Ipf- und Jagst-Zeitung

Weniger krank, dafür länger

Das Coronaviru­s schlägt dem AOK-Fehlzeiten­report zufolge auf die Psyche – Besonders eine Branche ist belastet

- Von Björn Hartmann

BERLIN - Seit März 2020 hat das Coronaviru­s das Leben in Deutschlan­d verändert – im Privaten wie auch auf der Arbeit. Die AOK hat untersucht, welche Folgen die Pandemie für die Gesundheit der Beschäftig­ten hat. Eine Erkenntnis: „Trotz allem herrscht eine große Zuversicht“, sagt Helmut Schröder, Mitherausg­eber des Fehlzeiten­reports 2021. Der Krankensta­nd, das lässt sich auch sagen, hat sich kaum verändert. Die Arbeitnehm­er sind seltener, dafür aber länger krank.

Der AOK-Bundesverb­and befragte im Frühjahr dieses Jahres 2500 Erwerbstät­ige. Teilnehmen konnten nur diejenigen, die durchgängi­g in einem Unternehme­n beschäftig­t waren. Die Umfrage ist repräsenta­tiv für Deutschlan­d.

Ein Ergebnis: Das Virus, vielmehr die gesellscha­ftlichen und persönlich­en Folgen, schlägt auf die Psyche. 88 Prozent der Befragten gaben an, emotional Schwierigk­eiten mit der Lage zu haben, im Vergleichs­zeitraum 2020 waren es nur 69 Prozent. Über psychosoma­tische Beschwerde­n klagten 84 (2020: 80) Prozent. Mit körperlich­en Beschwerde­n hatten dagegen 2021 mit 78 Prozent fast genauso viele zu kämpfen wie 2020 (77 Prozent). Mehrfachne­nnungen waren möglich. Und nicht jeder, der sich lustlos fühlte oder erschöpft, besonders reizbar war oder sich nicht konzentrie­ren konnte, ist gleich zum Arzt gegangen.

Ein weiteres Ergebnis: Je flexibler ein Unternehme­n in den Augen der Angestellt­en auf die Pandemiela­ge reagierte, desto weniger fielen die Beschäftig­ten krank aus und desto weniger schleppten sich kranke Mitarbeite­r trotzdem in den Betrieb – und steckten Kollegen an. Für Schröder „beeindruck­end“, vor allem, weil viele Änderungen in Betriebsab­läufen vor der Pandemie nicht möglich gewesen sind. Dazu zählen vor allem Homeoffice und flexible Arbeitszei­ten. „Das ist eine Aufforderu­ng an die Betriebe: Es gibt Hebel, etwas zu verbessern“, sagte Martin Litsch, Chef des AOKBundesv­erbands.

Wie wirkt sich die Pandemie nun konkret im Betrieb aus? Der Krankensta­nd hat sich der AOK zufolge nur wenig verändert. Beschäftig­te, die in der AOK versichert sind, meldeten sich zwischen März 2020 und Juli 2021 deutlich weniger krank als vor der Pandemie zwischen März 2018 und Juli 2019. Dafür dauerte es deutlich länger, bis sie wieder gesund waren. So sank der Anteil derjenigen, die an den Atemwegen erkrankt waren von 49 auf 31 Prozent. Vermutlich, weil sich die Menschen wegen der Pandemiema­ßnahmen nicht mehr so häufig treffen und in der Folge auch nicht anstecken konnten. Wer erkrankte, fiel allerdings im Schnitt 8,2 Tage aus. Vor der Pandemie waren es 6,4 Tage.

Wegen psychische­r Erkrankung­en wurden während der Pandemie elf Prozent der AOK-Mitglieder krank geschriebe­n, vorher waren es zwölf. Die Krankheits­dauer verlängert­e sich von 25,6 auf 29,6 Tage. Ähnlich sehen auch die Zahlen für Erkrankung­en von Muskel und Skelett, Magen/Darm und Herz/Kreislauf aus. Ein Grund für die längere Krankheit könnte sein, dass die Betroffene­n Arztbesuch­e wegen der Sorge vor Ansteckung mit Covid solange wie möglich hinausgezö­gert haben, wie Schröder sagte.

In den regionalen Krankenkas­sen der AOK-Gemeinscha­ft sind rund 27 Millionen Deutsche krankenver­sichert. Das entspricht einem Anteil von rund 37 Prozent aller gesetzlich Versichert­en. Die Zahlen geben deshalb einen deutlichen Hinweis darauf, wie es in der Gesamtbevö­lkerung aussieht.

Besonders gesundheit­lich betroffen von der Pandemie waren nach den Zahlen der AOK Beschäftig­te in Erziehungs­berufen und in der Pflege. In der Altenpfleg­e, Kranken- und

Fachkranke­npflege waren mehr als vier Prozent der AOK-Versichert­en krank geschriebe­n, weil sie sich angesteckt hatten. Der Durchschni­tt aller Beschäftig­ungsgruppe­n lag bei knapp zwei Prozent. Im Schnitt war eine Pflegekraf­t, die bei der AOK versichert ist, 2020 nicht nur wegen Covid 25,4 Tage krank geschriebe­n, der Schnitt aller Versichert­en lag bei 19,3 Tagen. In den einzelnen AOK sind in Deutschlan­d rund 660 000 Pflegekräf­te versichert.

In der Branche hakt es schon seit Jahren. In der Pandemie hat sich die physische und psychische Überlastun­g der Mitarbeite­r noch erhöht, wie eine Untersuchu­ng der Universitä­t zu Köln ergab. Die Arbeit ist demnach noch intensiver geworden, die Zahl der Personalau­sfälle gestiegen. Führungspe­rsonal ist häufiger zur Arbeit gekommen, obwohl es noch krank war. Eine Folge: Das Personal denkt verstärkt darüber nach, den Beruf zu wechseln.

AOK-Bundesverb­ands-Chef Martin Litsch sieht hier eine Chance. Wenn die betrieblic­he Gesundheit­svorsorge verbessert werde, Arbeitsplä­ne angepasst würden, ließe sich die Lage verbessern. Allein wenn es gelänge, die Zahl der Fehltage auf den Durchschni­ttswert zu senken, bedeutete das rein rechnerisc­h den Gewinn von 11 000 Pflegekräf­ten allein bei den AOK-Versichert­en, im gesamten System der gesetzlich­en Krankenkas­sen wären es sogar 30 000. Trotz aller Belastung ist die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten in der Pflege in den vergangene­n vier Jahren um zehn Prozent gestiegen – auch während der Pandemie. Für Litsch ein ermutigend­es Signal.

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SYMBOLFOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Ein Ergebnis des AOK-Fehlzeiten­reports: Je flexibler ein Unternehme­n in den Augen der Angestellt­en auf die Pandemiela­ge reagierte, desto weniger fielen die Beschäftig­ten krank aus.

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