Wie Meldungen auf dem Smartphone uns beeinflussen
Sie blinken und vibrieren, wollen schnell gelesen werden: Push-Nachrichten wirken auf unsere Psyche – Was man dagegen tun kann
BERLIN - Wann haben Sie das letzte Mal auf Ihrem Smartphone nach der Uhrzeit geschaut, nur um wenig später festzustellen, dass Sie immer noch nicht wissen, wie spät es eigentlich ist? Das hat dann höchstwahrscheinlich mit einer oder mehreren Push-Benachrichtungen zu tun, die sofort Ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, nachdem Sie den Bildschirm angemacht haben. Chat-Nachrichten, Eilmeldungen, EMails – die Möglichkeiten, was auf dem Startbildschirm alles aufploppen kann, sind schier grenzenlos. Push-Benachrichtigungen sind die effektivste Waffe im Kampf um die wichtigste Ressource überhaupt: unsere Aufmerksamkeit.
Was machen Push-Benachrichtigungen mit unserer Psyche?
Sie erzeugen eine Fear of Missing Out (FOMO), also die Angst, etwas zu verpassen. „FOMO geht mit negativen Gefühlen einher“, sagt Christian Montag. Der Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm ist einer der führenden deutschen Wissenschaftler in der Psychoinformatik, die den Einfluss von Internet und Smartphones auf Emotionalität, Persönlichkeit und Gesellschaft untersucht. FOMO funktioniert, weil wir soziale Wesen sind.
„Man braucht Seilschaften, Netzwerke, um sich im Leben behaupten zu können“, sagt Montag. Eine PushBenachrichtigung kann relevante Informationen beinhalten, wie ich wahrgenommen werde. „Ich lerne etwas darüber“, sagt der Psychologe, „wie eine Beziehung zu einer Person von dieser wahrgenommen wird“. Manche Plattformen machen bestimmte Informationen zudem nur zeitlich begrenzt verfügbar. Man könnte etwas verpassen, das für das direkte Umfeld unmittelbar wichtig ist – und dann nicht in der Lage sein, mitzureden.
Nicht jede Person reagiert gleich auf FOMO, empfindet Druck. Gleichwohl gibt es vulnerable Personengruppen dafür. Menschen mit hohen Neurotizismus-Werten – also einer Neigung zur Nervosität, Ängstlich- und Reizbarkeit – sind anfällig für FOMO. Zudem haben, das ist kein Klischee, jüngere Menschen oft Tendenzen zu einer problemati„reift schen Smartphone-Nutzung. Das hat einen biologischen Grund: „Der präfrontale Kortex, der für die Selbstregulation wichtig ist“, erklärt Montag, erst mit Anfang 20 aus.“
Warum werden wir mit Push-Benachrichtigungen überschwemmt?
Das hat mit dem Geschäftsmodell der sozialen Medien zu tun. Die Benutzer zahlen kein Geld für die Dienste, sie bezahlen mit ihren Daten.
Die Push-Benachrichtigungen sagen: „Achtung, es gibt etwas Neues für Dich, komm doch mal vorbei.“Das Ziel ist, die Benutzer in jeder freien Sekunde auf die Plattform zurückzubringen. Das bringt mehr Daten für Facebook, Google und Co. Von diesen können bessere PsychoProfile der Benutzer erstellt werden, was wiederum interessant für die Werbeindustrie ist.
Dieses Daten-Geschäftsmodell hat unser Leben fundamental verändert. Noch vor 30 Jahren brachte uns der Briefträger einmal am Tag persönliche Nachrichten. Der digitale Postbote kommt in jeder wachen Minute. „Das Silicon Valley hat mit dem Daten-Geschäftsmodell so viele Unterbrechungen in unseren Alltag eingeführt, die unsere Tagesstruktur kaputt gemacht haben“, sagt Montag, der darüber das Buch „Du gehörst uns!“geschrieben hat. „Diese Struktur müssen wir uns zurückerobern, unseren Alltag neu organisieren.“
Dafür müsste das Finanzierungsmodell der Social-Media-Giganten durch politische Regulierung fundamental verändert werden. Kunden müssten für den Service mit Geld statt Daten bezahlen. Montag hofft, dass sich mehr Menschen von einer solchen Alternative überzeugen lassen, wenn der Nutzen – bessere Faktenchecks zum Erkennen von Fake News, mehr Privatsphäre, gesünderes Social-Media-Design – klar werde.
tin der EU-Kommission und zuständig für Digitales, Alarm schlägt und die sozialen Medien als „systemisches Risiko für die Demokratie“bezeichnet. Doch wie steht die deutsche Politik eigentlich zum Daten-Geschäftsmodell? Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher der SPD, sieht Regulierungsbedarf und fordert ein Datengesetz. Die Informationen sollen „für gemeinwohlorientierte digitale Dienstleistungen und Innovationen nutzbar gemacht werden und nicht nur wenigen großen Daten-Monopolisten
zur Verfügung stehen“, sagt er dieser Zeitung. Die SPD wolle „eine vertrauenswürdige Daten-TeilenInfrastruktur“fördern. Widerspruch kommt aus der FDP. Deren Sprecher Manuel Höferlin sagt, dass es mit dem Digital Services Act (DSA) bereits Einschränkungen auf europäischer Ebene gebe. „Eine immer tiefergreifendere Regulierung von datenbasierten Geschäftsmodellen halte ich nicht für zielführend.“Joana Cotar von der AfD sieht in den Plattformen „einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung demokratischer Gesellschaften“– solange sie nicht der Versuchung unterlägen, das Recht auf Meinungsfreiheit einzuschränken. (dgu)
Was kann man zur SmartphoneEntschleunigung tun?
Wer Stress durch zu viel Benutzung des Smartphones empfindet, kann sich durch kleine Tipps dem Suchtfaktor der Geräte entziehen. Wer besonders viel Zeit auf einer Plattform verbringt, kann sich in der App einen Timer setzen, der nach einer festgelegten Zeit zum Schließen der App auffordert.
Simpel, aber äußerst effektiv kann es sein, das Smartphone in einen anderen Raum zu legen. So schaut man ab und zu, ob es etwas Neues gibt, bekommt aber weder die Vibration, noch das Blinken mit, wenn mal wieder eine Push-Benachrichtigung ankommt. Da es nicht im Blickfeld liegt, verspürt man auch weniger das Bedürfnis, aktiv zu schauen.
Zu guter Letzt kann es lohnend sein, sich eine analoge Armbanduhr zuzulegen. Die sagt einem die Uhrzeit, kämpft aber nicht anderweitig um unsere Aufmerksamkeit.