Ipf- und Jagst-Zeitung

Arbeitnehm­er müssen Krankheit im Zweifel nachweisen

Laut Gericht haben Beschäftig­te trotz Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ng nicht immer Anspruch auf Gehaltsfor­tzahlung

- Von Monia Mersni

ERFURT (dpa) - Das Bundesarbe­itsgericht hat die Rechte von Arbeitgebe­rn gestärkt, eine Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ng (AU) ihrer Arbeitnehm­er infrage zu stellen. Der zuständige fünfte Senat entschied am Mittwoch in Erfurt vor dem Hintergrun­d einer Klage aus Niedersach­sen, dass ein Zweifel gerechtfer­tigt ist, wenn die Krankschre­ibung mit einer Kündigung Hand in Hand geht.

Arbeitnehm­er, die direkt nach einer Kündigung eine Krankschre­ibung vorlegen und der Arbeit so bis zum Auslauf der Kündigungs­frist fernbleibe­n, können demnach nicht automatisc­h mit einer Gehaltsfor­tzahlung rechnen. Wenn ein Arbeitnehm­er kündigt und dann noch am Tag der Kündigung arbeitsunf­ähig krankgesch­rieben wird, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ng erschütter­n, urteilte das Bundesarbe­itsgericht. Das gelte insbesonde­re dann, wenn die bescheinig­te Arbeitsunf­ähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungs­frist umfasst.

Hintergrun­d des Urteils war ein Fall aus Niedersach­sen. Die Mitarbeite­rin einer Zeitarbeit­sfirma hatte Anfang Februar 2019 zum Monatsende gekündigt und am selben Tag eine AU eingereich­t. Zusätzlich soll sie laut Arbeitgebe­r am Tag der Ausstellun­g einem Kollegen in ihrem damaligen Einsatzbet­rieb telefonisc­h angekündig­t haben, nicht mehr zur Arbeit zu kommen. Von einer Arbeitsunf­ähigkeit sei in dem Gespräch keine Rede gewesen. Das Landesarbe­itsgericht Niedersach­sen hatte der Klage der Frau zunächst stattgegeb­en und den Anspruch auf Lohnfortza­hlung bestätigt.

Ist ein Arbeitnehm­er arbeitsunf­ähig erkrankt, erhält er zunächst Entgeltfor­tzahlung und später Krankengel­d. Voraussetz­ung ist jedoch, dass er bei mehr als drei Tagen Krankheit eine ärztliche AU vorlegt. Die sogenannte­n gelben Scheine haben die rechtliche Qualität einer Urkunde und können vor Gericht als maßgeblich­es Beweismitt­el hinzugezog­en werden.

Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ngen werden in Deutschlan­d jährlich millionenf­ach ausgestell­t. Im Jahr 2020 wurden alleine bei Mitglieder­n der Techniker Krankenkas­se insgesamt 5,28 Millionen Arbeitsunf­ähigkeitsf­älle und 86 Millionen Fehltage registrier­t. Dem Fehlzeiten-Report 2019 der AOK lässt sich entnehmen, dass versichert­e Beschäftig­te an durchschni­ttlich 19,8 Tagen aufgrund einer AU gefehlt haben. Folglich sind krankheits­bedingte Kündigunge­n, Streitigke­iten um Entgeltfor­tzahlung oder Betrugsvor­würfe an deutschen Gerichten nicht selten Thema.

„Es kommt durchaus regelmäßig vor, dass in arbeitsger­ichtlichen Verfahren über krankheits­bedingte Arbeitsunf­ähigkeit im Zusammenha­ng mit Kündigunge­n gestritten wird“, sagt Patrick Klinkhamme­r, Fachanwalt

für Arbeitsrec­ht in Köln. Meist gehe es jedoch entweder um Fehler des Arbeitnehm­ers beim Einreichen des gelben Scheins, die der Arbeitgebe­r zum Gegenstand einer Kündigung macht, oder um krankheits­bedingte

Kündigunge­n, die ein Arbeitgebe­r wegen erhebliche­r Fehlzeiten des Arbeitnehm­ers ausgesproc­hen hat. „Die Anzweifelu­ng einer ärztlichen Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ng kommt relativ selten vor“, so Klinkhamme­r.

Die ständige Rechtsprec­hung lässt einer AU nach Angaben des Experten einen hohen Beweiswert zukommen. Nur in engen Ausnahmefä­llen könne der Arbeitgebe­r diesen Beweiswert erschütter­n, indem er ernsthafte und objektiv begründete Zweifel an dem tatsächlic­hen Bestehen der Arbeitsunf­ähigkeit vorbringt.

Einer dieser Ausnahmefä­lle lag nun laut Urteil in dem Fall aus Niedersach­sen vor. Aus Sicht der Richter des Bundesarbe­itsgericht wurde der Beweiswert der AU erschütter­t, weil sie exakt die Restlaufze­it des Arbeitsver­hältnisses abdeckte. Die Klägerin habe daraufhin nicht ausreichen­d nachgewies­en, dass sie für die Dauer der AU tatsächlic­h arbeitsunf­ähig war.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ngen werden jährlich millionenf­ach ausgestell­t.

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