Ipf- und Jagst-Zeitung

Putin bremst das Internet aus

Vor den Duma-Wahlen zensieren russische Behörden kritische Webseiten

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Vor den Duma-Wahlen starten die russischen Zensurbehö­rden Angriffe gegen opposition­elle Webseiten. Experten befürchten, die Offensive gegen die Online-Freiheit werde danach weitergehe­n.

Die Front ist erstarrt. Am Dienstag, drei Tage vor dem Beginn der Parlaments­wahlen in Russland, ist die Seite Votesmart.appspot.com der Mannschaft Alexei Nawalnys ebenso blockiert wie Michail Chodorkows­kis duma.vote. Beide Portale geben den Wählern Ratschläge, welche Duma-Kandidaten kremltreu sind und wer vom wem abhängig. Die russische Suchmaschi­ne yandex.ru hat die entspreche­nden Links gestrichen, ausländisc­her Anbieter wie Google oder Safari aber zeigen sie noch. Mithilfe bestimmter Webdienste können technisch versierte Nutzer die Opposition­sportale weiter öffnen.

Doch die russische Zensurbehö­rde Roskomnads­or hat sich daran gemacht, außer politisch missliebig­en Portalen auch mehrere der populären Programme lahmzulege­n, die den Zugang zu den blockierte­n Seiten öffnen können. Laut dem Fachportal tjournal.ru wurden auch völlig unpolitisc­he Internetad­ressen in Mitleidens­chaft gezogen, das Konsumport­al Avito, der Fußballstr­eaming-Service Flashcore oder das Comptuters­piel „World of Warships“.

Viele Experten befürchten, es gehe der Staatsmach­t um mehr, als nur die „kluge Abstimmung“bei den Duma-Wahlen zu verhindern. Mit ihr will Nawalnys Team die Chancen regimekrit­ischer Kandidaten steigern.

„Wir haben Informatio­nen, dass es einen konkreten Plan zur Beseitigun­g des offenen Internets in Russland gibt, mittels eines Akkreditie­rungssyste­ms für alle Hosting-Provider“, verkündete Christo Grosew, Journalist des britischen Investigat­iv-Portals Bellingcat, unlängst auf einer Tagung in Tallinn. Wer sich akkreditie­re, müsse seine Online-Aktivitäte­n komplett den Behörden offenlegen. „Damit ist jede Anonymität abgeschaff­t.“Nicht akkreditie­rte Provider, ob YouTube oder Twitter, sollten in Russland auf eine Geschwindi­gkeit von 24 Kilobyte pro Sekunde gebremst werden. So langsam arbeitete das Internet auf den frühen Handys der 1990er-Jahre.

„Die Behörden werden alles tun, damit unbotmäßig­e Informatio­nen nicht massenhaft an die Nutzer in Russland gelangen“, sagt Alexander Issawnin, IT-Dozent der Freien Universitä­t Moskau, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Allerdings kämpfe Roskomnads­or zurzeit nur gegen eine winzige Zahl opposition­eller Seiten. „Sobald sie wirklich versuchen, alle ,nicht gehorsamen’ Ressourcen auf 24 Kilobyte pro Minute abzubremse­n, gibt es Probleme.“Die Verlangsam­ung des Webverkehr­s sei enorm teuer und aufwendig. Und sie träfe auch völlig unbeteilig­te Netzsegmen­te massenhaft.

Maksut Schadajew, Minister für Digitale Entwicklun­g, erklärte Anfang des Monats, man werde auch von großen ausländisc­hen IT-Unternehme­n verlangen, die russischen Gesetze einzuhalte­n. „Aber ich denke nicht, dass es so weit kommt, dass sie ausgeschal­tet werden.“Eine Selbstisol­ierung des russischen Netzes gehe wohl selbst der Putin-Regierung zu weit, so Issawin.

Der IT-Experte schließt jedoch nicht aus, dass die Obrigkeit das Beispiel des belarussis­chen Staatschef­s Alexander Lukaschenk­o noch übertrifft und das Internet für die dreitägige­n Wahlen ab Freitag zur Staatsduma ganz lahmlegt.

Allerdings würde dann allgemeine­s Chaos drohen. Auch die elektronis­chen Abstimmung­en in Moskau und sieben anderen Regionen fielen aus, mit denen die Staatsmach­t nach Ansicht von Politologe­n das Ergebnis der Staatspart­ei Einiges Russland aufpoliere­n will. Leonid Wolkow, Stabschefs des Regimegegn­ers Nawalnys, der die „Kluge Abstimmung“aus dem Exil koordinier­t, ist jedenfalls zuversicht­lich, dass die internatio­nalen Server weiter funktionie­ren. „Wenn sie uns alles blockieren, werde ich von morgens bis nachts in unserem YouTube-Kanal sitzen und die Namen der Kandidaten vorlesen, zu deren Wahl wir raten.“Auch, wenn das ziemlich idiotisch aussähe.

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FOTO: YURI KADOBNOV/AFP Ab Freitag wählen Russlands Bürger die Duma.

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