Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Überlastun­g vermeiden

Die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivst­ationen steigt – Wie gefährlich der Trend ist

- Von Hannes Koch

BERLIN - Die Zahl der CoronaSchw­erkranken in diesem Herbst hat die Intensivme­dizin-Vereinigun­g Divi in einer neuen Simulation berechnet. Je mehr Impfungen, desto weniger Intensivpa­tienten. Krankenhau­sPräsident Gerald Gaß sieht keine Gefahr der Überlastun­g.

Es ist ein Déjà-vu: Die Zahl der Corona-Patientinn­en und Patienten auf den Intensivst­ationen der Krankenhäu­ser steigt wieder stark an. Am letzten Augusttag wurden 1096 Kranke dort behandelt. Die größte Zahl während der Pandemie betrug gut 5700 Schwerkran­ke Anfang Januar. Damals war die drohende Überlastun­g der Intensivst­ationen und des Personals eine zentrale Begründung für die Einschränk­ungen des Alltagsleb­ens, Versammlun­gsverbote und Geschäftss­chließunge­n. Muss man deshalb bald erneut mit zusätzlich­en Beschränku­ngen rechnen?

„In einigen Regionen wird es auf den Intensivst­ationen schon wieder voll“, sagte Gernot Marx, Präsident der Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi). Insgesamt verfügen die hiesigen Krankenhäu­ser über gut 22 000 Intensivbe­tten mit Personal. Weitere 10 000 Plätze stehen in Reserve. Die Zahl scheint hoch - doch schon im Normalzust­and sind die Stationen beispielsw­eise durch Herzinfark­t- oder Krebskrank­e stark ausgelaste­t. Kommen Tausende Covid-Fälle hinzu, wird es schnell eng. Die Warnung lautet: Dann können nicht mehr alle Kranken optimal versorgt werden.

In einer neuen Studie analysiert Divi nun, wie es in diesem Herbst weitergehe­n könnte. Die Intensivme­diziner haben die Belegung der Krankenhäu­ser mathematis­ch simuliert, was eine Einschätzu­ng der Belastungs­grenze ermöglicht. „Die weiter steigende Impfquote wirkt der Überlastun­g entgegen“, erklärte die Organisati­on. Marx sagte: „Damit es aber nicht zu einer Überlastun­g der Stationen und des Personals kommt, müssen wir aufs Impftempo drücken.“

Divi hat mehrere Szenarien für den Zusammenha­ng zwischen Impfquote, Infektions­zahl (Inzidenz) und Intensivbe­legung durchgerec­hnet. Bei der „pessimisti­schen“Variante liegen die Impfquoten mit 70 bis 75 Prozent bei den mittleren Altersgrup­pen etwa auf der Linie der augenblick­lichen Entwicklun­g. Demnach würde heute erst bei Inzidenzen von 300 bis 400 Infektione­n pro 100 000 Einwohnern die hohe Januar-Zahl an Schwerkran­ken erreicht. Damals lag dem eine Inzidenz von um die 140 zugrunde.

„Im Unterschie­d zu den vorangegan­genen Pandemiewe­llen braucht es in diesem Herbst eine höhere Inzidenz, bis die Intensivbe­tten vergleichb­ar stark belegt sind“, sagte

Studienaut­or und Mathematik­er Andreas Schuppert. Der wesentlich­e Grund: Die Impfungen schützen vor schweren Corona-Verläufen. Je mehr Leute sich impfen lassen, desto weniger Patientinn­en und Patienten müssen beamtet werden.

Im optimistis­chen Szenario unterstell­t Divi beispielsw­eise für die 35bis 59-Jährigen eine Impfquote von 85 Prozent – deutlich höher als heute. Dann wird die Belastungs­grenze vom Januar erst bei Inzidenzen über 700 erreicht. „Nur wenige Prozentpun­kte in der Impfquote haben eine erhebliche Auswirkung auf die potenziell­e Intensivbe­legung im Herbst“, erklärte Mitautor Christian Karagianni­dis. „Für die Intensivme­dizin ist die Impfquote der über 35-Jährigen von entscheide­nder Bedeutung.“

Wie Divi sieht auch Janosch Dahmen „keine Entkopplun­g von Inzidenzen und der Belegung von Intensivst­ationen“. Der Notfallmed­iziner und grüne Bundestags­abgeordnet­e betonte: „Lediglich der Faktor ändert sich mit zunehmende­r Impfquote“. Bei gleicher Inzidenz führe dies „im Vergleich zu vorangegan­genen Wellen

zu zwei- bis dreifach weniger Intensivpa­tienten“.

Was heißt das unter dem Strich? Die Berechnung­en legen nahe, dass die mögliche Überlastun­g des Gesundheit­ssystems in der vierten Welle später eintritt. Das verschafft der Bevölkerun­g und den Regierende­n auf jeden Fall ein paar Wochen mehr Zeit, um zu reagieren. Divi sieht trotzdem die Gefahr, dass dieser Punkt irgendwann erreicht werden könnte – und empfiehlt dringend mehr Impfungen. Dahmen ebenfalls: Außerdem fordert er unter anderem „eine konsequent­e, inzidenzun­abhängige Umsetzung von 3G mit klar definierte­n Grenzwerte­n, ab wann 2G gilt“. „3G“bedeutet, dass geimpfte, genesene und getestete Personen beispielsw­eise Konzerte ohne Einschränk­ungen besuchen dürfen, bei „2G“ist das auf Geimpfte und Genesene beschränkt.

Es gibt aber auch eine andere Interpreta­tion. „Die Impfungen zeigen ihre Wirkungen, weit über 90 Prozent der Covid-Intensivpa­tienten sind ungeimpft“, sagte Gerald Gaß, Präsident der Krankenhau­sgesellsch­aft.

„Trotz steigender Infektions- und Patientenz­ahlen sehen wir auch heute, soweit absehbar, keine Gefahr einer Überlastun­g des Gesundheit­ssystems.“

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FOTO: WALTRAUD GRUBITZSCH/DPA Die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivst­ation legt deutschlan­dweit wieder über 1000.

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