Reizfigur ohne Selbstvertrauen
Leroy Sané wird von eigenen Fans ausgepfiffen – Wie Trainer Nagelsmann und der FC Bayern damit nun umgehen
MÜNCHEN - Das Schlimmste an den Pfiffen der eigenen Fans gegen Leroy Sané am Sonntagabend in der Allianz Arena war: Für den 25-jährigen Bayern-Profi war es ein Déjà-vu-Erlebnis. Im Juni war dies dem Flügelstürmer an Ort und Stelle schon einmal widerfahren: Beim 2:2 der DFB-Auswahl im letzten EM-Gruppenspiel gegen Ungarn wurde der Nationalspieler nach einem missglückten Dribbling, Fehlpässen und einem schwachen Freistoß von den deutschen Fans ausgepfiffen – eine verzichtbare Erfahrung, und das bei seinem einzigen StartelfEinsatz während des Turniers, einer EM zum Vergessen. Für die Nationalelf und für Hoffnungsträger Sané. Von maximal 360 kam er lediglich 112 Minuten zum Einsatz. Und blieb ohne Tor, ohne Vorlage.
Noch bitterer nun das Echo auf seine sehr schwache Leistung als Rechtsaußen mit Defensivaufgaben (lediglich 25 Prozent gewonnene Zweikämpfe, mit 37 Prozent die höchste Fehlpassquote aller Bayern-Profis) beim 3:2 gegen den 1. FC Köln: Als seine Auswechslung zur Halbzeit verkündet wird, gibt es Applaus, ja sogar Jubel im Stadion. Verhöhnt zu werden – für einen Spieler die Höchststrafe.
An Supertalent Sané, der letzten Sommer von Manchester City für 45 Millionen zum FC Bayern kam, haben sich die Fans schon immer gerieben. Er ist eine Reizfigur. In Sané schlummert Weltklasse, er zeigt sie nur viel zu selten. Eine Frage der Einstellung, der Mentalität?
Sanés erste Saison bei Bayern (44 Pflichtspiel-Einsätze, zehn Tore, zwölf Vorlagen) war ordentlich bis okay, die Bosse erwarten sich jedoch eine deutliche Leistungssteigerung. Unter dem neuen Trainer Julian Nagelsmann erhofft man sich einen Neuanfang. Nun der Rückschlag. Erst die Pfiffe, dann auch noch Mitleid von Bayerns ehemaligem Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge bei „Bild“: „Erst mal hat es mir nicht gefallen. Ich habe Mitleid mit ihm. Er bemüht sich, hat aber kein Selbstvertrauen. Er hat keine gute EM gespielt. Mit seiner Ablöse und Gehalt kommt die Kritik der Fans langsam hoch.“
Trainer Nagelsmann meinte am Sonntagabend: „Es gehört sich eigentlich, dass die eigenen Fans die Spieler unterstützen. Besonders zu Hause ist die Unterstützung der richtige Weg.“Aber er verteidigte Sané auch nicht wirklich als es darum ging, wie er den Geschmähten nun aufbauen wolle: „Wir werden ganz normal mit ihm arbeiten und die Dinge besprechen, die wir besser machen wollen.“Doch was, wenn der gefrustete Sané nun in ein Formloch fällt? „Es gibt keinen Spieler auf der Welt, der nicht am liebsten Top-Leistung abruft. Aber nun demotiviert aufzutreten, würde ja gar keinen Sinn ergeben. Dann hätten die Pfiffe ja nichts bewirkt.“Klingt fast so, als wäre die Kritik der Fans Nagelsmann gar nicht so unrecht gekommen.
Am Montag stellte sich der Coach dann aber doch noch klar hinter seinen gedemütigten Spieler: „Viele Leute, die auf der Tribüne sitzen, haben auch schon mal einen Fehler gemacht in ihrer Arbeitsstelle – da kommt der Leroy auch nicht und pfeift, wenn irgendwas nicht passt.“Auch Sportvorstand Hasan Salihamidzic positionierte sich deutlich: „Das, was gestern passiert ist, wollen wir in unserer Allianz Arena nicht haben. Das geht gar nicht. Wir werden ihn schützen.“
Obwohl Sanés zeitweise Laissezfaire-Haltung auch bei einigen Mitspielern nicht gut ankommt, verurteilten diese die Pfiffe der Fans gegen ihren Kollegen. „Das war echt frech und bitter. Dass im ersten Spiel gegen einen Spieler von uns so was passiert, finde ich nicht in Ordnung“, sagte Joshua Kimmich. Und Vize-Kapitän Thomas Müller meinte: „Das wollen wir nicht, das ist nicht schön. Da erwarte ich von den Fans mehr Unterstützung für uns Spieler. Leroy hat auf jeden Fall die absolute Unterstützung von uns in der Mannschaft und ich hoffe, dass das auch auf die Ränge übertragen werden kann.“Wird schwierig – und zugleich Nagelsmanns
erste größere Prüfung in Mitarbeiterführung.
Und rein sportlich drängt ein Teenager auf Sanés Position als Linksaußen. Gegen Köln begeisterte der zur Pause eingewechselte Jamal Musiala (18) die Fans und den Chefcoach. „Jamal hat offensiv ein herausragendes Spiel gemacht“, sagte Nagelsmann. „Er hat seine Eins-gegen-Eins-Qualitäten, die bekannt sind, mal wieder gezeigt.“Das 1:0 hatte Musiala mit einem unwiderstehlichen Dribbling und schlauem Rückpass zu Robert Lewandowski vorbereitet. Für die Joker-Rolle ist der Deutsch-Brite eigentlich zu gut. Die spannende Frage nun: Nimmt Nagelsmann Sané raus und bringt Musiala?
Nein, eine Überraschung war es nicht mehr, als Bayern München am Montagmorgen mitteilte: „Joshua Kimmich verlängert Vertrag.“Die Bayern wissen, was sie an „Josh“haben, der wiederum ahnt, dass er woanders nicht glücklicher werden wird. „Er weiß“, sagte Vorstandschef Oliver Kahn, „dass er beim FC Bayern die Chance hat, alle seine ehrgeizigen Ziele zu verwirklichen. Das Paket, das wir ihm bieten können, ist für jeden internationalen Top-Spieler höchst attraktiv.“
Das Paket hat Kimmich übrigens selbst verhandelt, die Unterstützung durch einen Berater sah er offensichtlich als nicht erforderlich an. Allein das zeigt, wie der 26 Jahre alte Nationalspieler tickt.
„Er war sehr konsequent, er hat genau gewusst, was er will, auf was er Wert legt. Das zeigt, dass er Verantwortung übernimmt, auch für sich selbst“, sagte Kahn über die Verhandlungen. Kimmich traut sich alles zu, sein Wille, Antrieb und Selbstbewusstsein machen ihn zu einem Anführer. Deshalb soll das Paket dem Vernehmen nach auch ein achtstelliges Jahreshalt mit einer „Zwei“vorne beinhalten. „Das Finanzielle ist ein wichtiger Faktor, aber viel Geld verdienen kann man auch in anderen Ländern – mich haben auch andere Dinge gereizt“, betonte Kimmich. Er sieht viel Potenzial beim FC Bayern, wo er nun bis 2025 unterschrieben hat. Er wäre dann immer noch erst 31 Jahre alt, und wer ihn kennt, ahnt, dass er sich bis dahin mit nichts weniger zufrieden gibt als dauerhaftem Erfolg. Kimmich „wird beim FC Bayern in den nächsten Jahren Geschichte schreiben“, sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic, und von Kahn ist der Satz überliefert: „Der Joshua ist noch ehrgeiziger als ich. Das will ja schon einiges heißen.“(SID)