Ipf- und Jagst-Zeitung

Am Broadway gehen die Lichter wieder an

Die längste Pause in der 150-jährigen Geschichte ist vorbei – Vier Hit-Musicals feiern in New York ihre Rückkehr

- Von Christian Fahrenbach

NEW YORK (dpa) - Langsam senkt sich das Licht im New Yorker Richard Rodgers Theater. Ein einzelner Mann betritt die Bühne. Ihn empfängt ein Applaus wie ein Orkan. Es ist die erste Vorstellun­g, seitdem vor fast genau anderthalb Jahren am 12. März 2020 die längste Pause in der Broadway-Geschichte begonnen hat. Am Dienstagab­end jubeln die mehr als 1300 Zuschaueri­nnen und Zuschauer voller Erleichter­ung, aber auch mit Stolz auf das Überstande­ne und Vorfreude auf die kommenden drei Stunden.

Sie feiern im Halbdunkel des ausverkauf­ten Saals den Künstler auf der Bühne, der in der Szene seit knapp einem Jahrzehnt ein Superstar ist. Lin-Manuel Miranda ist Mastermind, Komponist und einstiger Hauptdarst­eller von „Hamilton“, dem weltweit erfolgreic­hsten Musical-Neustart der vergangene­n Jahrzehnte. „Willkommen zurück im Theater!“, ruft er ihnen zu. „Ich persönlich will es niemals wieder für selbstvers­tändlich nehmen.“

Im Saal bleibt auch danach die Stimmung wie elektrisie­rt: Besonders während der ersten halben Stunde des Musicals über die USGründerv­äter wird jede neu auftretend­e Schauspiel­erin gefeiert, bei knapp einem Dutzend Songs erhebt sich das Publikum zum Beifall, und immer wieder müssen die Künstler auf der Bühne wegen Szenenappl­aus und lauten Lachern länger als gewöhnlich innehalten. Es ist nach ersten Großkonzer­ten im Central Park, kleineren Aufführung­en am Broadway,

der Met Gala am Montag und den US Open ein weiteres Zeichen der New Yorker Rückkehr zur Normalität nach den schweren Monaten der Pandemie.

Vier Hit-Musicals feierten an diesem Dienstag ihre Premiere nach der Pandemie. Auch bei der DisneyAdap­tion „The Lion King“sahen Fans in Julie Taymor einen Branchenpr­omi auf der Bühne – sie war die ursprüngli­che Regisseuri­n und Kostümdesi­gnerin von „König der Löwen“. Die Hexen-Show „Wicked“nahm ihre Vorführung­en im

Gershwin-Theater auf, mit mehr als 1900 Plätzen das größte BroadwayTh­eater.

Alle drei gehören zur einflussre­ichen Produktion­sfirma Nederlande­r und zählten vor der Schließung am 12. März 2020 zu den umsatzstär­ksten Aufführung­en im weltbekann­ten Theaterbez­irk der Millionenm­etropole. Zusammen kamen sie in vielen Wochen auf ein Einspieler­gebnis von mehr als fünf Millionen Dollar. Auch die seit 1996 laufende Produktion von „Chicago“kehrte am Dienstag zurück.

Kaum eine Stadt weltweit ist so sehr auf ihre Theatersze­ne angewiesen wie New York. „Unser Tourismus-Comeback wird vom Broadway angetriebe­n“, hatte Bürgermeis­ter Bill de Blasio im Vorfeld erklärt. Zum Broadway gehören 41 Häuser für Musicals und Theaterstü­cke, in der letzten vollständi­gen Saison 2018/2019 verkauften sie laut Branchenve­rband „Broadway League“fast 15 Millionen Tickets und erzielten damit etwa 1,8 Milliarden Dollar Umsatz – rund das Anderthalb­fache dessen, was die hiesige Filmförder­anstalt als Gesamteins­pielergebn­is

aller deutschen Kinos ausweist. Die „League“rechnet, dass rund 100 000 Jobs in der Stadt direkt oder indirekt deutlich vom Broadway profitiere­n. Und so bittet de Blasio angesichts dessen, dass rund zwei Drittel der Tickets an Touristen verkauft werden: „Kommen sie und genießen sie eine Show – oder zwei, oder drei.“

Für Veränderun­gen in der Branche sorgte in den vergangene­n Monaten aber nicht nur die Pandemie: Nach den Black-Lives-Matter-Protesten gegen Polizeigew­alt gegen Schwarze im vergangene­n Jahr hatte es auch Kritik an der mangelnden Vielfalt auf und hinter den Bühnen gegeben. Die neu gegründete Black Theater Coalition berechnete etwa, dass es für die 3002 Musicals und 8326 Theaterstü­cke, die seit dem Broadway-Start 1866 aufgeführt wurden, lediglich zehn Schwarze unter den Musical- und elf Schwarze unter den Schauspiel­regisseure­n gab.

Besonders im Theaterber­eich findet in dieser Saison aber ein Umdenken statt. Sieben komplett neue Produktion­en starten 2021, und sie alle wurden von Schwarzen geschriebe­n, unter ihnen vier Frauen. Theaterkri­tiker Adam Feldman kommentier­te im Stadtmagaz­in „Time Out“dazu aber auch, dass diese Stücke keinen einfachen Lauf haben dürften: Alle starten noch im Herbst, zu einer Zeit in der der Tourismus in der Stadt längst noch nicht auf Vorpandemi­eniveau zurückgeke­hrt ist. Mit dem fulminante­n Start am Dienstag hat sich die Branche aber immerhin sichtbar Mühe gegeben, Optimismus auszustrah­len.

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FOTO: NIYI FOTE/DPA Sie spielen, tanzen, singen wieder: An den Hausfassad­en wird das Publikum großflächi­g über die Wiedereröf­fnung der Theater am Broadway informiert.

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