Der Informant, der in die Kälte kam
Agenten-Satire über die Hintergründe des Irak-Kriegs
BERLIN - Bundestagswahlkämpfe mit völlig offenem Ausgang? Das ist nichts Neues. So schien eine Wiederwahl Gerhard Schröders rot-grüner Koalition im September 2002 alles andere als sicher. Dass er doch Bundeskanzler blieb, wurde zum einen auf sein Krisenmanagement beim Elbhochwasser zurückgeführt – und zum anderen auf die entschiedene Ablehnung eines Irak-Kriegs. Dabei wusste Schröder eine große Mehrheit der Deutschen hinter sich. Als sich die vermeintlichen Belege für Massenvernichtungswaffen des Iraks als frei erfunden herausstellten, schien klar: Deutschland hatte sich auf der richtigen Seite positioniert.
Doch so eindeutig war die Sache nicht. Der satirische Thriller „Curveball“stellt die Mitverantwortung der Bundesrepublik für den völkerrechtswidrigen Krieg heraus. Gleich zu Beginn steht der Satz „Eine wahre Geschichte.“– gefolgt von einem bedauernden „Leider.“Und eine Stimme wirft aus dem Off die Frage auf: „Was ist Wahrheit? Eine Illusion. Aber was sind wir ohne das Ringen um Wahrheit?“
Nun nimmt sich der Film von Johannes Naber einiges an erzählerischen Freiheiten. Eindeutig an eine reale Figur angelehnt ist nur seine Titelfigur – „Curveball“war der Codename von Rafid Ahmed Alwan, einem irakischen Asylbewerber. Der 1999 nach Deutschland gekommene Ingenieur orakelte bei einer Befragung durch den Bundesnachrichtendienst (BND), an der Produktion chemischer Kampfstoffe im Irak beteiligt gewesen zu sein. Weitere Details könne er nur nach angemessenem Schutz preisgeben – am besten durch den Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft. Bei den anderen Figuren und einigen Ereignissen setzt der Film dagegen auf Zuspitzung und Verdichtung, aber das ist als Stilmittel vollkommen legitim. Schließlich will „Curveball“nicht nur erzählen, was war – dazu gibt es bereits hinreichend Dokumentationen –, sondern in einem Lehrstück aufzeigen, wie man sich in seiner selbst ersonnenen Wahrheit verfangen kann und dabei etliche Kontrollmechanismen versagen.
Zentrale Figur des Films ist Arndt Wolf (Sebastian Blomberg), der beim BND als Experte für biologische Waffen arbeitet. Der Wissenschaftler ist eher verkopfter Labormensch als glamouröser Agent. Bei einer Kontrollmission im Irak ist dennoch seine Leidenschaft entbrannt – und das in gleich zweifacher Hinsicht: Zum einen für seine amerikanische CIA-Kollegin Leslie Sheare (Virginia Kull), zum anderen für die Suche nach einem
Beweis für ein irakisches Waffenprogramm.
Daher wendet sich BND-Abteilungsleiter Schatz (Thorsten Merten) auch an den nach Deutschland zurückgekehrten Wolf, als „Curveball“auf den Plan tritt – sehr zum Missfallen von dessen Verbindungsoffizier Retzlaff (Michael Wittenborn), der nur „richtige“Agenten für geeignet hält. In diesen Szenen gerät der Film am ehesten zu einer scharfen Satire. Der BND wird als miefiger, in dunklem Holz ausgekleideter Behördenkomplex gezeigt, dessen graues Personal sich in das Mobiliar bestens einpasst. Umso elektrisierter sind die Beamtenseelen, als ihnen der Kontakt zu Alwan etwas Agenten-Glamour verspricht: Endlich einmal nicht den Amerikanern hinterherhecheln! So glauben alle den wenig stichhaltigen Erzählungen von „Curveball“nur zu gerne.
Der dänische Schauspieler Dar Salim, selbst geborener Iraker und bekannt als Teil des Bremer „Tatort“Teams, spielt diesen Informanten als bauernschlauen Opportunisten, der die Chance für Sicherheit und ein besseres Leben nutzt. Ihm gegenüber steht Blomberg („Tribes of Europa“), der seinen Wissenschaftler als Trauerkloß mit hängenden Schultern verkörpert – dann aber doch immer wieder Initiative zeigt. Eine gemeinsame Flucht der beiden im Schweizer Schnee bleibt als vielleicht bizarrste Verfolgungsjagd der Agentenfilmgeschichte im Gedächtnis haften.
Im Vergleich zu seiner hochgelobten Kapitalismus-Satire „Zeit der Kannibalen“drosselt Regisseur Naber immer wieder die ironischen Elemente: Schließlich gehe es um einen Krieg mit Hunderttausenden Toten. Und, das ist der Vorwurf an den BND und die damalige Regierung: Deutschland hätte klar machen müssen, dass sich „Curveball“als komplett unzuverlässig erwiesen habe. Stattdessen gab es nur wenig offenen Widerspruch, als sich die Amerikaner bei der Kriegsbegründung auf dessen Geschichte von mobilen Anlagen zur Produktion chemischer Kampfstoffe stützten. Zur Untermauerung baut der Film Dokumentaufnahmen aus dem UN-Sicherheitsrat ein. Damit verbindet die in drei Kategorien für den deutschen Filmpreis nominierte Produktion gekonnt satirische Unterhaltung mit einer klaren politischen Botschaft.
Curveball – Wir machen die Wahrheit. Regie: Johannes Naber. Deutschland 2020. 108 Minuten. Mit Sebastian Blomberg, Dar Salim und Virginia Kull.