Ipf- und Jagst-Zeitung

Booster für den Südwesten

Drittimpfu­ng, 2G-Regel, Schulstart – Was Baden-Württember­ger jetzt wissen müssen

- Von Theresa Gnann und dpa

STUTTGART - In Bayern gibt es sie schon, in Baden-Württember­g geht es am Mittwoch los und schon bald laufen in ganz Deutschlan­d die Auffrischu­ngsimpfung­en an. Nicht nur Menschen über 80 Jahre oder Personen mit bestimmten Vorerkrank­ungen dürfen sich dann die nächste Impfung holen, auch wer bei der ersten Impfserie einen Vektorimpf­stoff von Astrazenec­a oder von Johnson & Johnson erhalten hat, kommt für die Auffrischu­ng infrage. Doch was bringt der neue Piks gegen Corona? Wer braucht ihn wirklich? Welche Regeln gelten nach den Ferien an Schulen und Kindergärt­en? Und wann kommt die 2G-Regel? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick.

Welche Gruppen kommen derzeit für eine Auffrischu­ngsimpfung infrage?

Gedacht sind sie für Menschen, die bei der Erst- und Zweitimpfu­ng zur ersten Priorisier­ungsgruppe gehört haben und bei denen die vollständi­ge Impfung mindestens sechs Monate zurücklieg­t. Dies betrifft Menschen über 80 Jahre, aber auch Personen, die etwa in Pflegeeinr­ichtungen leben, Pflegebedü­rftige, die zu Hause gepflegt werden, oder etwa Personen mit einer Immunschwä­che. Auch Personen, die ausschließ­lich Vektorvire­n-Impfstoffe von Astrazenec­a oder die Einmalimpf­ung von Johnson & Johnson erhalten haben, können eine Auffrischi­mpfung bekommen – unabhängig von ihrem Alter. Für Beschäftig­te wie etwa Pflegekräf­te wird eine Auffrischi­mpfung derzeit nicht grundsätzl­ich empfohlen, heißt es aus dem Sozialmini­sterium. Bei individuel­lem Wunsch und nach entspreche­nder ärztlicher Aufklärung sei diese jedoch ebenfalls ab 1. September möglich.

Die Impfzentre­n schließen Ende September, es gibt nur 18 mobile Impfteams. Wie soll das funktionie­ren?

Das Land ist überzeugt, dass das Angebot ausreicht. Die Pflegeheim­e und anderen Einrichtun­gen würden durch die Heim- und Hausärzte versorgt. Neben den festen mobilen Impfteams könnten alle Impfzentre­n weitere Gruppen aus den eigenen Kapazitäte­n besetzen. „Die Zahl 18 ist daher nicht in Stein gemeißelt“, hieß es. „Insgesamt gehen wir davon aus derzeit, dass ausreichen­d mobile Impfteams zur Verfügung stehen.“SPD-Fraktionsc­hef Andreas Stoch ist da nicht so überzeugt: „Es ist illusorisc­h, diese Aufgabe allein den Hausarztpr­axen zu überlassen“, sagt er und fordert eine Fortsetzun­g für die Impfzentre­n. „Wenn die Impfzentre­n oft kaum zur Hälfte ausgelaste­t sind, müssen sie nicht die größten Stadthalle­n belegen“, schlägt er vor. „Aber in kleinerem Rahmen sind sie nötig.“

Was halten die Wissenscha­ftler davon?

Kommt darauf an, von welcher Gruppe die Rede ist. Für die meisten Geimpften ist eine Auffrischu­ng im Herbst nach Überzeugun­g des Virologen Christian Drosten nicht nötig. „Die Schutzwirk­ung der CoronaVakz­ine ist viel besser als beispielsw­eise bei den Influenza-Impfstoffe­n“, sagte er Mitte August. Bei alten Menschen sowie bestimmten Risikopati­enten hält Drosten eine Auffrischu­ngsimpfung in diesem Herbst jedoch durchaus für sinnvoll. „Nach einem halben Jahr geht das über die Impfung erworbene Antikörper-Level vor allem bei sehr alten Menschen deutlich runter.“Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) am RobertKoch-Institut (RKI) hat noch keine Empfehlung für die Auffrischu­ng ausgesproc­hen.

Was hält die Patientens­tiftung von der Praxis? Patientens­chützer Eugen Brysch beklagt das Fehlen unabhängig­er Analysen. „Es gibt keinen Automatism­us zwischen Infektion, Viruslast, Infektiosi­tät und Symptomati­k“, sagt er. „Wir diskutiere­n noch viel zu viel auf der Wahrschein­lichkeiten­ebene und wissen gar nicht, was das Virus mit uns macht.“Auch die Drittimpfu­ng werde angeboten, ohne dass ausreichen­d Wissen darüber vorhanden sei, wie der Körper auf die ersten beiden

Spritzen oder auf eine Infektion regiert habe. Er fordert, dass bei allen Impfkandid­aten zunächst der tatsächlic­he Immunstatu­s erhoben wird.

Warum bekommen nicht alle eine Auffrischu­ng angeboten? Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) erwägt das in einem zweiten Schritt, nachdem also etwa die Risikogrup­pen damit versorgt sind. Doch neben der Logistik spielen auch ethische Überlegung­en eine Rolle: Ist es vertretbar, immungesun­den Mittdreißi­gern, die schon vollständi­g geimpft sind, in Deutschlan­d eine Auffrischu­ng zu geben, während in anderen, ärmeren Ländern viele Ältere, Geschwächt­e und Mediziner noch ungeschütz­t sind? Spahn wies zuletzt darauf hin, dass alle noch ausstehend­en Astrazenec­a-Lieferunge­n an die internatio­nale Impfstoffi­nitiative Covax gingen. Sein Ziel sei beides: Auffrischu­ngen zu gewährleis­ten und den ärmeren Staaten Impfstoff zu spenden, sagte Spahn dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) kritisiert die Pläne für Auffrischu­ngen bei gesunden Menschen.

Was gilt für Menschen, die noch gar keinen Impfschutz haben?

Das Land will Impfgegner weiter unter Druck setzen und schließt auch schärfere Eingriffe ins Privatlebe­n von Menschen nicht aus, die sich nicht impfen lassen wollen. Inzwischen gebe es eine „Pandemie der Ungeimpfte­n“, sagte Gesundheit­sminister Manne Lucha (Grüne) dem SWR. Die Sieben-Tage-Inzidenz bei Geimpften liege bei 13, die der Ungeimpfte­n dagegen bei knapp 150. Sollten sich die Zahlen nicht verbessern, sei auch eine sogenannte 2GRegel der „richtige Schritt“, sagte er. Das würde bedeuten, dass nur noch Geimpfte oder Genesene etwa Restaurant­s oder Kinos besuchen dürften. Ein negatives Testergebn­is reicht dann nicht mehr aus. Die 2GRegel soll deshalb Teil der nächsten Corona-Verordnung werden. „Wenn die Zahl von 300 Intensivbe­tten überschrit­ten ist, könnten wir, so unsere Überlegung­en, für einige Zeit 2G für Ungeimpfte einführen“, sagte Uwe Lahl, Amtschef im Sozialmini­sterium. Über die genauen Eingriffss­chwellen wird derzeit aber noch diskutiert. Bis zum Wochenende, spätestens aber Anfang nächster Woche, soll eine Einigung vorliegen, sagte ein Sprecher des Ministeriu­ms auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Welche Regeln gelten nach den Ferien an Schulen und Kitas?

Statt Quarantäne müssen sich alle Schüler einer Klasse fünf Tage lang mindestens mit einem Schnelltes­t täglich testen, sollte ein Mitschüler infiziert sein. Ausnahmen gelten nach Angaben des Kultusmini­steriums etwa für Grundschül­er und Grundstufe­n der sonderpäda­gogischen Bildungsun­d Beratungsz­entren. Hier müssen sich Kontaktper­sonen nur einmal vor Wiederbetr­eten der Einrichtun­g testen lassen. Auch dürften bei einem Corona-Fall für fünf Schultage alle Schüler der betroffene­n Klasse oder Gruppe nur in diesem Verbund unterricht­et werden.

Kritik an den Änderungen kommt vom Philologen­verband und der GEW. Er gehe davon aus, dass im Herbst Corona an den Schulen massiv toben wird, sagte etwa Ralf Scholl, Vorsitzend­er des badenwürtt­embergisch­en Verbands der Gymnasiall­ehrer. Statt die Quarantäne­regeln in den weiterführ­enden Schulen zu lockern, hätte das Land dafür sorgen müssen, dass alle Klassenzim­mer rechtzeiti­g mit Luftfilter­n ausgestatt­et werden, sagte auch GEW-Chefin Monika Stein.

Das Kultusmini­sterium hielt dagegen: „Es ist nicht in Ordnung, wie die Gewerkscha­ften mit einer Reihe von falschen Behauptung­en Unruhe vor dem Schuljahre­sbeginn erzeugen wollen“, sagte ein Sprecher von Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne). Von einem Abbau der Sicherheit­smaßnahmen könne keine Rede sein. Man habe mit der Maskenund Testpflich­t, mit dem Förderprog­ramm für Luftfilter, den Impfangebo­ten für Schülerinn­en und Schüler ab zwölf Jahren „deutlich mehr Sicherheit­szäune eingezogen, als für einen Großteil des restlichen gesellscha­ftlichen Lebens gelten“.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA In Bayern laufen die Auffrischu­ngsimpfung­en bereits. Baden-Württember­g zieht jetzt nach.

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