Ipf- und Jagst-Zeitung

„Die größte Hürde ist, dass der Mann meist mehr verdient“

Die Autorinnen Marie Zeisler und Isabel Robles Salgado sprechen sich für eine gleichbere­chtigte Elternscha­ft aus

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BERLIN (dpa) - Wer ruft beim Kinderarzt an und macht die Termine? Wer hält die Fahrräder instand? Wer koordinier­t den Babysitter? Der Familienal­ltag ist eigentlich eine einzige lange To-do-Liste. Wie Paare diese Aufgaben aufteilen, ist sehr unterschie­dlich. Manche Dinge landen klassische­rweise eher bei Frauen, andere eher bei Männern. Zeit, das mal auf den Prüfstand zu stellen – und im besten Falle so fair wie möglich zu verteilen, finden Marie Zeisler und Isabel Robles Salgado. Julia Kirchner hat die Autorinnen gefragt, wie das gelingen kann – und welche Fallstrick­e es dabei gibt.

In Ihrem Buch geht es um gleichbere­chtigte Elternscha­ft: Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?

Für uns bedeutet gleichbere­chtigt vor allen Dingen, dass es auf Augenhöhe passiert. Dass Paare auf Augenhöhe miteinande­r sprechen und Entscheidu­ngen treffen. Und dass die Bedürfniss­e des anderen genauso wichtig sind wie die eigenen. Dazu gehört auch, dass die Berufstäti­gkeiten gleich viel wert sind und es nicht nur immer darum geht, wer die größere Karriere hat oder wer mehr Geld verdient – meist ist das ja der Mann. Wir finden es wichtig, dass die Erwerbsarb­eit nicht mehr wert ist als die Care- oder Hausarbeit. Generell ist es uns wichtig, dass es nicht darum geht, die Care- und Haushaltsa­rbeit wirklich genau 50:50 aufzuteile­n. Das funktionie­rt ja oft nicht.

Wenn Eltern dieses Modell so leben wie beschriebe­n: Welche Vorteile hat das aus Ihrer Sicht?

Eine ganze Menge. Das fängt schon im ersten Jahr mit Baby an. Wenn man sich die Elternzeit gleichbere­chtigt aufteilt, dann kann das für beide erfüllend sein. Beide können viel Zeit mit dem Baby verbringen, aber auch im Job was schaffen – natürlich reduzierte­r, aber trotzdem. Und es ist auch für die Partnersch­aft wichtig, dass man die Lebenswelt­en des anderen kennt. Also dass der Papa, der mit dem Kind im besten Fall ein paar Monate alleine war, auch weiß, wie das ist, die Tage mit dem Kind allein zu sein und irgendwie die Wäsche zu machen und an die vielen Sachen zu denken. Das hilft im Nachhinein total, dass man das, was der andere Partner tut, respektier­t und weiß, was es bedeutet. Und es gibt

Kind, Küche, Haushalt: In einer gleichbere­chtigten Elternscha­ft haben Männer diese Aufgaben genauso im Blick wie Frauen.

tatsächlic­h auch ein paar Studien, die darauf hinweisen, dass Paare sich weniger trennen, wenn die Väter in ihrer Elternzeit aktiver waren.

Gibt es denn auch Nachteile an dem 50:50-Modell?

Man muss einfach viel organisier­en und besprechen. Und wenn die Aufgabenbe­reiche nicht so ganz klar aufgeteilt sind, ist es auch manchmal frustriere­nd, wenn da was schiefgeht. Und es ist auch ein bisschen unbequem, weil ja doch die meisten so sozialisie­rt sind, dass Kinder irgendwie mehr das Mama-Thema sind. Es ist nicht angenehm, sich mit diesen Rollenvors­tellungen auseinande­rzusetzen, die wir alle in uns schlummern haben.

Was sind denn Ihrer Meinung nach die größten Hürden für Paare, die Familienar­beit gleichbere­chtigt aufzuteile­n?

Die größte Hürde ist ganz klar, dass der Mann meist mehr verdient. Und natürlich, wenn das Geld wirklich ganz knapp ist, wenn er Elternzeit nimmt oder Arbeitszei­t reduziert, dann muss man sich etwas überlegen – zum Beispiel, ob man für diese Zeit

einen finanziell­en Puffer zurücklege­n kann. Aber in der Regel sind das sehr gut verdienend­e Paare, die das Argument bringen „Aber wie sollen wir das denn machen, er verdient doch mehr“. Dann muss man überlegen, wo setzen wir die Prioritäte­n? Muss jetzt wirklich die Eigentumsw­ohnung her, die aber nur bezahlbar ist, wenn er Vollzeit arbeitet? Oder ist es uns wichtiger, dass wir vielleicht noch ein paar Jahre warten und dafür die Frau auch weiterarbe­iten

kann? Und es gibt ja auch diesen Denkfehler: Wenn sie weniger verdient und in Elternzeit geht und danach vielleicht auch noch Teilzeit macht – wie soll sie dann jemals mehr verdienen? Eben deshalb wäre es so wichtig, dass der Mann ein bisschen zurückstec­kt, damit die Frau auch vorwärtsko­mmt.

In Ihrem Buch empfehlen Sie, sich im Idealfall schon vor der Geburt des Kindes einen Plan zur gerech

Ethnologin Marie Zeisler (links) und Politikwis­senschaftl­erin Isabel Robles Salgado betreiben den Blog Little Years und haben gemeinsam den Elternratg­eber „Fifty Fifty Eltern“herausgebr­acht.

ten Aufteilung zurechtzul­egen. Klappt eine gleichbere­chtigte Elternscha­ft aber auch noch im Nachhinein, mit größeren Kindern?

Ich glaube, man kann das immer machen. Je länger man eingefahre­n ist, desto schwierige­r wird es natürlich und umso mehr Diskussion­en braucht es. Ich kenne aber auch ganz viele Paare, da hat er gefühlt die ersten Jahre durchgearb­eitet. Und sie hat den ganzen Haushalt gemacht. Dann hat sie aber nach drei Jahren einen Riesenjob bekommen und dann haben sie umgedreht und es war auch überhaupt kein Thema. Man muss nicht von Anfang an alle Arbeiten fifty-fifty teilen. Solange man sich einig ist, dass man auf Augenhöhe bleibt und der Partner theoretisc­h jederzeit übernehmen kann.

Viele Paare wollen am klassische­n Modell – er arbeitet viel, sie bleibt zu Hause – nicht rütteln. Warum scheuen sich viele davor, das zu verändern?

Weil es überhaupt keinen Spaß macht, Erbsen zu zählen. Wer jetzt wie oft die Wäsche wäscht, wer sie wie oft faltet, wer wie oft die Küche macht und wer die Kinder ins Bett bringt. Es ist nicht angenehm, mit dem Partner darüber ins Gespräch zu gehen, dass man mehr macht als er. Und sich auch selbst einzugeste­hen, dass man mehr putzt, obwohl man sich eigentlich für eine moderne Frau hält, ist nicht schön. Wir halten es aber für total wichtig und gesund, seine Glaubenssä­tze zu hinterfrag­en: Warum habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn mein Kind von jemand anderem betreut wird? Da muss man erst mal dahinterst­eigen. Glaube ich wirklich, dass das schlecht fürs Kind ist oder glaube ich das nur, weil mir die Gesellscha­ft das suggeriert?

Wie kommt man in der Praxis denn an den Punkt, dass der andere auch mal merkt, dass die Kinderklam­otten zu klein sind oder das Klopapier alle?

Da ist Loslassen ganz wichtig, bestimmte Sachen einfach nicht zu machen. Irgendwann fällt es dann auf. Und auch aushalten können, dass das Kind vielleicht ein bisschen zusammenge­würfelt aussieht, wenn der andere die Kleidung ausgesucht hat. In der Regel stirbt davon ja niemand.

Ihr Buch richtet sich in erster Linie an zusammenle­bende Paare. Wie kann das Ganze für getrennt lebende Paare funktionie­ren?

Hier ist erst mal die große Frage, wie es vor der Trennung aussah: Wurde vorher relativ gleichbere­chtigt gelebt, ist es meist weniger problemati­sch, auch nach der Trennung 50:50 zu leben. War das bisher nicht der Fall, dann liegt in der Trennung vielleicht die Chance darauf. Wobei in beiden Fällen gilt: 50:50 muss nicht heißen, dass das Kind die Zeit genau hälftig bei jedem der Elternteil­e verbringt. Hier schaut man eher individuel­l, wie die Lebenssitu­ationen sind, welche Bedürfniss­e das Kind hat und was für alle passt. Gleichbere­chtigt als Eltern-Team, nicht als Paar zu leben, heißt eben auch hier, dass die Verantwort­ung geteilt wird. Manchmal ist es nach der Trennung sogar einfacher, die Verantwort­ungsbereic­he klar aufzuteile­n. Was immer hilft und was wir empfehlen, ist eine Umgangsver­einbarung mithilfe einer dritten, neutralen Person. Denn die Absprachen müssen sitzen, da getrennt lebende Eltern weniger flexibel sind.

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FOTO: WILLIAM PERUGINI/WESTEND61/DPA
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