Ipf- und Jagst-Zeitung

Glyphosat vor möglichem Comeback

Deutschlan­d will Einsatz des Pflanzensc­hutzmittel­s ab 2024 verbieten – Neue EU-Studie könnte das verhindern

- Von Dominik Guggemoos

BERLIN - Deutschlan­d will das Pflanzensc­hutzmittel Glyphosat ab 2024 komplett verbieten. Eine Einschätzu­ng der EU-Kommission bescheinig­t dem Mittel aber, nicht gesundheit­sschädlich zu sein. Landwirte wollen nicht auf das Pestizid verzichten, doch Naturschüt­zer kritisiere­n, es sei schädlich für Menschen und die Biodiversi­tät. In Deutschlan­d darf es schon jetzt nicht mehr von Privatpers­onen benutzt werden, ab 2024 soll auch für die Landwirtsc­haft Schluss sein. Ein Überblick.

Ist Glyphosat krebserreg­end? Die EU-Kommission hat die zuständige­n nationalen Fachbehörd­en in Frankreich, Ungarn, Schweden und den Niederland­en damit beauftragt, dieser Frage nachzugehe­n und die Sicherheit von Glyphosat zu analysiere­n. Deren kürzlich veröffentl­ichte Einschätzu­ng, die auf der Auswertung vorhandene­r Studienerg­ebnisse beruht, ist eindeutig: Glyphosat sei nicht krebserreg­end, es schädige nicht das Erbgut und es sei weder für den Hormonhaus­halt noch für menschlich­e Organe gefährlich. Dieses Fazit liegt im Einklang mit der Einschätzu­ng von Prüfbehörd­en weltweit.

Es widerspric­ht allerdings dem Urteil der Internatio­nalen Agentur für Krebsforsc­hung (IARC), einer Einrichtun­g der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO). Die IARC sagte 2015, Glyphosat sei „wahrschein­lich krebserreg­end“. Diese Einschätzu­ng hatte weitreiche­nde Folgen für die öffentlich­e Meinung. Befürworte­r von Glyphosat aus der Landwirtsc­haft und Industrie beklagen, dass man selbst mit stichhalti­gen wissenscha­ftlichen Studien die Mehrheit der Verbrauche­r nicht mehr überzeugen könne. Als wahrschein­lich krebserreg­end stuft die IARC übrigens auch den Konsum von rotem Fleisch oder Arbeit in Nachtschic­hten ein.

Welchen Einfluss hat Glyphosat auf die Biodiversi­tät?

Die Naturschüt­zer vom BUND sehen große Auswirkung­en auf die Ackerflora: „Weniger Wildpflanz­en auf und neben den Ackerfläch­en bieten weniger Lebensraum für weniger Insekten.“Diese Einschätzu­ng teilt das Umweltmini­sterium: Glyphosat zerstöre „die Nahrungs- und Lebensgrun­dlage für viele Insektenar­ten wie Schmetterl­inge und mittelbar auch für Feldvögel wie die Feldlerche“.

Wie lange darf Glyphosat in Deutschlan­d noch verwendet werden?

Der aktuelle Genehmigun­gszeitraum innerhalb der Europäisch­en Union läuft zum Jahresende 2022 aus. Es folgt eine einjährige Übergangsf­rist, nach der Stand heute dann am 1. Januar 2024 Schluss mit einem Einsatz von Glyphosat wäre. Geht es nach der Bundesregi­erung, bleibt es bei diesem Datum.

Sowohl das SPD-geführte Umweltmini­sterium als auch das CDUgeführt­e Landwirtsc­haftsminis­terium wollen den Genehmigun­gszeitraum nicht verlängern und gehen davon aus, dass es dafür auch keine

Mehrheit in Brüssel geben wird. Inwiefern die neueste Einschätzu­ng zur Gesundheit­sgefährdun­g daran etwas ändern könnte, ist noch unklar.

Anfang September sollen die Beratungen auf EU-Ebene beginnen, mit einem Ergebnis wird dann im Herbst 2022 gerechnet. Bei der letzten Verlängeru­ng der Zulassung auf EU-Ebene im November 2017 wollte sich die Bundesregi­erung eigentlich enthalten – die SPD war dagegen, die Union dafür. Der damalige CSULandwir­tschaftsmi­nister Christian Schmidt stimmte aber in Eigenregie mit Ja und sagte im Anschluss lapidar: „So isser, der Schmidt.“

Wo darf Glyphosat denn überhaupt noch eingesetzt werden?

In Gärten und Kleingärte­n sowie auf Flächen, die von der Allgemeinh­eit benutzt werden – wie Parks, Schulen und Sportplätz­en – darf das Pflanzensc­hutzmittel

nicht mehr eingesetzt werden. Das haben Bundestag und Bundesrat vor der Sommerpaus­e beschlosse­n. Auf Äckern und landwirtsc­haftlich genutzten Flächen ist der Einsatz eingeschrä­nkt möglich, sofern andere Maßnahmen zum Pflanzensc­hutz „nicht geeignet oder zumutbar“sind. Auch damit wäre dann 2024 Schluss. Ein komplettes Verbot vor dem Auslaufen der EU-Zulassung ist rechtlich nicht möglich.

Warum wollen Landwirte das Pestizid so gerne weiterhin benutzen dürfen?

„Sichere und qualitativ hochwertig­e Ernten sind ohne biologisch­e und chemische Pflanzensc­hutzmittel kaum möglich“, sagt der Deutsche Bauernverb­and (DBV). Das Alleinstel­lungsmerkm­al von Glyphosat sei das breite Wirkungssp­ektrum bei ein- und mehrjährig­en Pflanzen sowie die Verhinderu­ng von Resistenze­n. Laut Angaben des DBV wurde 2017 auf 37 Prozent der deutschen Ackerfläch­en Glyphosat eingesetzt. Die Absatzzahl­en sind allerdings rückläufig, zumindest in Deutschlan­d. Häufiger zum Einsatz kommt der Unkrautver­nichter aber sowieso in Nord- und Südamerika.

Was gibt es für Alternativ­en zu Glyphosat?

Ohne andere Pestizide, die kombiniert werden müssten, um die Wirkung von Glyphosat zu erreichen, können Landwirte zur Unkrautver­nichtung auch den Pflug einsetzen. Die Wirkung ist kurzfristi­g vergleichb­ar, hält aber nicht so lange an. Und auch der Pflug hat seinen ökologisch­en Preis, nämlich Auswirkung­en auf die Bodenstruk­tur, die Lebewesen im Boden und die Artenvielf­alt auf dem Acker, argumentie­rt der DBV.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Die Verpackung eines Unkrautver­nichtungsm­ittels, das den Wirkstoff Glyphosat enthält. Privatnutz­er dürfen das umstritten­e Pflanzensc­hutzmittel bereits nicht mehr im eigenen Garten verwenden.

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