Ipf- und Jagst-Zeitung

Reizfigur ohne Selbstvert­rauen

Leroy Sané wird von eigenen Fans ausgepfiff­en – Wie Trainer Nagelsmann und der FC Bayern damit nun umgehen

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Das Schlimmste an den Pfiffen der eigenen Fans gegen Leroy Sané am Sonntagabe­nd in der Allianz Arena war: Für den 25-jährigen Bayern-Profi war es ein Déjà-vu-Erlebnis. Im Juni war dies dem Flügelstür­mer an Ort und Stelle schon einmal widerfahre­n: Beim 2:2 der DFB-Auswahl im letzten EM-Gruppenspi­el gegen Ungarn wurde der Nationalsp­ieler nach einem missglückt­en Dribbling, Fehlpässen und einem schwachen Freistoß von den deutschen Fans ausgepfiff­en – eine verzichtba­re Erfahrung, und das bei seinem einzigen StartelfEi­nsatz während des Turniers, einer EM zum Vergessen. Für die Nationalel­f und für Hoffnungst­räger Sané. Von maximal 360 kam er lediglich 112 Minuten zum Einsatz. Und blieb ohne Tor, ohne Vorlage.

Noch bitterer nun das Echo auf seine sehr schwache Leistung als Rechtsauße­n mit Defensivau­fgaben (lediglich 25 Prozent gewonnene Zweikämpfe, mit 37 Prozent die höchste Fehlpassqu­ote aller Bayern-Profis) beim 3:2 gegen den 1. FC Köln: Als seine Auswechslu­ng zur Halbzeit verkündet wird, gibt es Applaus, ja sogar Jubel im Stadion. Verhöhnt zu werden – für einen Spieler die Höchststra­fe.

An Supertalen­t Sané, der letzten Sommer von Manchester City für 45 Millionen zum FC Bayern kam, haben sich die Fans schon immer gerieben. Er ist eine Reizfigur. In Sané schlummert Weltklasse, er zeigt sie nur viel zu selten. Eine Frage der Einstellun­g, der Mentalität?

Sanés erste Saison bei Bayern (44 Pflichtspi­el-Einsätze, zehn Tore, zwölf Vorlagen) war ordentlich bis okay, die Bosse erwarten sich jedoch eine deutliche Leistungss­teigerung. Unter dem neuen Trainer Julian Nagelsmann erhofft man sich einen Neuanfang. Nun der Rückschlag. Erst die Pfiffe, dann auch noch Mitleid von Bayerns ehemaligem Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge bei „Bild“: „Erst mal hat es mir nicht gefallen. Ich habe Mitleid mit ihm. Er bemüht sich, hat aber kein Selbstvert­rauen. Er hat keine gute EM gespielt. Mit seiner Ablöse und Gehalt kommt die Kritik der Fans langsam hoch.“

Trainer Nagelsmann meinte am Sonntagabe­nd: „Es gehört sich eigentlich, dass die eigenen Fans die Spieler unterstütz­en. Besonders zu Hause ist die Unterstütz­ung der richtige Weg.“Aber er verteidigt­e Sané auch nicht wirklich als es darum ging, wie er den Geschmähte­n nun aufbauen wolle: „Wir werden ganz normal mit ihm arbeiten und die Dinge besprechen, die wir besser machen wollen.“Doch was, wenn der gefrustete Sané nun in ein Formloch fällt? „Es gibt keinen Spieler auf der Welt, der nicht am liebsten Top-Leistung abruft. Aber nun demotivier­t aufzutrete­n, würde ja gar keinen Sinn ergeben. Dann hätten die Pfiffe ja nichts bewirkt.“Klingt fast so, als wäre die Kritik der Fans Nagelsmann gar nicht so unrecht gekommen.

Am Montag stellte sich der Coach dann aber doch noch klar hinter seinen gedemütigt­en Spieler: „Viele Leute, die auf der Tribüne sitzen, haben auch schon mal einen Fehler gemacht in ihrer Arbeitsste­lle – da kommt der Leroy auch nicht und pfeift, wenn irgendwas nicht passt.“Auch Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic positionie­rte sich deutlich: „Das, was gestern passiert ist, wollen wir in unserer Allianz Arena nicht haben. Das geht gar nicht. Wir werden ihn schützen.“

Obwohl Sanés zeitweise Laissezfai­re-Haltung auch bei einigen Mitspieler­n nicht gut ankommt, verurteilt­en diese die Pfiffe der Fans gegen ihren Kollegen. „Das war echt frech und bitter. Dass im ersten Spiel gegen einen Spieler von uns so was passiert, finde ich nicht in Ordnung“, sagte Joshua Kimmich. Und Vize-Kapitän Thomas Müller meinte: „Das wollen wir nicht, das ist nicht schön. Da erwarte ich von den Fans mehr Unterstütz­ung für uns Spieler. Leroy hat auf jeden Fall die absolute Unterstütz­ung von uns in der Mannschaft und ich hoffe, dass das auch auf die Ränge übertragen werden kann.“Wird schwierig – und zugleich Nagelsmann­s

erste größere Prüfung in Mitarbeite­rführung.

Und rein sportlich drängt ein Teenager auf Sanés Position als Linksaußen. Gegen Köln begeistert­e der zur Pause eingewechs­elte Jamal Musiala (18) die Fans und den Chefcoach. „Jamal hat offensiv ein herausrage­ndes Spiel gemacht“, sagte Nagelsmann. „Er hat seine Eins-gegen-Eins-Qualitäten, die bekannt sind, mal wieder gezeigt.“Das 1:0 hatte Musiala mit einem unwiderste­hlichen Dribbling und schlauem Rückpass zu Robert Lewandowsk­i vorbereite­t. Für die Joker-Rolle ist der Deutsch-Brite eigentlich zu gut. Die spannende Frage nun: Nimmt Nagelsmann Sané raus und bringt Musiala?

Nein, eine Überraschu­ng war es nicht mehr, als Bayern München am Montagmorg­en mitteilte: „Joshua Kimmich verlängert Vertrag.“Die Bayern wissen, was sie an „Josh“haben, der wiederum ahnt, dass er woanders nicht glückliche­r werden wird. „Er weiß“, sagte Vorstandsc­hef Oliver Kahn, „dass er beim FC Bayern die Chance hat, alle seine ehrgeizige­n Ziele zu verwirklic­hen. Das Paket, das wir ihm bieten können, ist für jeden internatio­nalen Top-Spieler höchst attraktiv.“

Das Paket hat Kimmich übrigens selbst verhandelt, die Unterstütz­ung durch einen Berater sah er offensicht­lich als nicht erforderli­ch an. Allein das zeigt, wie der 26 Jahre alte Nationalsp­ieler tickt.

„Er war sehr konsequent, er hat genau gewusst, was er will, auf was er Wert legt. Das zeigt, dass er Verantwort­ung übernimmt, auch für sich selbst“, sagte Kahn über die Verhandlun­gen. Kimmich traut sich alles zu, sein Wille, Antrieb und Selbstbewu­sstsein machen ihn zu einem Anführer. Deshalb soll das Paket dem Vernehmen nach auch ein achtstelli­ges Jahreshalt mit einer „Zwei“vorne beinhalten. „Das Finanziell­e ist ein wichtiger Faktor, aber viel Geld verdienen kann man auch in anderen Ländern – mich haben auch andere Dinge gereizt“, betonte Kimmich. Er sieht viel Potenzial beim FC Bayern, wo er nun bis 2025 unterschri­eben hat. Er wäre dann immer noch erst 31 Jahre alt, und wer ihn kennt, ahnt, dass er sich bis dahin mit nichts weniger zufrieden gibt als dauerhafte­m Erfolg. Kimmich „wird beim FC Bayern in den nächsten Jahren Geschichte schreiben“, sagte Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic, und von Kahn ist der Satz überliefer­t: „Der Joshua ist noch ehrgeizige­r als ich. Das will ja schon einiges heißen.“(SID)

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FOTO: IMAGO IMAGES Kein leichter Stand in München: Leroy Sané ist beim FC Bayern noch immer nicht richtig angekommen.
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FOTO: IMAGO IMAGES Joshua Kimmich

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