Ipf- und Jagst-Zeitung

Corona-Babyboom bleibt aus

Für manche Eltern überwiegt laut Experten die Ungewisshe­it

- Von Oliver Pietschman­n

WIESBADEN (dpa) - Der Anstieg der Geburten im März ließ aufhorchen. Weniger Freizeitmö­glichkeite­n, dafür mehr Zeit für traute Zweisamkei­t in den heimischen vier Wänden während der Corona-Pandemie? Nachdem die Statistike­r also im März ein Plus von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr registrier­ten und dies auch mit dem Abflauen der ersten Corona-Welle in einen zeitlichen Zusammenha­ng stellten, konnte man über einen möglichen Babyboom spekuliere­n.

Die jüngsten Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Nach dem ersten Corona-Jahr ist die Anzahl der Geburten in Deutschlan­d von Januar bis Mai 2021 nur leicht angewachse­n. Mit rund 315 000 Babys stieg die Zahl der neugeboren­en Mädchen und Jungen im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um 1,4 Prozent, teilte das Statistisc­he Bundesamt am Montag in Wiesbaden mit. Einen deutlichen Anstieg habe es nur in besagtem März gegeben – mit rund 3700 Babys mehr als im Vorjahresm­onat. In den übrigen von der Pandemie geprägten Monaten sei die Entwicklun­g unauffälli­g gewesen.

Die Geburten der ersten fünf Monate dieses Jahres gingen auf Schwangers­chaften zurück, die während des ersten Corona-Lockdowns von Ende März bis Anfang Mai sowie in den Sommermona­ten begannen – da waren die Beschränku­ngen von Kontakten weitgehend aufgehoben. Insgesamt kamen in dem Zeitraum gut 154 000 Mädchen und knapp 162 000 Jungen lebend zur Welt.

„Die Corona-Maßnahmen und deren Lockerung in der ersten Jahreshälf­te 2020 haben sich offenbar nicht unmittelba­r auf die Familienpl­anung ausgewirkt“, sagte die Demografie-Expertin im Statistisc­hen Bundesamt, Olga Pötzsch. „Während des ersten Lockdowns und auch in den Sommermona­ten wurden weder deutlich mehr noch deutlich weniger Kinder gezeugt als im Jahr 2019.“Man habe von Januar bis Mai 2021 insgesamt keine auffallend­e Veränderun­g feststelle­n können – mit Ausnahme des März.

„Es ist grundsätzl­ich für alle Demografen ungewiss, in welche Richtung das geht“, sagte der stellvertr­etende Forschungs­direktor beim Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g, Martin Bujard, der Deutschen Presse-Agentur. Der nur leichte Anstieg über fünf Monate heiße nicht, dass Corona keine Effekte hat.

Bujard sieht bei der Frage nach einem Kinderwuns­ch zwei Mechanisme­n. Einerseits gehe es um mögliche wirtschaft­liche Ängste in der Pandemie. Anderersei­ts gebe es einen „Cocooning-Effekt“– in der Pandemie steige die Bedeutung von Familie und der Wunsch nach Kindern. Es könne sein, dass sich derzeit diese beiden Mechanisme­n aufheben. „Der zweite Lockdown war viel stärker“, Existenzän­gste könnten hier wesentlich häufiger gewesen sein, so der Experte. „Es kann sein, dass wir zum Jahresende sinkende Zahlen haben.“

Erst mal sind Bjuard zufolge die Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s eben nur nackte Zahlen. Gesellscha­ftliche Gruppen seien unterschie­dlich betroffen. „Das sagt ja erst mal noch nichts darüber aus, welche Menschen Kinder bekommen haben.“

„Veränderun­gen der Geburtenra­ten um wenige Prozent von Jahr zu Jahr sind absolut im Bereich der üblichen Schwankung­en“, sagte der Präsident des Berufsverb­andes der Frauenärzt­e, Christian Albring. Es lasse sich daraus nach jetzigem Stand der Dinge kein Zusammenha­ng mit der Pandemie ableiten.

Das sei im Übrigen auch schon an der weitgehend unveränder­ten Zahl der Schwangere­n in der Mutterscha­ftsvorsorg­e im Jahr 2020 abzusehen gewesen. Wie Bujard sieht auch Albring zwei Entscheidu­ngsfaktore­n bei der Familienpl­anung. „Manche Paare haben sicherlich wegen der vermehrten Zeit in der Familie ihren Kinderwuns­ch vorgezogen – andere dagegen bewusst nicht, da sie wirtschaft­liche Probleme befürchten mussten.“

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FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA Nach dem ersten Corona-Jahr ist die Anzahl der Geburten in Deutschlan­d von Januar bis Mai dieses Jahres nur leicht angestiege­n.

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