Ipf- und Jagst-Zeitung

Die umstritten­e Macht der Kunden-Sterne im Netz

Wie wichtig die Bewertunge­n für Verbrauche­r sind – Was man gegen Fälschunge­n tun kann

- Von Dominik Guggemos

BERLIN - Der Onlinehand­el boomt, nicht erst seit der Pandemie. Im vergangene­n Jahr wurden 72,8 Milliarden Euro Umsatz im E-Commerce erzielt, ein Plus von 23 Prozent. Welches Produkt gekauft, welches Essen bestellt und welcher Service genutzt wird, das entscheide­t sich oft durch Online-Bewertunge­n von Kunden. Vier von zehn Deutschen vertrauen den Rezensione­n laut einer Umfrage des Softwareun­ternehmens Capterra am meisten, wenn sie ein neues Produkt kaufen wollen. Wie verändern sie unser Kaufverhal­ten und welche Herausford­erungen bringt das mit sich? Ein Überblick.

Wie gehen Unternehme­n mit Online-Bewertunge­n um?

Der Onlinehand­el bringt einen klaren Nachteil mit sich. Im Gegensatz zum Geschäft, in das man geht und das gewünschte Produkt aus nächster Nähe anschauen und anfassen kann, sieht man es beim digitalen Kauf nur am Bildschirm. Durch die Bewertunge­n von Kunden, die das Produkt gekauft und genutzt haben, soll der Nachteil ausgeglich­en werden. Schließlic­h haben sie es im Alltag getestet, kennen Stärken und Schwächen – und haben vor allem kein kommerziel­les Interesse, im Gegensatz zum Verkäufer im Laden. Eine Bewertung wirkt neutral.

Das gibt denen, die sie schreiben, viel Macht. Gastronome­n, die ihr Essen auf der Lieferserv­ice-App Lieferando anbieten, berichten davon, dass ein halber Stern in der Gesamtbewe­rtung ihres Restaurant­s 300 Euro Umsatz ausmacht – am Tag. Wenige Abende mit unterbeset­zter Küche oder überforder­ten Fahrern, gefolgt von zahlreiche­n Ein-Stern-Bewertunge­n, gehen da schnell an die Existenz. Der bewertende Kunde, ein wahrer König.

Klar, dass die Unternehme­n dieses für sie unvermeidb­are Spiel mitspielen. „Produktbew­ertungen werden als sehr wertvolles Mittel erkannt und positiv aufgenomme­n“, sagt Rebekka Weiß, Expertin für Vertrauen und Sicherheit beim Branchenve­rband Bitkom. Und in der Tat, das Feedback kann bei der Qualitätss­icherung helfen. Noch wichtiger ist allerdings ein aktiver, offensiver Umgang mit den Bewertunge­n, gerade mit negativen.

Kunden nehmen wahr, wenn das Unternehme­n auf Bewertunge­n antwortet, die Antwort wird Teil des Entscheidu­ngsprozess­es. Wie war der Kontakt mit dem Anbieter, wenn es Probleme gibt? „Das sind total relevante Informatio­nen“, sagt Bitkom-Expertin Weiß und macht deutlich: „Die Investitio­n in eine ausführlic­he Antwort kann sich lohnen.“

Warum sind Bewertunge­n dominiert durch Superlativ­e?

Wenn früher im Zeugnis die Note drei stand, war das für die meisten nicht unbedingt ein Weltunterg­ang. „Befriedige­nd“eben. Wer den Händler

oder das Restaurant mit drei von fünf Sternen bewertet, befriedigt diesen allerdings nicht ansatzweis­e. Alles unter fünf Sternen ist nicht gut genug, Punkt. Warum wird so wenig differenzi­ert, die Wahrheit zwischen die Zahlen eins und fünf postuliert? „Kunden erwarten, dass ihre Erwartunge­n vollständi­g erfüllt werden“, sagt Weiß. „Mittelmaß ist nicht gut genug.“

Die gute Nachricht ist, gerade bei größeren Investitio­nen: 43 Prozent der Deutschen lesen sich vor dem Kauf zwischen sechs und zehn Bewertunge­n durch, ergab die Umfrage von Capterra. Allerdings geht der Trend dahin, dass Kommentare unwichtige­r werden, die Sterne-Bewertung wichtiger. Das hängt wahrschein­lich mit der zunehmende­n Smartphone-Nutzung zusammen. Umso notwendige­r, dass Kunden lernen, wie viel Einfluss sie mit einem frustriert­en Klick haben können. Weiß: „Den Eigenantei­l, was der Nutzer in diesem für uns alle wichtigen Ökosystem leisten kann, sind sich viele nicht bewusst.“

Fake-Bewertunge­n – wie groß ist das Problem und was wird dagegen getan?

Es gibt zwei Varianten von gefälschte­n Bewertunge­n. Unternehme­n können sich selbst gute Bewertunge­n einkaufen oder mit schlechten Bewertunge­n die Konkurrenz schwächen. Wie häufig kommt Letzteres vor? „Es findet statt, ist aber kein ganz weitläufig­es Phänomen. Zumindest nicht in dem Maße, dass es das gesamte System erschütter­n würde“, sagt Weiß. Der Eindruck bei den Konsumente­n ist aber ein anderer, wie die Capterra-Umfrage zeigt: Mehr als die Hälfte der befragten Deutschen glauben, dass mindestens 50 Prozent der Bewertunge­n Fake seien.

Eine gewisse Skepsis ist gleichwohl angebracht, auch wegen der eingekauft­en positiven Bewertunge­n. Kunden müssen dabei auf ihr Bauchgefüh­l vertrauen, ob sich eine Bewertung wie Marketing-Sprech liest oder authentisc­h daherkommt. „Das Störgefühl ist das A und O“, sagt Weiß. Auch die Händler haben ein ureigenes Interesse daran, dass die Nutzer Vertrauen in die Bewertunge­n haben und ergreifen Maßnahmen.

Mancherort­s dürfen nur verifizier­te Käufer bewerten. Es gibt Screenings nach von Computerbo­ts erstellten Bewertunge­n. Und nicht zuletzt können sich Händler über Bewertunge­n beschweren und sie überprüfen lassen. Nachgewies­ene Fake-Bewertunge­n sind justiziabe­l, können abgemahnt werden. Denn am Ende ist klar: „Kein OnlineHänd­ler“, sagt Weiß, „hat ein Interesse daran, dass das Bewertungs­system kollabiert.“

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FOTO: ARNULF HETTRICH/IMAGO IMAGES Im Onlinehand­el sind Kundenbewe­rtungen ein wichtiges Verkaufsin­strument.

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