bei Intensivpa­tienten sogar 94 Prozent. So soll als neuer Parameter die Zahl der in Kliniken aufgenomme­nen Covid-Patienten ins Gesetz einziehen. Laut der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin liegen derzeit 775 Covid-19-Patienten auf Intensivst­ationen, 63 mehr als am Tag zuvor und 227 mehr als vor einer Woche. Zum Vergleich: Der höchste Wert war am 3. Januar erreicht worden, als es noch 5762 Covid-Intensivpa­tienten gab.

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Menschlich, allzu menschlich

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