Ipf- und Jagst-Zeitung

Der letzte lebende Bee Gee

Barry Gibb wird 75 – Mit seinen Brüdern hat er mehr als 1000 Songs geschriebe­n

- Von Philip Dethlefs

LONDON (dpa) - Seine Stimme hat die größten Hits der Bee Gees geprägt. Klassiker wie „Staying Alive“oder „Night Fever“wären ohne den Falsettges­ang von Barry Gibb undenkbar. Eher zufällig und relativ spät entdeckte der Sänger seine Kopfstimme. Bei den Aufnahmen zur Single „Nights On Broadway“im Januar 1975 schlug Produzent Arif Mardin vor, den Refrain mit kreischend­em Hintergrun­dgesang zu ergänzen. Barry versuchte es und staunte über seinen eigenen beeindruck­enden Stimmumfan­g. Ein neuer Bee-Gees-Sound war geboren.

Damals trug Frauenschw­arm Gibb zu seinem strahlend weißen Lächeln das Hemd offen und die vollen Haare dauergewel­lt und hochgeföhn­t. Von der Frisur ist heute nur ein wenig graues Resthaar übrig. Sein Lächeln zeigt Barry Gibb nicht mehr so häufig. Der letzte überlebend­e Bee Gee, der an diesem Mittwoch 75 Jahre alt wird, ist nachdenkli­ch geworden. Maurice Gibb starb 2003, Robin 2012. Der jüngste Bruder Andy, der nie offizielle­s Mitglied der Band war, war schon 1988 gestorben.

Schon als Kind trat Gibb in den 1950er-Jahren mit seinen Brüdern auf. Geboren am 1. September 1946 in Douglas auf der Isle of Man, lebt er mit seiner Familie einige Jahre in Manchester, wo er mit den drei Jahre jüngeren Zwillingen Robin und Maurice die Skiffle-Band The Rattlesnak­es gründet. Als Zwölfjähri­ger wandert er mit der Familie nach Australien aus. Aus den Rattlesnak­es werden die Bee Gees, die mit ihrem genialen Harmoniege­sang nicht nur in Down Under für Aufsehen sorgen, sondern auch in ihrer alten Heimat.

Für die Karriere der Söhne siedelt die Familie 1967 zurück nach Großbritan­nien, wo die British Invasion mit Bands wie den Beatles und den Rolling Stones Fahrt aufnimmt. „Wir waren uns alle drei einig, dass wir um jeden Preis berühmt sein wollten“, erinnert sich Gibb in dem hervorrage­nden Dokumentar­film „How Can You Mend A Broken Heart“, der im vergangene­n Jahr veröffentl­icht wurde.

Noch im selben Jahr erscheint – nach zwei zuvor nur in Australien veröffentl­ichten Alben – das internatio­nale Debüt „Bee Gees’ 1st“mit dem Megahit „To Love Somebody“. Der Grundstein für die Weltkarrie­re ist gelegt, doch der Ruhm hat Schattense­iten. Die Harmonie existiert bald nur noch im Gesang der Bee Gees. Mit wachsendem Erfolg verschlech­tert sich das Verhältnis der Brüder. „Als wir berühmt wurden, habe ich aufgehört, Robin und sein Privatlebe­n zu kennen, und genauso mit Maurice“, klagt Barry Gibb. „Wir haben nicht mehr dasselbe Leben gelebt.“Für kurze Zeit verlässt Robin sogar die Gruppe. Barry und er kommunizie­ren zeitweise nur durch Maurice miteinande­r – oder sprechen in der britischen

Presse übereinand­er. In den 1970erJahr­en kämpft das Trio mit Alkoholund Drogenprob­lemen. Kommerziel­l geht es auch bergab. „Es gab überhaupt kein Interesse mehr an uns“, so Barry Gibb. Bis sich die Bee Gees 1975 neu erfinden. Ihr 13. Album „Main Course“, das komplett in den USA aufgenomme­n wird, enthält moderne Elemente – Funk, Soul und R&B. Die Hitsingles „Nights On Broadway“und „Jive Talkin’“markieren nicht nur die Geburt von Barry Gibbs Falsettges­ang, sondern sind auch Wegweiser für den Discosound.

Mit ihrem Beitrag zum Soundtrack des John-Travolta-Kultfilms „Saturday Night Fever“werden die Bee Gees dann – eher ungewollt – zu Ikonen der Disco-Bewegung. In nur wenigen Wochen produziere­n sie die drei Nummer-1-Hits „Stayin’ Alive“, „How Deep Is Your Love“und „Night Fever“, dazu „More Than A Woman“und „If I Can’t Have You“.

Die Band spielt weltweit ausverkauf­te Konzerte, doch wieder hat der Erfolg auch eine Kehrseite. Die Bee Gees werden zum Hasssymbol der „Disco Sucks“-Bewegung und genervter Radio-Discjockey­s. „Nachdem Disco in Ungnade gefallen war und wir angegriffe­n wurden, weil unser ,Saturday Night Fever‘-Soundtrack zu allgegenwä­rtig war, mussten wir in Deckung gehen“, erzählte Barry Gibb vor Kurzem im „Zeit“-Interview.

Die Band zieht sich für ein paar Jahre zurück. Die Brüder schreiben für andere Künstler. „Das half uns, zu überleben. Außerdem war es ein Statement: Wir sind Songwriter, und zwar gute!“Barry Gibb bringt erstmals ein Soloalbum heraus. Zwei weitere sind bis heute unveröffen­tlicht. Erst 2016 erscheint wieder ein Solowerk von ihm: „In The Now“.

Ein gutes Händchen hat Sir Barry, wie er sich seit dem Ritterschl­ag 2018 nennen darf, auch als Produzent. Für Barbra Streisand schreibt und produziert er 1980 ihr erfolgreic­hstes Album „Guilty“mit Evergreens wie „Woman In Love“oder dem Titelsong, einem Duett der beiden. „Es war einfach das leichteste Album, das ich je gemacht habe“, schwärmte Streisand erst kürzlich in einem BBC-Interview. 2005 nehmen die beiden den Nachfolger „Guilty Pleasures“auf.

Ein bisschen was vom markanten Bee-Gees-Stil ist stets erkennbar, etwa bei Dionne Warwicks „Heartbreak­er“oder Diana Ross’ „Chain Reaction“. Mehr als 1000 Songs schrieb Barry Gibb mit seinen Brüdern, darunter 20 Nummer-1-Hits in den USA und Großbritan­nien. Für Gibb nur eine Zahl, die angesichts der schweren persönlich­en Verluste an Bedeutung verliert. Er vermisst seine drei jüngeren Brüder. „Ich hätte sie lieber alle hier und dafür keinen einzigen Hit.“

Noch immer schreibt er neue Musik, wie er der „Zeit“verriet, wenn auch nicht mehr ganz so häufig. „Oft wache ich mitten in der Nacht auf, weil mir ein Song durch den Kopf rauscht. Ein Aufnahmege­rät liegt immer neben meinem Bett.“Anfang des Jahres veröffentl­ichte Barry Gibb das Duett-Album „Greenfield­s“, auf dem er mit Stars wie Dolly Parton oder Keith Urban Bee-Gees-Songs im Countrysti­l singt.

Mit seiner zweiten Frau Linda, einer ehemaligen Miss Edinburgh, ist Barry Gibb seit 1970 verheirate­t. Das Paar lebt überwiegen­d in Miami und gelegentli­ch in Großbritan­nien. Die beiden haben fünf Kinder. Sohn Steve (47) ist Gitarrist in der Band seines Vaters.

Bald will Barry Gibb, der 2017 beim ikonischen Glastonbur­y-Festival auftrat, auf die Bühne zurückkehr­en. „Ich kann es nicht erwarten, diesen Song wieder für euch zu spielen“, schreibt er bei Instagram unter eine Live-Performanc­e seines „Home Truth Song“und fragt, welche Lieder seine Fans hören wollen.

„Stayin’ Alive“garantiert.

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FOTO: BRIGANI-ART/IMAGO IMAGES Barry Gibb (rechts; links Maurice, in der Mitte Robin Gibb) bei einem Bee-Gees-Konzert 1989.
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FOTO: DPA Sir Barry Gibb nach dem Ritterschl­ag durch Prinz Charles 2018.

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