Herr Hofreiter, vor ungefähr zehn Wochen lag Ihre Partei in Umfragen noch bei 27 Prozent, jetzt sind es noch etwa 16. Dazwischen kam es zu Plagiatsvorwürfen gegenüber Annalena Baerbock, zum Aufschrei um das geplante Steuerbetrugsportal des grünen Finanzmi
Ich halte nichts von solchen Spekulationen. Wir sind voll im Endspurt und die letzten Wochen haben die Unterschiede doch noch mal sehr deutlich gemacht. Nehmen Sie die Aufregung um das Steuerbetrugsportal, die mich wirklich verblüfft hat. Pro Jahr gehen Deutschland wegen Steuerbetrugs zweistellige Milliardenbeträge verloren. Danyal Bayaz
hat deshalb ein Whistleblower-Portal geschaffen, das Hinweise auf Steuerbetrug auch digital sammeln kann – bisher nehmen zuständige Behörden die Hinweise per Fax, Telefon oder Brief an. Mich irritiert es, dass unsere politischen Mitbewerber Steuerbetrug anscheinend mit dem Faxgerät bekämpfen wollen.
Mit den Grünen in der Regierung könnte es also ein deutschlandweites Steuerbetrugsportal geben? Mit uns in der Regierung gibt es eine Modernisierung der Verwaltung, sodass nicht weiter der Ehrliche der Dumme ist und Kriminelle den Staat gleichzeitig um Milliarden betrügen. Wie es etwa Olaf Scholz im Cum-ExSkandal zugelassen hat.
Den Mitkandidaten von CDU und SPD attestierten Sie in einem Interview, bezogen auf den Klimaschutz, „verbale Aufgeschlossenheit bei weitreichender Verhaltensstarre“. Sind die Grünen nicht genau so verhaltensstarr? In Baden-Württemberg wurden und werden kaum Windräder gebaut, auch beim Dieselskandal ist die hiesige Industrie nicht ganz unbeteiligt.
Winfried Kretschmann kann sich nicht von der Bundespolitik befreien, auch er muss sich an Bundesgesetze halten. Wir können Initiativen im Bundesrat machen, aber uns nicht einfach über Bundesgesetze erheben – etwa bei den völlig verkorksten Ausschreiberegelungen zu Windkraftanlagen. Dadurch ist der Ausbau der Windkraft im Bundesland massiv eingebrochen. Dabei haben die Grünen hier schon sehr viel gemacht, so beim Ladesäulenausbau. Das ist eigentlich eine klassische Bundesaufgabe. Der Autodialog wird seit vielen Jahren intensiv geführt, ebenfalls eine Bundesaufgabe. Leider kann eine Landesregierung falsche Bundesgesetze nicht vollständig ausgleichen. Da liegt der zentrale Hebel für konsequenten Klimaschutz.
Zum Beispiel?
Es muss gelingen, auf klimaneutrale Autos umzusteigen. Das geht nicht ohne eine bundesweit gut ausgebaute und organisierte Ladesäuleninfrastruktur – angefangen beim Irrsinn der unterschiedlichen Bezahlsysteme. Das ist, als würde man an Tankstellen mit verschiedenen Währungen bezahlen müssen. Da frage ich mich, was das Bundesverkehrsministerium jahrelang getrieben hat.
Was würden Sie als Verkehrsminister machen? In Berlin kursiert ein Papier, welches Sie dort sieht.
Ich halte nichts von Personalspekulationen vor Koalitionsverhandlungen. Davon abgesehen müssten wir im Kern zwei Dinge besser machen in der Verkehrspolitik. Wir müssen uns um die Antriebswende kümmern – die Autoindustrie ist unsere wichtigste Industrie und auch in Zukunft werden Millionen Menschen ein Auto brauchen. Da hilft kein Geschwafel
Müsste man nicht die Klagerechtsbeteiligung auch von Umweltverbänden einschränken, um solche Großumbauten unserer Strukturen umzusetzen?
Das ist typischer Stumpfpopulismus, da diese Beteiligungen im Europarecht und in der Aarhus-Konvention – sie hat Völkerrechtsstatus – festgelegt sind. Stattdessen könnte man etwa Artenschutzprüfungen beschleunigen, indem man festlegt, dass diese innerhalb einer Vegetationsperiode abgeschlossen sein müssen. Und natürlich mehr Personal in den Behörden anstellen. Die wurden in der Vergangenheit mancherorts regelrecht ausgeblutet.
Ein Noch-Parteikollege von Ihnen, Boris Palmer, treibt den Mobilitätswandel in Tübingen ja geradezu vorbildlich voran.
Boris Palmer macht eine sehr gute Fahrradpolitik. Das ist nicht das, was in der Debatte steht.