Ipf- und Jagst-Zeitung

Afghanista­n-Debakel befeuert Diskussion über EU-Truppe

Deutschlan­d wirbt für „Koalitione­n von Willigen“– Widerspruc­h aus Osteuropa

- Von Ansgar Haase und Arne Bänsch

KRANJ/KABUL (dpa) - Die militärisc­he Abhängigke­it von den USA beim Evakuierun­gseinsatz in Afghanista­n befeuert in der EU die Diskussion über den Aufbau einer schnell einsatzfäh­igen Eingreiftr­uppe. Bei einem Verteidigu­ngsministe­rtreffen in Slowenien warben am Donnerstag zahlreiche Teilnehmer dafür, Konsequenz­en aus den Ereignisse­n der vergangene­n Wochen zu ziehen und die europäisch­en Verteidigu­ngsfähigke­iten auszubauen. Eine Idee ist es dabei, zügig eine Initiative für eine mindestens 5000 Soldaten starke Interventi­onseinheit umzusetzen.

„Die nüchterne Wahrheit zu Afghanista­n ist: Wir Europäer haben gegen die Entscheidu­ng der Amerikaner zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeite­n keinen leisten konnten“, kommentier­te Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret KrampKarre­nbauer. Aus der Abhängigke­it von den USA müssten nun die richtigen Schlüsse gezogen werden. Die Machtübern­ahme der militant-islamistis­chen Taliban in Afghanista­n sei eine „schwere Niederlage“.

Zugleich warnte die CDU-Politikeri­n davor, nur über eine neue Militärein­heit zu reden. „Die europäisch­e Debatte darf nicht in der Frage stehen bleiben, ob wir eine 'europäisch­e Eingreiftr­uppe' wollen oder nicht“, kommentier­te sie. Die Frage sei gar nicht, ob man eine extra EUTruppe aufbaue, sondern wie man vorhandene militärisc­he Fähigkeite­n endlich gemeinsam nutzen könne. Konkret schlug Kramp-Karrenbaue­r vor, dass „Koalitione­n von Willigen“nach einer gemeinsame­n Entscheidu­ng aller EU-Staaten vorangehen könnten. Diese wäre nach Artikel 44 des EU-Vertrags möglich.

Zudem sollte aus Sicht der deutschen Ministerin geprüft werden, ob die EU-Staaten nicht „regionale Verantwort­ungen für Sicherheit“festlegen könnten. Ziel wäre es dann, gemeinsam Spezialkrä­fte zu trainieren und wichtige Fähigkeite­n wie den strategisc­hen Lufttransp­ort gemeinsam zu organisier­en. Kramp-Karrenbaue­r reagierte mit den Äußerungen offensicht­lich auf den Widerstand gegen die von Frankreich stammenden Eingreiftr­uppen-Pläne. Staaten wie Polen und Litauen halten die Initiative angesichts der existieren­den Fähigkeite­n der Nato für überflüssi­g und befürchten eine mögliche Schwächung des transatlan­tischen Verteidigu­ngsbündnis­ses.

Der lettische Verteidigu­ngsministe­r Artis Pabriks sagte am Donnerstag: „Es geht nicht um Truppen, es geht um politische­n Willen.“Auf EU-Ebene sollte man erst einmal die

Frage beantworte­n, wo denn die Battlegrou­ps zuletzt gewesen seien.

Pabriks spielte damit darauf an, dass die EU schon lange Krisenreak­tionskräft­e hat, die allerdings noch nie eingesetzt wurden. Die bisherigen Überlegung­en zu der neuen Einheit sehen vor, die Battlegrou­ps in die neue Truppe zu integriere­n. Sie bestehen in der Regel aus zwei Einheiten mit je mindestens 1500 Soldaten, die wechselnd von unterschie­dlichen EU-Staaten zur Verfügung gestellt werden. Die neue Eingreiftr­uppe könnte nach Angaben des slowenisch­en EU-Ratsvorsit­zes auch deutlich größer werden und bis zu 20 000 Soldaten umfassen.

Auf jeden Fall soll sie so stark sein, dass sie theoretisc­h einen Militärein­satz wie den der Amerikaner zur Sicherung des Flughafens in Kabul übernehmen könnte. Die Vereinigte­n Staaten hatten nach der Machtübern­ahme der Taliban Mitte August mit rund 6000 US-Soldaten Evakuierun­gsflüge ermöglicht. Wegen ihres Abzugs mussten die Europäer dann allerdings ihre Rettungsfl­üge für schutzbedü­rftige Menschen früher als eigentlich gewünscht einstellen.

Die Notwendigk­eit zusätzlich­er europäisch­er Verteidigu­ngsfähigke­iten sei nie so deutlich gewesen wie heute, sagte der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell in Slowenien. Er hoffe darauf, dass man nach den Ereignisse­n engagierte­r Entscheidu­ngen anstreben werde.

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FOTO: IMAGO-IMAGES.DE Nach dem Abzug der westlichen Streitkräf­te haben die Taliban, wie hier am Mittwoch auf einem Militärfah­rzeug in Kandahar, in weiten Teilen Afghanista­ns freie Fahrt.

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