Kulturgut in Gefahr
BAD WURZACH - Wer öfters Adelgund Mahler, der Tochter des MalerPoeten Sepp Mahler, begegnet ist, kennt sie als energiegeladene, schier unermüdliche Frau. Sepp Mahler ist 1975 gestorben, seitdem hält sie sein Erbe lebendig. Jetzt, Ende August 2021, wirkt sie niedergeschlagen, enttäuscht. Der lange, bislang vergebliche Kampf um den Erhalt des Kulturdenkmales Sepp-Mahler-Haus hat viel Kraft gekostet. Die 77-Jährige kann, will nicht mehr. „Ich habe mir den Erhalt vom Mund abgespart“, sagt sie, „ohne öffentliche Hilfe“. Sie hätte gerne ein überschaubares Domizil und eine kleine Leibrente fürs Alter. Noch ist das Haus nicht verkauft, sind die drei Sammlungen – die des Malers, des Poeten Sepp Mahler sowie der Geschichte des Torfabbaus – nicht in alle Richtungen verstreut. Vielleicht gibt es doch ein Happy End.
Das Haus in der Ravensburger Straße 21 in Bad Wurzach ist alt, würde diverse Renovierungen gut vertragen. Erbaut hat es der Vater von Sepp Mahler im Jahr 1901, durchaus repräsentativ für die damalige Kleinstadt. Josef Mahler war Leiter des fürstlichen Torfabbaus im Ried, der größten Industrie Wurzachs mit 90 Beschäftigten. Es gab eine eigene Gasversorgung für die Beleuchtung im Haus, Badezimmer, Musikzimmer mit Klavier und mehr. Josef Mahler war Anhänger der Lebensreform, Vegetarier, mit Hochachtung vor allem Leben. Diese Haltung hat er seinem Sohn Sepp weitergegeben und der seiner Tochter Adelgund.
In diesem Ambiente wuchs der kleine Sepp auf, geboren wurde er am 30. Mai 1901 im Leprosenhaus, in der Torfmeister-Wohnung. Er besuchte die Volksschule, die Realschule, büxte mit 14 nach München aus. Die Schule war ihm ein Gräuel. Als „Geisteszwanggehirnhaus“bezeichnete er sie. Bildung bedeutete ihm die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit. Besinnung auf das, was einer in sich fühlt. Brüderlichkeit, freies, selbstbestimmtes Leben statt Fixierung auf Rollen und Leistung. Dieser Maxime blieb er sein ganzes Leben treu. Natürlich war er so Außenseiter im konservativen Wurzach. Zumal er später „Vagabundenbrüder“im Erdgeschoss seines Hauses wohnen ließ.
Die Bedeutung Sepp Mahlers geht weit hinaus über das Klischee des einsam im Moor Stehenden, der düstere Bilder malt. In München machte er eine Lehre zum Dekorationsmaler, studierte 1922/1923 an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Sein Ruhm begann, als er 1924 Aquarelle, Zeichnungen und Gedichte an Herwarth Walden nach Berlin schickte. Walden gab dort die avantgardistische Zeitschrift „Der Sturm“heraus, betrieb eine gleichnamige Galerie. Dort waren Mahlers Bilder neben Werken von Klee, Kokoschka, Feininger und anderen zu sehen.
Aber die Zeiten waren hart, Mahler wurde zum „Vagabund“. So nannten sich die Wanderarbeiter mit libertärer Gesinnung. Philosophen der Landstraße. Hunger und Entbehrungen. Aber auch unvergessliche Erlebnisse. Er zeichnete kleine Bilder, schrieb Gedichte, Erzählungen. 1929 kam Sepp Mahler wieder nach Hause. Seine Mutter war krank.
Sein weiteres Leben ist so ungewöhnlich, dass man es, wäre es ein Roman, für allzu kreativ erdacht halten würde. Mahler stellte Anfang der 1930er-Jahre in Stuttgart, in Berlin, in anderen Städten aus. Verkaufte zahlreiche Bilder, auch über den Berliner Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, der ja in der Nazizeit eine mehr als dubiose Rolle spielte. Plötzlich galt Mahlers Kunst als „entartet“. Am Tag nach dem Reichstagsbrand stand die Polizei vor der Tür. Mahler wurde nach Leutkirch ins Gefängnis eskortiert. Ein dunkles Loch im Bockturm. 46 Tage
saß er ein, ein freundlicher Wärter besorgte ihm Papier und Bleistifte. Die Nazis verhängten ein Ausstellungsverbot. Mahler hatte kein Einkommen mehr. Auch das Soldatsein ersparten ihm die Nazis nicht. Krank an Körper und Seele kam er 1942 wieder in die Heimat. Um diese Zeit entstanden dunkle, düstere Bilder.
Doch auch in der Not ist nicht alles dunkel. Die Liebe schlug ein wie der Blitz. Er lernte durch Zufall Gertrud Knausenberger kennen. 1943 wurde geheiratet 1944 kam Tochter Adelgund zur Welt. 1945 marschierten die Franzosen ein, Befreiung.
Die Zeit danach leuchtete hell, die Bilder wurden farbenfreudiger. Sepp Mahler konnte wieder ausstellen, Bilder verkaufen. Er erhielt eine kleine Kriegsschadensrente. Die Stadt Biberach erwarb Werke, ebenso die Staatsgalerie Stuttgart. In Saulgau eröffnete die Galerie Fähre, stellte Werke von Mahler aus. Mahler hatte in künstlerischen Vereinigungen engen Kontakt zu Otto Dix, zu André Ficus. Zeitungen stellten ihn vor, auch Gisela Linder, langjährige und bestens vernetzte Kulturredakteurin der
„Schwäbischen Zeitung“, schrieb diverse Beiträge.
Besonders glückselig machte ihn die Anerkennung seines literarischen Schaffens. Über 1000 Gedichte, Hunderte von Notizen und Fragmenten, Erzählungen, dazu mehrere dramatische Versuche. Zum Literarischen Forum Oberschwaben 1967 in Wangen schickte ihm der damalige Landrat Münch ein Telegramm: Er solle kommen, seine Gedichte lesen. Mahler lernte Schriftsteller wie Peter Renz kennen. Martin Walser schätzte ihn sehr.
Über 4000 Arbeiten Sepp Mahlers sind erhalten, plus Dokumente, Briefwechsel. Dazu der komplette literarische Nachlass. Und im Sepp-MahlerHaus, seit 2013 anerkanntes Kulturdenkmal, gibt es das wohl umfassendste Archiv zur Arbeit im Torf. Drei einzigartige Ausstellungen in einem Haus, das innen immer noch so eingerichtet ist, als habe der Künstler es gerade kurz mal für einen Spaziergang verlassen.
Wie es weitergeht, steht in den Sternen. Bürgermeisterin Alexandra Scherer argumentiert, die Stadt leiste bereits ihren Beitrag mit der SeppMahler-Ausstellung im Leprosenhaus. Das ist korrekt, und die Stadt am Ried zählt nicht zu den finanzstarken Kommunen. Freilich ist diese Präsentation im Leprosenhaus, gelinde gesagt, optimierungsfähig und selten offen. Adelgund Mahler bemühte sich an vielen Stellen, schrieb Briefe an Kulturverantwortliche, von Ulm über Ravensburg bis zum Bodenseekreis. Erstellte ein Gesamtkonzept: Das Haus als Tagungsraum, für Workshops, Begegnungen, mit ständig wechselnden Ausstellungen. Antworten blieben meist aus.
Also ein Verkauf des Hauses – und die Werke, die Schriften, die Historien zur Torfarbeit in alle Winde verstreut? Adelgund Mahler, die in München Früh-, Kunst- und Musikgeschichte studiert hat: „Das Haus ist für Oberschwaben wichtig. Die drei Sammlungen sollten zusammenbleiben.“Unterstützt wird sie von einem 66 Menschen starken Freundeskreis.
Positiv äußerte sich die Landtagsabgeordnete Petra Krebs (Grüne) nach einem Round-Table-Gespräch im März: „Unbedingt erhaltenswert.“Aber wie? Es bedarf eines zukunftsfähigen Konzeptes und eines Trägers.
Die Sichtbarkeit im Internet wäre ein erster, wichtiger Schritt. Digitalisiert sind die Werke dank Förderung durch den Landkreis Ravensburg, beziehungsweise der OEW, seit 2009. Das Haus mit seinem besonderen Flair, den Zimmern mit Werken und Erinnerungen und der historischen Einrichtung kann man aber kaum virtuell darstellen. Das Heim eines unangepassten, kreativen Geistes.