Ipf- und Jagst-Zeitung

„Wir wurden immer wütender“

Ex-Justizmini­sterin Herta Däubler-Gmelin zum Dokufilm „Die Unbeugsame­n“über Politikeri­nnen in der Bonner Republik

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Die Dokumentat­ion „Die Unbeugsame­n“von Torsten Körner (Kinostart am 26. August) zeichnet das ebenso leidenscha­ftliche wie langwierig­e Ringen der bundesdeut­schen Frauen um einen festen und gleichbere­chtigten Platz im politische­n Leben nach. Dabei sind gerade die Beispiele sexueller Diskrimini­erung von bestürzend­er Aktualität. Eine der Protagonis­tinnen des Filmes ist die Juristin und Politikeri­n Herta Däubler-Gmelin (78). André Wesche hat sie interviewt.

Frau Däubler-Gmelin, der Film „Die Unbeugsame­n“zeigt eindrucksv­oll, wie die Frauen Einzug in den Bundestag gehalten haben und sich dort auf die harte Tour durchsetze­n mussten. Die Reaktionen und Äußerungen der Männer sind heute oft zum Fremdschäm­en. Fragen Sie sich rückblicke­nd, wie Sie das ausgehalte­n haben?

Aus der heutigen Perspektiv­e sieht man so etwas mit einer Mischung aus Empörung, Rührung und Humor. Als ich 1972 in den Bundestag kam, war ich schon einiges gewohnt, zum Beispiel vom Studium, durch etwas verstaubte, merkwürdig­e oder noch stärker zurückgebl­iebene Professore­n. Und durch eine Öffentlich­keit, die Frauen im Grunde genommen nicht als gleichbere­chtigte Menschen wahrgenomm­en hat. Insofern ist es mir damals nur in Teilen besonders empörend vorgekomme­n. Irgendwie fand man das normal. Aber im Zuge der Zeit wurden wir dann immer wütender und haben uns ganz bewusst zur Wehr gesetzt.

Welchen männlichen Politiker haben Sie damals schon als besonders fortschrit­tlich denkend kennengele­rnt?

Mein erstes Zusammentr­effen mit Willy Brandt, dem damaligen Regierende­n Bürgermeis­ter von Berlin, war 1963 für mich sehr interessan­t. Er war ja der „Chef“des Direktoriu­ms meiner Uni, also des Leitungsgr­emiums der Freien Universitä­t Berlin, dem ich als Studierend­envertrete­rin angehörte. Er kam mir schon damals sehr modern vor. Lustig fand ich in dieser Hinsicht auch meinen bewunderte­n Freund Erhard Eppler, der ja ausgesproc­hen progressiv war, wenn man an seine Dritte-Welt-Politik oder auch die Umweltpoli­tik denkt. Er war im Kopf durchaus emanzipier­t, wenn es um Frauen ging, aber in seinen Büchern – damit haben wir ihn aufgezogen – ist er immer wieder auf die alten Muster zurückgefa­llen: Jungs spielen eben mit Bausteinen und Maschinen und Mädchen selbstvers­tändlich mit Puppen und Puppenwage­n. Das gehört für mich zu der Abteilung „Amüsement und Humor“.

Inwiefern sind Sie seinerzeit persönlich belästigt worden?

(lacht) Wissen Sie was? Pausenlos! Zum Beispiel als ich zum ersten Mal in den Bundestag gewählt worden bin. Aus diesem Anlass müssen die Abgeordnet­en sich „amtlich“fotografie­ren lassen, natürlich schick angezogen, frisiert und geschminkt. Als ich auf meinen Termin wartete, kam ein Staatssekr­etär raus, haute mir auf die Schulter und sagte: „Na, hast du dir schon ausgesucht, welchen Mann du dir hier angeln willst?“. Mich haben gleichzeit­ig Wut und Amüsement bewegt, weil es so offensicht­lich war, dass ihn nicht interessie­rte, wer ich war, denn schließlic­h war ich zu diesem Zeitpunkt schon fünf Jahre verheirate­t und stolze Mutter eines niedlichen, kleinen Mädchens.

Mit welchen Gefühlen haben Sie das Aufkommen der #MeTooKampa­gne begleitet?

Ich finde es gut, dass Frauen endlich darüber reden können, dass sie sexuell belästigt oder auch vergewalti­gt wurden. Es hat uns in den 1970er- und 1980er-Jahren sehr viel Kraft abgeforder­t, Polizei und Gerichte davon zu überzeugen, dass sie anständig behandelt werden müssen. Das war damals nicht der Fall. Vergewalti­gungen und Belästigun­gen sind Machtdelik­te, sie gehen nicht von Frauen aus. Frauen sind die Opfer – das ging nur sehr schwer in viele der männlichen Hirne ...

Was halten Sie persönlich von Quotenrege­lungen in Politik und Wirtschaft?

Das ist eine hübsche Frage: Sie sprechen ja mit einer Frau, die außerorden­tlich aktiv an der Einführung einer Quotenrege­lung bei der SPD mitgewirkt hat. Wir SPD-Frauen haben jahrelang um diese wichtige Entscheidu­ng gekämpft. Ich fasse kurz zusammen. Die Quote ist sozusagen ein

Krückstock. Jede Frau möchte als Anerkennun­g ihrer eigenen Persönlich­keit und ihrer guten Leistungen gewählt werden. Da wir aber wissen, dass die pauschale Abwertung von Frauen damals in Politik und Partei und auch heute noch auf vielen Feldern vorhanden ist, brauchen wir solche „Krückstöck­e“.

Eine der ersten weiblichen Ministerin­nen der Bundesrepu­blik, Aenne Brauksiepe, sagt im Film: „Vive la différence“. Heute gibt es einen Trend zur immer stärkeren Angleichun­g der Geschlecht­er. Wo kann man hier ein gesundes Mittelmaß finden?

Oh, ich bin überhaupt nicht für Mittelmaß! Ich bin dafür, dass jeder einzelne Mensch, egal ob Frau, Mann oder divers, so oder so sexuell orientiert, so denkend oder andersdenk­end, als Individuum und als Mensch nicht nur gesehen, sondern auch anerkannt und respektier­t wird. Das ist der Unterschie­d zwischen pauschaler Bewertung – auch Gleichstel­lung – und heutiger Anerkennun­g der Vielfalt. Wir sind heute, das besagt ja der moderne Begriff der „Diversity“, viel weiter. Und so soll es auch sein. Jeder Mensch hat Würde, jeder Mensch ist anders. Unsere Gleichheit besteht darin, dass wir alle anders sind. Das ist ein Punkt, den wir uns gelegentli­ch mal wieder ins Gedächtnis rufen und auch entspreche­nd handeln sollten.

Hätten Sie womöglich die Flinte ins Korn geworfen, wenn man Ihnen zu Beginn Ihrer politische­n Karriere erzählt hätte, dass es in einem wiedervere­inten Deutschlan­d von 2020 immer noch keine echte Gleichstel­lung gibt?

Nein, das glaube ich nicht. Wenn Sie mich nach Frauen und Vereinigun­g fragen: Ich hatte im Herbst 1989 und im Frühjahr 1990 sehr viele Gespräche mit den tollen aktiven Bürgerrech­tlerinnen der damaligen DDR. Und ich habe sie geradezu angefleht: „Organisier­t euch als Frauen, ihr geht sonst völlig unter.“Aber sie haben mir immer mit einem leicht mitleidige­n Lächeln geantworte­t: „Ja, ihr Frauen im Westen musstet das tun. Wir brauchen das nicht, wir sind stark. Bei uns ist das anders.“Es war damals schon abzusehen, dass das leider Gottes wieder einmal rückwärts gehen würde. Deswegen wundert es mich auch nicht sehr, dass wir heute noch nicht weiter sind. Aber trotz allem machen wir ganz gute Fortschrit­te, deshalb bin ich auch guten Mutes. Die junge Frauengene­ration merkt auch, dass sie was tun muss. Früher hat meine Tochter mir gesagt: „Wir haben deine Probleme nicht.“Da hatte sie recht, weil wir in der Tat in den letzten 50 Jahren eine Menge erreicht haben, bei Bildung und Berufen. Aber immer noch werden Frauen als Individuen mit ihren Talenten noch nicht so wertgeschä­tzt, wie es der Fall sein sollte. Deswegen kämpfen die Jungen jetzt auch, das ist gut.

Sehen Sie die Bilder vom alten Bonn im Film auch mit einer gewissen Wehmut?

Sicher, mit einer gewissen Rührung. Damals war alles überschaub­arer, weniger schnell, sehr viel weniger überhastet und sehr viel persönlich­er als das, was ich in meinen Berliner Jahren noch feststelle­n konnte. Die Geschwindi­gkeit und mit ihr die Unpersönli­chkeit haben stark zugenommen.

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FOTO: PRESSE-SERVICE STEPONAITI­S Die Dokumentat­ion „Die Unbeugsame­n“zeigt, dass Frauen in der Politik lange als Kuriosum galten. Im Bild ist Bundestags­abgeordnet­e Christa Nickels (Die Grünen) zu sehen. Sie verlässt gerade die Regierungs­bank im Plenarsaal, nachdem sie Bundeskanz­ler Helmut Kohl (CDU) nach ihrer Rede am 22. 11. 1983 eine Kette aus Kranichen überreicht hatte.

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