Machtkampf unter Islamisten
Nach dem US-Abzug regieren die Taliban in Afghanistan – Doch es drohen neue Konflikte
BERLIN - Am Montagabend kurz vor Mitternacht hat der letzte US-Flieger Afghanistan verlassen. Das Land fällt nach zwei Jahrzehnten wieder an die Islamisten. Und nun? Die radikalislamischen Taliban sind die stärkste, aber beileibe nicht die einzige Gruppe, die in dem südasiatischen Land um Einfluss ringt. Droht dem Land ein Bürgerkrieg – und geht von ihm eine neue Gefahr für die Welt aus?
Die Herrscher – die Taliban
Wer sie sind: Die Taliban (Paschtu für „Schüler“) sind eine religiöse Gruppe, die Mitte der 1990er-Jahre in pakistanischen Gebetsschulen gegründet wurde. Ihre Basis waren afghanische Flüchtlinge meist paschtunischer Abstammung.
Was sie wollen: Die Taliban hängen einer strengen Lehre des sunnitischen Islams an und wollen das islamische Recht, die Scharia, einführen. Während ihrer ersten Herrschaft von 1996 bis zu ihrem Sturz durch die internationale Allianz 2001 war es Frauen verboten, ohne den Ganzkörperschleier Burka das Haus zu verlassen. Kunstwerke wie die BuddhaStatuen von Bamyan wurden gesprengt, bei kleinsten Vergehen drohten drakonische Strafen. Beobachter schätzen die Taliban inzwischen als gemäßigter ein.
Wie gefährlich sie sind: Die Taliban haben keine internationale Agenda wie der IS. Ihnen geht es um die Gründung eines Emirats Afghanistan mit der Scharia. Ihre Mitgliederzahl wird von den USA auf 75 000 geschätzt. Kopf der Taliban ist seit 2016 Hibatullah Achundsada, der öffentlich kaum in Erscheinung tritt.
Die Herausforderer – ISIS-K
Wer sie sind: Die Terrormiliz Islamischer Staat ist seit 2015 in Afghanistan präsent. Ihr lokaler Ableger nennt sich ISIS-K oder IS Provinz Khorasan und hat sich nach der antiken Region Khorasan benannt, die sich über Afghanistan hinaus bis weit in die Nachbarländer erstreckte.
Was sie wollen: Die Ziele des IS und der Gruppen, die ihm die Treue geschworen haben, sind die weltweite Verbreitung der islamistischen Ideologie sowie der Aufbau streng islamischer Staaten. In den vergangenen sechs Jahren machte ISIS-K vor allem durch schwere Terroranschläge sowie Hinrichtungen in Afghanistan von sich reden. Der IS ist trotz der religiösen Nähe mit den Taliban verfeindet. Sicherheitsexperten sehen hier die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs.
Wie gefährlich sie sind: Die Stärke des ISIS-K wird auf wenige Hundert
Mann geschätzt. Trotzdem verfügen sie über Schlagkraft, wie der Anschlag auf den Flughafen von Kabul mit 170 Toten sowie Raketenangriffe zeigen. Einige Beobachter befürchten, dass sich der IS nach seiner Niederlage im Irak und in Syrien wieder daranmacht, wie einst Al Kaida im Schutze Afghanistans Anschläge in westlichen Staaten zu planen. „Der IS ist besonders attraktiv für junge Dschihadisten aus aller Welt“, erklärte der Terrorexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik kürzlich.
Die anderen
Wer sie sind: Das Terrornetzwerk Al Kaida, das aus dem Schutz der afghanischen Berge die Anschläge vom 11. September in den USA plante, ist nach wie vor aktiv und mit den Taliban verbündet. Allerdings besteht es in Afghanistan nur noch aus wenigen Hundert Kämpfern. Auch andere Gruppen ringen um Aufmerksamkeit. Sie bestehen zum Teil aus ausländischen Kämpfern, die sich etwa der Islamischen Bewegung Usbekistans oder der Jamaat Ansarullah angeschlossen haben. Auch der pakistanische Ableger der Taliban, die „Tehrik-i-Taliban Pakistan“operieren von Afghanistan aus. Uigurische Milizionäre kämpfen im „East Turkestan Islamic Movement“.
Was sie wollen: Das Ziel der Scharia
teilen alle. Jedoch sind mehrere Gruppen durch ihre ethnische Zugehörigkeit auf Operationen in Nachbarländer gerichtet. Die Jamaat Ansarullah etwa besteht aus tadschikischen Nationalisten, die die Regierung in Duschanbe stürzen wollen.
Wie gefährlich sie sind: Die nördlich zentralasiatischen Staaten sowie Russland, China und Pakistan befürchten das Einsickern von Islamisten. Sie machen bereits Druck auf die Taliban, die Gruppen in Schach zu halten. Was ihnen hilft: Sowohl Moskau als auch Peking und Islamabad verfügen im Gegensatz zu den Amerikanern und Europäern noch über Botschaften in Kabul.
nur die Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban statt, es werden überdies internationale Kontakte gepflegt. Auch der deutsche
dürfe sich nicht von Extremisten abhängig machen. In der SPD setzt man hingegen auf finanziellen Druck gegenüber den Taliban. „Der wichtigste Hebel ist die humanitäre Hilfe“, sagt Außenexperte Nils Schmid. Afghanistan leide derzeit unter einer schweren Dürre und sei auf internationale Hilfe angewiesen. Zwar hat die Bundesregierung ein Hilfspaket von 100 Millionen Euro aufgelegt, aber die Entwicklungshilfe für das Land – jährlich immerhin 430 Millionen Euro – ist vorerst ausgesetzt. Ob wieder Geld fließen wird, hängt auch davon ab, wie die Gespräche mit den Taliban verlaufen. Im Auswärtigen Amt ist man zuversichtlich, dass die Verhandlungsposition der Deutschen gut sei. „Sie brauchen uns mehr als wir sie“, heißt es in Diplomatenkreisen.