Warum die GDL so hartnäckig kämpft
Lokführergewerkschaft lehnt Angebot der Bahn ab – Streit erinnert an Tarifauseinandersetzung von 2014
BERLIN/FRANKFURT (dpa) - Im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn geht es längst nicht mehr nur um Gehalt und Betriebsrenten für die Beschäftigten. Ungeachtet eines verbesserten Angebots der Konzernleitung hat die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ihre dritte Streikwelle fortgesetzt und weitere Verhandlungen abgelehnt. Die Bahn will nun von den Arbeitsgerichten überprüfen lassen, ob der GDL-Streik rechtmäßig ist.
GDL-Chef Claus Weselsky wies die nachgebesserte Bahn-Offerte zurück, weil sie nicht für alle GDL-Mitglieder gelten solle. Nach seiner Darstellung verlangt der Staatskonzern, den Geltungsbereich eines neuen Tarifvertrags wie bislang auf das Fahrpersonal zu begrenzen. „Damit wird klar erkennbar, dass die DB einem Teil der GDL-Mitglieder ihre verfassungsgemäßen Rechte entziehen will“, sagte der Gewerkschafter dem „Spiegel“. Damit drohe eine Spaltung der Gewerkschaft mit Mitgliedern erster und zweiter Klasse.
„Die Zielsetzung des Bahnvorstandes ist die Existenzvernichtung der GDL“, hatte Weselsky bereits am Donnerstagmorgen in Leipzig erklärt. Mit ihren rund 38 000 Mitgliedern sieht sich die GDL im scharfen Wettstreit mit der größeren Eisenbahnund Verkehrsgewerkschaft EVG mit ihren mehr als 190 000 Mitgliedern. Nach dem 2015 verabschiedeten Tarifeinheitsgesetz soll bei zwei Gewerkschaften in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der größeren Arbeitnehmervertretung angewendet werden. „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“wird dieser Grundsatz genannt. In einem Großteil der rund 300 Bahnbetriebe ist das aus Sicht der Bahn die EVG.
Die eigentlich im Fahrbetrieb verankerte GDL sieht sich gezwungen, ihren Einfluss auch auf andere Konzerntöchter auszuweiten – und will die Bedingungen für Werkstattbeschäftigte nun ebenso regeln wie für Angestellte in der Verwaltung oder der Bahn-Infrastruktur. Das erinnert an die Auseinandersetzungen in den Jahren 2014/2015. Damals wollte die Gewerkschaft ihre Tarifhoheit auf Zugbegleiter und Rangierlokführer ausdehnen – und hatte damit nach acht Streikwellen auch Erfolg.
Die Bahn vermutet hinter dem Fünf-Tage-Streik der GDL politische und juristische Zielsetzungen, die in einem Tarifvertrag nicht regelbar seien. Auch im November 2014 klagte die Bahn gegen laufende Streiks der GDL in der damaligen Tarifrunde. Damals argumentierte die Bahn, dass der Arbeitskampf unverhältnismäßig hohen Schaden anrichte – vergeblich. Die GDL siegte in zwei Instanzen der Arbeitsgerichte in Frankfurt. Gewerkschaftschef Weselsky brach nach dem Triumph überraschend den laufenden Streik ab. Damals erklärte er: „Ich stehe an dieser Stelle nicht als Sieger, sondern als derjenige, der die Grundrechte der Lokomotivführer und der Zugbegleiter verteidigt hat.“
Nun könnte sich die Geschichte wiederholen. Die Bahn hält den Streik der Gewerkschaft der Lokführer nicht für rechtmäßig. Der GDL-Chef gibt sich siegessicher: „Was kann man uns vorwerfen? Unsere Forderungen liegen seit Mai auf dem Tisch, bisher scheint es so, als hätten wir alles richtig gemacht. 2015 haben wir 109 Stunden am Stück gestreikt.“Das sei zulässig gewesen.
Bereits seit dem Donnerstagmorgen läuft die dritte, auf 120 Stunden im Personenverkehr angelegte Streikrunde der GDL. Die Bahn hatte der Gewerkschaft am Mittwochnachmittag
ein neues Angebot unterbreitet und darin eine wichtige Forderung aufgegriffen: Noch in diesem Jahr sollen die Beschäftigten eine CoronaPrämie bis zu 600 Euro erhalten. GDL-Chef Weselsky lehnt das Angebot auch inhaltlich ab und moniert etwa, dass es in diesem Jahr keine Lohnerhöhung geben soll.
Aus Sicht des Tarifexperten Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft kämpft die GDL erneut um ihren Status als Tarifpartner der Bahn. Demnach hätte Weselsky den Status quo im vergangenen Jahr absichern können, als die Gewerkschaft einer Schlichtung zugestimmt hatte, die schließlich scheiterte. Dann hätte
Der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer bei der Deutschen Bahn hat am Donnerstagmorgen in BadenWürttemberg und Bayern für zahlreiche Zugausfälle und Verspätungen gesorgt. Der Ersatzplan sei jedoch gut angelaufen, teilte eine Sprecherin der Bahn mit. Mehr als jeder zweite Zug im Regional- und S-Bahn-Verkehr fällt aus. man erneut eine Regelung wie 2015 finden können, mit der die Koexistenz von EVG und GDL abgesichert worden war – unter Verzicht auf die Regeln des Tarifeinheitsgesetzes.
Den Fahrgästen bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten, wie sich der Streit entwickelt. Der Ersatzfahrplan sei am ersten Streikmorgen im Personenverkehr stabil angelaufen, teilte die Bahn mit. Das Unternehmen will erneut rund ein Viertel der Fernzüge fahren lassen. Im Regionalund S-Bahnverkehr wird ein Grundangebot von 40 Prozent angestrebt. „Die Streikschwerpunkte liegen im Osten und in einigen Metropolregionen. Insbesondere hier kommt es zu stärkeren Einschränkungen.“
Streikschwerpunkte sind aber die Ballungsräume wie Stuttgart, Mannheim oder Karlsruhe sowie Ostdeutschland. Zwischen Kißlegg und Lindau-Insel wurden von der Bahn Ersatzbusse eingerichtet. Auch die Bodensee-Oberschwaben-Bahn bietet Ersatzbusse zwischen Friedrichshafen und Ravensburg sowie zwischen Ravensburg und Aulendorf an. In Bayern blieb die Lage im Berufsverkehr zunächst vielerorts dennoch verhältnismäßig ruhig. Am Münchner Hauptbahnhof erkundigten sich am Donnerstagmorgen nur wenige Fahrgäste bei BahnMitarbeitern nach Verbindungen, auch auf den bayerischen Autobahnen und den Straßen der Landeshauptstadt herrschte zunächst nicht ungewöhnlich viel Verkehr. Der Ersatzfahrplan sei stabil angelaufen. (dpa/com)