Das andere Bild Venedigs
In Venedig ist wohl kaum ein Tourist anzutreffen, der nicht wie verrückt fotografiert. Die asiatischen Gäste sowieso, aber auch alle anderen Besucher zücken entzückt die Kamera. Zu malerisch sind die Motive in dieser morbiden Lagunenstadt. Und obwohl die Objektive scheinbar jeden Winkel ausleuchten, bleiben die geschossenen Fotos doch meist an der Oberfläche und zeigen nur das, was gemeinhin für typisch venezianisch gehalten wird. Ganz anders kommt da der Bildband „Venexia“daher, der soeben im Verlag zu Klampen erschienen ist. Fotograf Stefan Hilden hat hinter die Kulissen der Stadt geschaut und ist mit seiner Kamera der
Frage nachgegangen, wie es sich eigentlich in diesem Renaissance-Disneyland tatsächlich lebt, wo die Bewohner für den täglichen Bedarf einkaufen, ob die Stadt als solche noch funktioniert oder zur reinen Attraktion verkommen ist. Hildens Fotos, meist düstere Detailaufnahmen von Gebäuden, Höfen, Werkstätten und Gärten, könnten als Antithese zum üblichen Venedigbild verstanden werden. Würden dazwischen nicht immer wieder Fotos von Kanälen, Palazzi und Booten auftauchen, wäre der Betrachter schnell geneigt zu glauben oder zu hoffen, dass es sich dabei gar nicht um einen Venedig-Bildband handelt. Aber Hilden zeigt tatsächlich Venedigs
Untergang, der sich nicht leugnen lässt. Doch seine Fotos, seien sie auch noch so trist und deprimierend, üben einen gewissen Reiz aus. Genauso wie die alte, dem Verfall preisgegebene Stadt selbst. Und schließlich zeigt dieser Bildband auch einen hoffnungsvollen Wandel hin zu einem anderen Venedig. Er endet mit einem eigentlich tröstlichen Gedanken: „Jede Kultur bringt die sichtbaren Zeichen ihres Niedergangs hervor – heute stehen wir vor den Ruinen von morgen.“(sim)