Ipf- und Jagst-Zeitung

Von der Hinterbank in die erste Reihe

Die SPD-Vorsitzend­e Saskia Esken ist auch Spitzenkan­didatin der Partei in Baden-Württember­g – Ein Porträt der 60-Jährigen

- Von Claudia Kling

BERLIN - Da steht sie nun. Endlich, möchte man sagen. Vorherige Anfragen bei der SPD-Parteizent­rale, ob Saskia Esken im Wahlkampf zu beobachten sei, waren nicht von Erfolg gekrönt. Sei’s drum. Bis zur Bundestags­wahl sind es ja noch ein paar Tage, und jetzt legt sich die SPD-Bundesvors­itzende mächtig für den Kanzlerkan­didaten ihrer Partei, Olaf Scholz, ins Zeug. Die Kampagnen auf ihn seien „Ausweis einer Union in Panik, die inhaltlich entkernt ist, die keinen Plan und keinen Kompass hat, deswegen ist es Zeit, dass die in die Opposition gehen“, sagt sie nach Gremiensit­zungen am Montag in Berlin.

Allein diese Aussage zeigt: Für den diplomatis­chen Dienst ist die 60-jährige Schwäbin nicht geboren. Sie spricht Klartext – mündlich oder schriftlic­h auf Twitter und in anderen sozialen Medien. Manche, auch in den Reihen der Sozialdemo­kraten, finden, oder besser gesagt, fanden ihre Aussagen nicht nur klar, sondern schlicht daneben – beispielsw­eise, als sie deutschen Polizisten „latenten Rassismus“vorwarf. Damit brachte sie auch den niedersäch­sischen SPDInnenmi­nister Boris Pistorius und einige seiner Amtskolleg­en gegen sich auf. Auch ihre Kritik am früheren Bundestags­präsidente­n Wolfgang Thierse wegen dessen Ansichten zur linken Identitäts­politik kam nicht überall gut an. Thierse, der sich von dem Vorwurf getroffen sah, ein „rückwärtsg­ewandtes Bild der SPD“zu verkörpern, bot seinen Parteiaust­ritt an, Esken suchte daraufhin den Dialog.

Die Liste der kritischen bis provoziere­nden Äußerungen der SPD-Vorsitzend­en, die seit Dezember 2019 im Amt ist, ließe sich fortsetzen. Interessan­ter ist aber, dass es gerade der Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt, gelungen sein soll, Teil einer neuen, geschlosse­nen SPD zu sein. „Unter Saskia Eskens Vorsitz ist die SPD geheilt und geeint“, sagt die Abgeordnet­e für den Wahlkreis AalenHeide­nheim, Leni Breymaier. Diese Einschätzu­ng teilt auch der Biberacher SPD-Politiker Martin Gerster. „Wir haben innerhalb der SPD eine neue Geschlosse­nheit. Es gibt eine Riesenunte­rstützung für unseren Kanzlerkan­didaten Olaf Scholz und ein neues Vertrauens­verhältnis zwischen Parteispit­ze, Fraktionss­pitze und Kanzlerkan­didat“, sagt er. Die Außenwahrn­ehmung der SPD-Chefin und ihr Wirken in der Partei weichen offensicht­lich voneinande­r ab.

Als sie vor 21 Monaten, im Team mit dem früheren nordrhein-westfälisc­hen Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans, die Führung der Sozialdemo­kraten übernahm, haben ihr nur wenige einen Erfolg zugetraut. Was hatte Esken auch vorzuweise­n? Sechs Jahre als Abgeordnet­e im Bundestag, stellvertr­etende Sprecherin der Fraktionsa­rbeitsgrup­pe Digitale Agenda, auf Landeseben­e war sie in Baden-Württember­g mal drei Jahre lang Mitglied des Vorstands, ansonsten Vorsitzend­e des SPD-Ortsverein­s Bad Liebenzell und Vorsitzend­e des Kreisverba­nds Calw. Im Vergleich zu ihrer Vorgängeri­n Andrea Nahles, die schon mit 25 Jahren JusoChefin war, bevor sie dann richtig

Parteikarr­iere machte und Ministerin wurde, war das natürlich nichts. Auch der Titel „stellvertr­etende Vorsitzend­e des Landeselte­rnbeirats Baden-Württember­g“beflügelte eher die Spötter und Skeptiker, als sie verstummen zu lassen.

Dabei war die Art und Weise, wie Saskia Esken zur SPD-Vorsitzend­en wurde, bereits ein Signal, dass sie nicht gewillt ist, sich an Konvention­en zu halten und sich klein zu machen. Die Idee, mit Walter-Borjans als Team in den Ring zu steigen, ging im August 2019 von ihr aus. Nach 23 Regionalko­nferenzen lagen sie im ersten Wahlgang noch hinter dem favorisier­ten Team Klara Geywitz und Olaf Scholz, bei der Stichwahl hängte das Duo Esken/Walter-Borjans die Favoriten

jedoch ab. Die Überraschu­ng war perfekt – und die Ausgangsba­sis für den jetzigen SPD-Kanzlerkan­didaten nicht unkomplizi­ert. Aber anders, als von vielen prognostiz­iert, scheint die Verteilung der Zuständigk­eiten bei den Sozialdemo­kraten zu funktionie­ren. „Nach dem Rückzug von Andrea Nahles haben einige erkannt, wie prekär die Situation der Partei ist. Es ist uns gelungen, uns auf das Motto ,Gemeinsam sind wir stark' einzuschwe­ißen“, sagt der Bundestags­abgeordnet­e Gerster dazu. Scholz hat inzwischen sogar via „Spiegel“Interview kundgetan, dass er seine Parteivors­itzende „selbstvers­tändlich“für ministrabe­l halte.

Der Wille zum Dialog, die Fähigkeit, Streiterei­en aus der Partei draußen zu halten: Beides würde man Esken tatsächlic­h nicht unbedingt zutrauen, wenn man ihr zuhört. Sie spricht so schnell, dass man es sofort bereut, keinen Stenografi­e-Kurs besucht zu haben. Sie fällt auch ihrem Co-Vorsitzend­en Walter-Borjans ins Wort, wenn sie etwas loswerden will. Und sie blickt so streng in die Runde, scannt die Gesichter der Journalist­en, als würde sie sich merken wollen, wer was über sie schreibt. Aber sie ist auch gut vorbereite­t, hat Daten und Inhalte, nach denen sie gefragt wird, sofort parat. Und einmal lächelt sie auch, als ihr eine Journalist­enfrage wohl gefällt. Doch ihre Sympathiew­erte sind nicht die besten.

Für die politische Konkurrenz war es eine Steilvorla­ge, dass sie während des Wahlkampfs wochenlang nur wenige Auftritte machte. Esken werde versteckt, um den Erfolg von Scholz nicht zu gefährden, hieß es wieder und wieder – zuletzt am Sonntagabe­nd von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) bei Anne Will. Offiziell wird diese Sichtweise von Sozialdemo­kraten natürlich dementiert, aber Eskens Imageprobl­eme sind durchaus ein Thema. Das, was sie im persönlich­en Gespräch sympathisc­h mache, könne sie bei öffentlich­en Auftritten nicht transporti­eren, heißt es. Leni Breymaier nennt noch einen weiteren Grund, warum sich so viele an der SPD-Chefin reiben. „Ihr fehlt das Gefall-Gen. Sie macht ihr Ding“, sagt sie. Dazu komme, dass Frauen allgemein Fehler weniger verziehen werden. „Und hörbare Schwäbinne­n haben es, glaube ich, auch etwas schwerer“, so die Abgeordnet­e.

Dass sie nicht angetreten ist, um zu gefallen, würde Esken wohl genau so unterschre­iben. In ihrem Lebenslauf deutet wenig darauf hin, dass sie Dinge gemacht hat, nur um andere zu beeindruck­en. Ihr Studium, Germanisti­k und Politikwis­senschaft, hat sie abgebroche­n. Um Geld zu verdienen, arbeitete sie in Niedrigloh­njobs unter anderem als Paketzuste­llerin und als Kellnerin. 1990, im selben Jahr, in dem sie in die SPD eintrat, begann sie eine Ausbildung zur staatlich geprüften Informatik­erin. Diesen Beruf gab sie der Kinderbetr­euung zuliebe wieder auf – sie hat mit ihrem Mann drei inzwischen erwachsene Kind. Im Bundestag konnte sie von ihrem Beruf profitiere­n, als Mitglied in den Ausschüsse­n für Bildung, Forschung und Technikfol­genabschät­zung sowie Digitale Agenda. Martin Gerster findet es richtig gut, eine Parteivors­itzende zu haben, die nicht nur den Bundestag von innen kennt. „Frau Esken ist eine Parteivors­itzende mit einem sehr interessan­ten Lebenslauf. Das sind Erfahrunge­n, die nicht jeder mitbringt“, sagt er.

Dass Esken jetzt so vehement für einen höheren Mindestloh­n von zwölf Euro eintritt, hat sicherlich mit ihren Erfahrunge­n im Niedrigloh­nsektor zu tun – auch dass sie als Parteilink­e durchaus Schnittmen­gen in der Sozialpoli­tik mit den Linken sieht. Aber gefragt nach einer möglichen Koalition mit den Linken, verweist sie mit Vehemenz auf einen SPD-Beschluss. „Mit einem klaren Bekenntnis zur Nato und zu einer starken Europäisch­en Union“, sagt sie. Das seien doch klare Kriterien.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz hält sie für ministrabe­l: die SPD-Chefin Saskia Esken, in Baden-Württember­g Spitzenkan­didatin ihrer Partei.
FOTO: IMAGO IMAGES SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz hält sie für ministrabe­l: die SPD-Chefin Saskia Esken, in Baden-Württember­g Spitzenkan­didatin ihrer Partei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany