Booster für den Südwesten
Drittimpfung, 2G-Regel, Schulstart – Was Baden-Württemberger jetzt wissen müssen
STUTTGART - In Bayern gibt es sie schon, in Baden-Württemberg geht es am Mittwoch los und schon bald laufen in ganz Deutschland die Auffrischungsimpfungen an. Nicht nur Menschen über 80 Jahre oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen dürfen sich dann die nächste Impfung holen, auch wer bei der ersten Impfserie einen Vektorimpfstoff von Astrazeneca oder von Johnson & Johnson erhalten hat, kommt für die Auffrischung infrage. Doch was bringt der neue Piks gegen Corona? Wer braucht ihn wirklich? Welche Regeln gelten nach den Ferien an Schulen und Kindergärten? Und wann kommt die 2G-Regel? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick.
Welche Gruppen kommen derzeit für eine Auffrischungsimpfung infrage?
Gedacht sind sie für Menschen, die bei der Erst- und Zweitimpfung zur ersten Priorisierungsgruppe gehört haben und bei denen die vollständige Impfung mindestens sechs Monate zurückliegt. Dies betrifft Menschen über 80 Jahre, aber auch Personen, die etwa in Pflegeeinrichtungen leben, Pflegebedürftige, die zu Hause gepflegt werden, oder etwa Personen mit einer Immunschwäche. Auch Personen, die ausschließlich Vektorviren-Impfstoffe von Astrazeneca oder die Einmalimpfung von Johnson & Johnson erhalten haben, können eine Auffrischimpfung bekommen – unabhängig von ihrem Alter. Für Beschäftigte wie etwa Pflegekräfte wird eine Auffrischimpfung derzeit nicht grundsätzlich empfohlen, heißt es aus dem Sozialministerium. Bei individuellem Wunsch und nach entsprechender ärztlicher Aufklärung sei diese jedoch ebenfalls ab 1. September möglich.
Die Impfzentren schließen Ende September, es gibt nur 18 mobile Impfteams. Wie soll das funktionieren?
Das Land ist überzeugt, dass das Angebot ausreicht. Die Pflegeheime und anderen Einrichtungen würden durch die Heim- und Hausärzte versorgt. Neben den festen mobilen Impfteams könnten alle Impfzentren weitere Gruppen aus den eigenen Kapazitäten besetzen. „Die Zahl 18 ist daher nicht in Stein gemeißelt“, hieß es. „Insgesamt gehen wir davon aus derzeit, dass ausreichend mobile Impfteams zur Verfügung stehen.“SPD-Fraktionschef Andreas Stoch ist da nicht so überzeugt: „Es ist illusorisch, diese Aufgabe allein den Hausarztpraxen zu überlassen“, sagt er und fordert eine Fortsetzung für die Impfzentren. „Wenn die Impfzentren oft kaum zur Hälfte ausgelastet sind, müssen sie nicht die größten Stadthallen belegen“, schlägt er vor. „Aber in kleinerem Rahmen sind sie nötig.“
Was halten die Wissenschaftler davon?
Kommt darauf an, von welcher Gruppe die Rede ist. Für die meisten Geimpften ist eine Auffrischung im Herbst nach Überzeugung des Virologen Christian Drosten nicht nötig. „Die Schutzwirkung der CoronaVakzine ist viel besser als beispielsweise bei den Influenza-Impfstoffen“, sagte er Mitte August. Bei alten Menschen sowie bestimmten Risikopatienten hält Drosten eine Auffrischungsimpfung in diesem Herbst jedoch durchaus für sinnvoll. „Nach einem halben Jahr geht das über die Impfung erworbene Antikörper-Level vor allem bei sehr alten Menschen deutlich runter.“Die Ständige Impfkommission (Stiko) am RobertKoch-Institut (RKI) hat noch keine Empfehlung für die Auffrischung ausgesprochen.
Was hält die Patientenstiftung von der Praxis? Patientenschützer Eugen Brysch beklagt das Fehlen unabhängiger Analysen. „Es gibt keinen Automatismus zwischen Infektion, Viruslast, Infektiosität und Symptomatik“, sagt er. „Wir diskutieren noch viel zu viel auf der Wahrscheinlichkeitenebene und wissen gar nicht, was das Virus mit uns macht.“Auch die Drittimpfung werde angeboten, ohne dass ausreichend Wissen darüber vorhanden sei, wie der Körper auf die ersten beiden
Spritzen oder auf eine Infektion regiert habe. Er fordert, dass bei allen Impfkandidaten zunächst der tatsächliche Immunstatus erhoben wird.
Warum bekommen nicht alle eine Auffrischung angeboten? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erwägt das in einem zweiten Schritt, nachdem also etwa die Risikogruppen damit versorgt sind. Doch neben der Logistik spielen auch ethische Überlegungen eine Rolle: Ist es vertretbar, immungesunden Mittdreißigern, die schon vollständig geimpft sind, in Deutschland eine Auffrischung zu geben, während in anderen, ärmeren Ländern viele Ältere, Geschwächte und Mediziner noch ungeschützt sind? Spahn wies zuletzt darauf hin, dass alle noch ausstehenden Astrazeneca-Lieferungen an die internationale Impfstoffinitiative Covax gingen. Sein Ziel sei beides: Auffrischungen zu gewährleisten und den ärmeren Staaten Impfstoff zu spenden, sagte Spahn dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisiert die Pläne für Auffrischungen bei gesunden Menschen.
Was gilt für Menschen, die noch gar keinen Impfschutz haben?
Das Land will Impfgegner weiter unter Druck setzen und schließt auch schärfere Eingriffe ins Privatleben von Menschen nicht aus, die sich nicht impfen lassen wollen. Inzwischen gebe es eine „Pandemie der Ungeimpften“, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) dem SWR. Die Sieben-Tage-Inzidenz bei Geimpften liege bei 13, die der Ungeimpften dagegen bei knapp 150. Sollten sich die Zahlen nicht verbessern, sei auch eine sogenannte 2GRegel der „richtige Schritt“, sagte er. Das würde bedeuten, dass nur noch Geimpfte oder Genesene etwa Restaurants oder Kinos besuchen dürften. Ein negatives Testergebnis reicht dann nicht mehr aus. Die 2GRegel soll deshalb Teil der nächsten Corona-Verordnung werden. „Wenn die Zahl von 300 Intensivbetten überschritten ist, könnten wir, so unsere Überlegungen, für einige Zeit 2G für Ungeimpfte einführen“, sagte Uwe Lahl, Amtschef im Sozialministerium. Über die genauen Eingriffsschwellen wird derzeit aber noch diskutiert. Bis zum Wochenende, spätestens aber Anfang nächster Woche, soll eine Einigung vorliegen, sagte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Welche Regeln gelten nach den Ferien an Schulen und Kitas?
Statt Quarantäne müssen sich alle Schüler einer Klasse fünf Tage lang mindestens mit einem Schnelltest täglich testen, sollte ein Mitschüler infiziert sein. Ausnahmen gelten nach Angaben des Kultusministeriums etwa für Grundschüler und Grundstufen der sonderpädagogischen Bildungsund Beratungszentren. Hier müssen sich Kontaktpersonen nur einmal vor Wiederbetreten der Einrichtung testen lassen. Auch dürften bei einem Corona-Fall für fünf Schultage alle Schüler der betroffenen Klasse oder Gruppe nur in diesem Verbund unterrichtet werden.
Kritik an den Änderungen kommt vom Philologenverband und der GEW. Er gehe davon aus, dass im Herbst Corona an den Schulen massiv toben wird, sagte etwa Ralf Scholl, Vorsitzender des badenwürttembergischen Verbands der Gymnasiallehrer. Statt die Quarantäneregeln in den weiterführenden Schulen zu lockern, hätte das Land dafür sorgen müssen, dass alle Klassenzimmer rechtzeitig mit Luftfiltern ausgestattet werden, sagte auch GEW-Chefin Monika Stein.
Das Kultusministerium hielt dagegen: „Es ist nicht in Ordnung, wie die Gewerkschaften mit einer Reihe von falschen Behauptungen Unruhe vor dem Schuljahresbeginn erzeugen wollen“, sagte ein Sprecher von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne). Von einem Abbau der Sicherheitsmaßnahmen könne keine Rede sein. Man habe mit der Maskenund Testpflicht, mit dem Förderprogramm für Luftfilter, den Impfangeboten für Schülerinnen und Schüler ab zwölf Jahren „deutlich mehr Sicherheitszäune eingezogen, als für einen Großteil des restlichen gesellschaftlichen Lebens gelten“.