Netzausbau statt Stromspeicher
Trotz Photovoltaikpflicht sehen Experten keinen Bedarf für Batterien in Häusern
STUTTGART - Soviel steht fest: Ab kommendem Jahr gilt eine Solardachpflicht für alle neu gebauten Gewerbegebäude. Dasselbe soll ab Mai 2022 auch für alle neuen Wohnhäuser gelten – so plant es die grünschwarze Landesregierung. Sie will das Klimaschutzgesetz im Herbst entsprechend ändern. Für die oppositionelle FDP greifen die Pläne jedoch zu kurz. Es fehle an Speichern, um den zusätzlichen Solarstrom zu nutzen. „Bei der Energiewende geht es nicht allein um die Erzeugung von Ökostrom, sondern ebenso um die Speicherung und die Flexibilität bei der Weiterleitung“, kritisiert der energiepolitische Sprecher der Liberalen im Landtag, Frank Bonath. „Grün-Schwarz aber führt eine Pflicht zur Photovoltaik ein und lässt den erzeugten Solarstrom dann ohne eine entsprechende Infrastruktur für dessen Speicherung ins Leere laufen“, sagt er und verweist auf aktuelle Zahlen aus dem Umweltministerium. Wie wichtig sind solche Speicher für das Gelingen der Energiewende? Ein Überblick:
Wie verbreitet sind private Stromspeicher im Südwesten? Belastbare Daten hierzu gibt es in Baden-Württemberg erst seit dem Jahr 2018, erklärt Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) auf Anfrage der FDP. Seitdem gebe es ein Speichermonitoring der RWTH Aachen, das vom Ministerium gefördert wird. Laut der Hochschule waren zum Ende des Jahres 2019 insgesamt 35 000 Speicher landesweit installiert mit einer Gesamtkapazität mit 270 Megawattstunden (MWh). Ganz neu liegen nun auch die Analysen der RWTH für 2020 vor: Demnach seien weitere 19 000 Heimspeicher mit 160 MWh Kapazität hinzugekommen. Diesen 54 000 Speichern und der Gesamtkapazität von 430 MWh stehen deutlich mehr Photovoltaikanlagen gegenüber. Ende 2020 waren laut Ministerium 380 000 Photovoltaikanlagen landesweit auf Gebäuden montiert.
Warum gibt es vergleichsweise wenige Speicher? „Investitionskosten für Stromspeicher übersteigen deren finanziellen Nutzen im Rahmen der Steigerung des Eigenverbrauchs“, erklärt Ministerin Walker. Heißt: Die Speicher sind – noch – nicht wirtschaftlich. Gibt der Staat indes Fördergeld dazu, ist die Nachfrage enorm. Das Land hat zwischen März 2018 und Juni 2019 ein erstes Förderprogramm aufgelegt. Wer sich eine neue PVAnlage aufs Dach montieren ließ, konnte Geld für einen Speicher beantragen. Mit gut zehn Millionen Euro des Landes seien 4000 Speicher installiert worden, erklärt das Ministerium. Anfang des Jahres hat das Land nochmal zehn Millionen Euro hierfür bereitgestellt. Ab April konnten Anträge gestellt werden. „Aufgrund der großen Nachfrage waren die Fördermittel bereits am 12. Mai 2021 erschöpft“, erklärt Walker.
Was können Speicher leisten? Laut Ministerium ermöglichen Speicher, den selbst erzeugten Strom auch selbst zu verbrauchen. Ohne Batterie könne sich ein Haushalt zu 30 bis 40 Prozent mit dem eigenen Strom versorgen. Diese sogenannte Autarkiequote steigt mit Speicher auf bis zu 80 Prozent. Außerdem können die Speicher dabei helfen, das Stromnetz vor Ort zu entlasten, wenn sehr viele Häuser in einem Bezirk zum Beispiel zur Mittagszeit gleichzeitig viel Strom erzeugen und ins Netz einspeisen.
Braucht es also viel mehr Speicher in Häusern?
Nein, sagt Professorin Martina Hofmann, die an der Hochschule Aalen den Lehrstuhl für Erneuerbare Energien leitet. „Durch ein Forschungsprojekt mit Einbeziehung der Bundesnetzagentur habe ich meine Meinung geändert“, sagt die promovierte Elektrotechnikerin. „Ich hatte gedacht, dass dezentrale Speicher sehr sinnvoll und wichtig sind. Der Netzausbau ist aber im Moment das Entscheidende zusammen mit dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien.“
Das betont auch Helmut Hertle, der bei den Technischen Werken Schussental für Netze und erneuerbare Energien verantwortlich ist. Die TWS habe Anfang des Jahres eine Untersuchung dazu gemacht, wie das Netz des Energieversorgers ausgebaut werden müsse. „Die künftige Dimensionierung unseres Stromnetzes wird nicht durch die Einspeisung bestimmt, sondern durch den Verbrauch“, sagt der Netze-Geschäftsführer. Er verweist auf den Boom bei E-Autos und den Wandel bei der Wärmeerzeugung weg von Öl und Gas und hin zu Wärmepumpen, die auch Strom bräuchten. Und: „Uns fallen Ende 2022 durch die letzten Atomkraftwerke, die dann abgeschaltet werden, 5000 Megawatt in Süddeutschland weg.“Allein die müssten zunächst ersetzt werden. „Einen Grund, Stromspeicher zu fördern, sehe ich deshalb derzeit nicht.“
Hertle wie auch Hofmann plädieren für eine große Vernetzung statt für Speicherung. „Es müssen genug Leitungen da sein, eine optimale Verbindung zwischen allen Verbrauchern und Erzeugern, weit über regionale und nationale Grenzen hinweg“, sagt Hofmann. Dafür plädiert auch Hertle, denn: „Je größer das Cluster, desto geringer ist der Speicherbedarf.“Um Energieverluste zu vermeiden, sollte Strom so wenig wie möglich gespeichert werden. Für die Energieversorger bedeutet dies noch eine Kraftanstrengung. „Um unsere Netze dafür fit zu machen, investieren wir in den nächste zehn Jahren doppelt so viel in den Ausbau wie in der Dekade zuvor. Zwischen 2030 und 2040 müssen wir laut unseren Untersuchungen die Investitionen nochmal verdoppeln“, so Hertle.
Sind größere Speicher in Stadtteilen oder Dörfern sinnvoller? „In der Theorie macht das Sinn“, sagt Professorin Hofmann, die gerade daran forscht. So könnten sich Haushalte gegenseitig versorgen und das Netz vor Ort würde entlastet. „Das könnte den Strompreis auch günstiger machen, denn ein Stadtwerk als Betreiber des Speichers kann Geld sparen, weil es möglicherweise weniger ungeplant Strom einkaufen muss“, sagt sie. Auch Umweltministerin Walker sieht darin Chancen. „Grundsätzlich sind Speicher mit einer höheren Speicherkapazität wirtschaftlicher als individuelle Heimspeicher“, erklärt sie. Noch seien die regulatorischen Hürden für solche Quartierspeicher groß.