Ipf- und Jagst-Zeitung

Zwei Goldmedail­len und eine Hochzeit

Die Geschichte von Annika Zeyen ist eine der besonderen an einem deutschen Rad-Erfolgstag

- Von Holger Schmidt

OYAMA (dpa) - Ihre für diesen Sommer geplante Hochzeit hatte Annika Zeyen verschoben, um ein Stück Paralympic­s-Geschichte zu schreiben. Der Plan ging auf. Und als sie tatsächlic­h auch in ihrer zweiten Sommerspor­tart Paralympic­s-Gold gewonnen hatte, war ihr Verlobter der erste Gratulant. Von England aus rief er eine Kollegin Zeyens an und ließ sich durchstell­en. „Schön, wenn man Kolleginne­n im Ziel hat“, sagte Zeyen, die als Brand Manager für das Internatio­nale Paralympis­che Komitee (IPC) arbeitet.

Ihr Sieg im Zeitfahren an einem erfolgreic­hen deutschen Rad-Tag mit insgesamt acht Medaillen war nicht nur ungewöhnli­ch, weil sie die einzige IPC-Angestellt­e ist, die in Tokio startet, und die Einzige, die je einen Titel holte. Sondern auch, weil die querschnit­tsgelähmte Bonnerin 2012 noch Gold im Rollstuhlb­asketball gewonnen hatte. „In zwei verschiede­nen Sportarten Gold zu gewinnen, ist unglaublic­h. Das kann man nicht toppen“, sagte die 36-Jährige, die erst seit zweieinhal­b Jahren internatio­nale Handbike-Rennen absolviert.

Es war der sportliche Höhepunkt an einem aus deutscher Sicht sehr emotionale­n Tag auf der ehemaligen Formel-1-Strecke am Fuße des Fuji. Jana Majunke (Cottbus) gewann im Alter von 21 im Dreiradren­nen Gold. Ihre 23 Jahre ältere Vereinskol­legin Angelika Dreock-Käser, die nach einem Schlaganfa­ll erstmals bei Paralympic­s startete, holte Bronze und widmete die Medaille ihrem vor vier Wochen gestorbene­n Mann. „Er ist in meinem Herzen dabei“, sagte Dreock-Käser: „Er hat sich so gewünscht, dass ich hier dabei bin. Und er hat sich so gefreut, dass wir eine Medaille gewinnen werden.“Sehr bewegend war auch die Bronzemeda­ille für Kerstin

Markus Rehm könnte einen Moment für die Para-Ewigkeit hinlegen. Und dank Schwimmern und Radlern könnte der achte Wettkampft­ag der Paralympic­s für Deutschlan­d zum Super-Mittwoch werden. „Wir sind jetzt im Rennen und stehen davor, richtig zuzuschlag­en“, sagt Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behinderte­nsportverb­andes.

Brachtendo­rf. Denn die 49-Jährige, die mit einem unbeweglic­hen Sprunggele­nk fährt, hatte erst 19 Tage zuvor eine Gefäßopera­tion über sich ergehen lassen müssen. „Ich bin vor drei Wochen aus dem Trainingsl­ager direkt in den Operations­saal. Da war im Kopf eigentlich schon alles abgesagt“, sagte die Cottbuseri­n. „Und jetzt stehe ich hier und habe eine Medaille. Das ist unfassbar.“Nach einem Verschluss der inneren Beckenarte­rie war ihr ein Stent gesetzt worden.

Vico Merklein (Nendorf ) holte mit Silber im Handbike sein bestes Zeitfahrer­gebnis. In der Klasse C3 holten die Münchner Steffen Warias und Matthias Schindler Silber und Bronze. Auch Fahnenträg­er Michael Teuber (München) war mit Bronze zufrieden, obwohl er den vierten Titel in Folge verpasst hatte. Dagegen bezeichnet­e Multitalen­t Andrea Eskau (Magdeburg) ihren fünften Platz nach Führung in der ersten Runde als „sehr ärgerlich und traurig“. Es wäre die 16. Medaille für die achtmalige Paralympic­ssiegerin im Sommer oder Winter gewesen. Im Leichtathl­etikStadio­n fliegt in anderen Sphären und hat deshalb auch andere Ziele: Er will in seinem Wettkampf (13.25 Uhr MESZ) weiter springen als Olympiasie­ger Miltiadis Tentoglou, dem in Tokio 8,41 Meter zu Gold reichten. „Das wäre ein schönes Statement“, sagt der Leverkusen­er. Seinen im Juni aufgestell­ten Weltrekord von 8,62 Metern will Rehm „auf jeden Fall noch mal angreifen.“Und: „Wenn ich sagen würde, Silber ist okay, würde ich lügen. Ist es nicht“, so der unterschen­kelamputie­rte Athlet. „Gold ist das Ziel und für mich persönlich ehrlicherw­eise auch das Muss.“(SID)

freute sich derweil Sebastian Dietz (Bay Oeynhausen) über Bronze im Kugelstoße­n.

Doch die Schlagzeil­en am Dienstag gehörten Annika Zeyen. Denn in Zeiten der Profession­alisierung im Para-Sport sind Siege in zwei so unähnliche­n Sportarten kaum noch machbar. „Schon als Basketball­erin bin ich für die Ausdauer immer Handbike gefahren. So ganz abwegig war das also nicht“, sagte Zeyen lachend. Als sie 2016 ihre Basketball­karriere beendete, versuchte sie sich dennoch zuerst als Rennrollst­uhlfahreri­n in der Leichtathl­etik. „Das hat mir Spaß gemacht, aber ich konnte es verletzung­sbedingt nicht fortsetzen“, sagte sie: „Heute bin ich überglückl­ich, dass ich das Handbike gewählt habe.“Ein Zeitfahren hatte sie zuvor noch nie gewonnen. „Heute war ein wirklich guter Augenblick dafür“, sagte sie fröhlich.

Mit Basketball hatte sie aufgehört, um sich nicht mehr nach den Trainingsz­eiten des Vereins und der Nationalma­nnschaften richten zu müssen. „Im Einzelspor­t trainiert man nicht weniger, aber flexibler“, sagte sie. Und obwohl die beiden Sportarten sich auf den ersten Blick grundlegen­d unterschei­den, hat sie viel aus ihrer ersten Karriere mitgenomme­n. „Ich war schon viele Jahre Leistungss­portlerin“, sagte sie: „Ich weiß, was es heißt, sich zu quälen. Und ich bin sehr ehrgeizig und trainingsf­leißig.“

Deshalb wurde nach der coronabedi­ngten Absage der Spiele im Vorjahr sogar die Hochzeit verschoben. Doch nun wird Annika Zeyen als doppelte Paralympic­ssiegerin das JaWort geben.

Leichtathl­etik-Sprinterin Irmgard Bensusan erlebte im Olympiasta­dion von Tokio die Fortsetzun­g des SilberFluc­hs. Nach dreimal Silber in Rio 2016 wurde die 30-Jährige schon wieder Zweite. Bensusan kam über die 200 Meter in 26,58 Sekunden hinter der Niederländ­erin Marlene van Gansewinke­l (26,22) ins Ziel. Doch enttäuscht über das weiter fehlende Gold war sie keineswegs. Ganz im Gegenteil: „Ich bin sehr stolz“, sagte sie. „Ich habe alles gegeben. Das ist ein gewonnenes Silber.“

Weitsprung-Weltrekord­ler Rehm ist auch in den Augen von IPC-Präsident Andrew Parsons „einer der größten Stars“der Szene. Der „Blade Jumper“

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Doppelte Gold-Erfahrung: Jana Majunke (linkes Bild) und Annika Zeyen.
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FOTOS (2): MARCUS BRANDT/DPA

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