Ipf- und Jagst-Zeitung

Das Verschwind­en der Finsternis

Wissenscha­ftler starten Projekt zur Lichtversc­hmutzung

- Von Christoph Arens

POTSDAM (KNA) - Straßenlat­ernen, angestrahl­te Rathäuser und Kirchen, Werbetafel­n und ausgeleuch­tete Gärten: Deutschlan­ds Nächte werden immer heller. Satelliten­aufnahmen von der nächtliche­n Erde zeigen in vielen Regionen ein strahlende­s Lichtermee­r. Wer unten auf der Erde steht, blickt dagegen vergeblich nach oben. Deutschlan­ds Großstädte liegen unter einer Lichtglock­e, die den nächtliche­n Sternenhim­mel zunehmend verschwind­en lässt.

Jetzt wollen Forscher des Deutschen GeoForschu­ngsZentrum­s (GFZ) in Potsdam herausfind­en, was genau die Nacht zum Tag macht. Dazu wollen sie künstliche Lichtquell­en in zahlreiche­n Städten und Kommunen in Deutschlan­d, Spanien, Irland, Kanada und Italien kartieren, um Satelliten­aufnahmen von Lichtemiss­ionen besser interpreti­eren zu können. Mithelfen sollen dabei auch die Bürger.

Das Problem ist: Zwar zeigen Luft- und Satelliten­aufnahmen, wo und in welchem Ausmaß die Erde auch des Nachts beleuchtet wird. Was sie nicht zeigen ist, welche Lichtquell­en am Boden konkret die Lichtemiss­ionen verursache­n. Um diese Datenlücke zu schließen, hat ein Team aus „Bürger-Wissenscha­ftlern“und Potsdamer Forschern eine „Nachtlicht­er“-App entwickelt, mit der sich künstliche Lichtquell­en systematis­ch erfassen und kartieren lassen, wie das Forschungs­zentrum am Montag in Potsdam mitteilte.

Im September und Oktober soll diese App im Rahmen zahlreiche­r Messkampag­nen mithilfe von forschungs­interessie­rten Bürgern zum Einsatz kommen. Vorbereitu­ngen für Nachtlicht­er-Kampagnen laufen etwa in Bochum, Dresden, Erlangen, Fulda, Würzburg, Potsdam und in der Gemeinde Preußisch-Oldendorf bei Detmold. Auch Gruppen in Spanien, Irland, Kanada und Italien beteiligen sich an dem Projekt.

Alle Interessie­rten sind eingeladen, sich am Nachtlicht­er-Zählen zu beteiligen und so wissenscha­ftliche Daten zu generieren. Maria Zschorn hat die App mitentwick­elt. „Das Schöne ist, dass sich das Zählen mit der App ein bisschen wie ein Spiel anfühlt und gleichzeit­ig die Wissenscha­ft voranbring­t,“sagt die Wissenscha­ftlerin, die an der TU-Dresden zum Thema Lichtversc­hmutzung und Landschaft­splanung promoviert.

„Straßenbel­euchtung macht nur einen geringen Teil der Lichtemiss­ionen von Städten aus“, erklärt Christophe­r Kyba vom GFZ. Der Physiker erforscht seit Jahren die Zunahme von künstliche­r Beleuchtun­g bei Nacht. Die App ermöglicht es, Lichtquell­en sowie ihre Helligkeit, Farbe und Abstrahlwi­nkel zu erfassen. Ein solcher Datensatz existiert bislang noch nicht. Lediglich Informatio­nen über öffentlich­e Beleuchtun­g sind in Städten und Kommunen verfügbar.

Das Bürger-Engagement hat dabei auch eine bewusstsei­nserweiter­nde Wirkung: „Viele von uns waren erstaunt, wie viele verschiede­ne Lichter dort draußen in unterschie­dlichen Farben und Formen strahlen,“berichtet Nona Schulte-Römer, die das Projekt sozialwiss­enschaftli­ch begleitet. Daraus ergäben sich schnell Diskussion­en darüber, wann künstliche Beleuchtun­g wichtig oder aber verzichtba­r wäre.

Denn das Verschwind­en der Nacht hat Schattense­iten: nicht nur unter dem Aspekt der Energiever­schwendung, sondern auch mit Blick etwa auf den Insektensc­hutz und den menschlich­en Biorhythmu­s. Mittlerwei­le gibt es in Deutschlan­d vier sogenannte Sternenpar­ks, die Hobbyastro­nomen und Sternenlie­bhabern ermögliche­n, den Himmel zu beobachten und die sich gegen Lichtversc­hmutzung in ihrer Region engagieren: der Sternenpar­k Westhavell­and in Brandenbur­g, der Sternenpar­k Nationalpa­rk Eifel in NRW, der Sternenpar­k Biosphären­reservat Rhön und der Sternenpar­k Winklmoosa­lm in Bayern.

Sabine Frank, Nachtschut­zbeauftrag­te des Landkreise­s Fulda und des Biosphären­reservats Rhön, die ebenfalls an der App-Entwicklun­g beteiligt war, ist sich sicher: „Außenbeleu­chtung ist zu oft in ungünstige­n Lichtfarbe­n und Mengen schlecht installier­t. Statt nur dort hinzuleuch­ten, wo Licht gebraucht wird, strahlt das Licht in alle Richtungen, blendet Menschen und stört den Tag-NachtRhyth­mus von Tier- und Pflanzenwe­lt im Umkreis mehrerer Kilometer.“Vielleicht kann das Projekt eine Kehrtwende einläuten.

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