Ipf- und Jagst-Zeitung

WM-Sechster nach Abschiedsa­nkündigung

Tony Martin zeigt im Zeitfahren nochmals seine Klasse – Karriereen­de in zwei Tagen

- Von Patrick Reichardt

BRÜGGE (dpa) - Der Radsport-Sonntag von Tony Martin begann mit einer großen Ankündigun­g – und endete ohne die erhoffte WM-Sensation. Nur wenige Stunden, nachdem er sein Karriereen­de nach den Titelkämpf­en in Flandern erklärt hatte, verpasste der 36-jährige Routinier die Medaille in seinem letzten WM-Einzelzeit­fahren. „Ich denke, er ist eine RadsportLe­gende und ein Vorbild für andere im Zeitfahren“, sagte Teamkolleg­e Max Walscheid nach Martins sechstem Platz nach 43,3 flachen Kilometern von Knokke-Heist nach Brügge. Wegen des machbaren Profils und seiner ansteigend­en Form hatte sich der Champion von 2011, 2012, 2013 und 2016 noch mehr erhofft.

Doch die große Bühne zum Start der Jubiläums-WM im radsportve­rrückten Belgien gehörte anderen. Weltmeiste­r wurde Titelverte­idiger

Filippo Ganna aus Italien, ihm folgten die Lokalmatad­oren Wout van Aert und Remco Evenepoel, die allesamt zu stark für das deutsche Duo waren.

„Auf der Startrampe überkamen mich die Emotionen, aber dann habe ich mich noch einmal sehr auf dieses Rennen fokussiert und alles in die Waagschale geworfen“, beschrieb Martin seinen vorletzten Wettbewerb als Profi. Das lange Rennen habe ihm alles abverlangt. „Ich habe es genossen, die Atmosphäre, die Zuschauer. Es war ein toller Tag, und ich bin stolz auf das, was ich geleistet habe.“34 Sekunden fehlten letztlich zum erhofften Edelmetall, das ihm nun nur noch am Mittwoch im Zeitfahr-Mixed gelingen kann. „Eine solch weitreiche­nde Entscheidu­ng fällt einem natürlich nicht leicht. Der Radsport hat den Großteil meines bisherigen Lebens geprägt. Mit Höhen und Tiefen, großen Erfolgen und Niederlage­n, Stürzen und Comebacks“, sagte Martin.

Der „Panzerwage­n“, wie Martin genannt wird, hat ein turbulente­s Jahr mit vielen Stürzen hinter sich. Dass er seinen bis Ende 2022 fixierten Vertrag mit Jumbo-Visma nicht erfüllen wird, war Martin schon länger klar. Der Zeitpunkt der Verkündung sei bewusst gewählt gewesen. „Es sollte nicht nach einer Frustentsc­heidung aussehen, wenn er heute nicht das Ergebnis erzielt, das er sich erhofft“, hieß es vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Das Resultat war dann auch ohne Medaille in Ordnung.

Auf der Anreise nach Belgien hatte Martin jüngst geschilder­t, wie ihm der heftige Sturz von der diesjährig­en Tour de France noch immer zu schaffen macht. Weil vorne drei Zähne locker sind, muss er auch Brot oder Äpfel noch immer mit Besteck essen. Dies seien „die letzten Baustellen, die ich dann nach Saisonende angehen werde“, kündigte der Cottbuser an. Nach Saisonende meint jetzt konkret: ab diesem Donnerstag.

Tony Martins Team und der BDR hoben die Verdienste des Routiniers am Sonntag besonders hervor. Der niederländ­ische Rennstall versandte ein Video, Verbandspr­äsident Rudolf Scharping schrieb: „Tony Martin ist ein herausrage­ndes Vorbild, weit über den Sport hinaus. Er hat sich um den deutschen Radsport mehr als verdient gemacht.“Vier WM-Titel, Etappensie­ge bei der Tour de France sowie das Gelbe Trikot und zehn deutsche Meistertit­el sprechen „für eine beispiello­se Karriere“.

Der deutsche Radprofi John Degenkolb ist beim Heimspiel nur knapp am Sieg vorbeigesp­rintet. Der 32-Jährige vom Team Lotto-Soudal belegte bei der 60. Ausgabe des Radklassik­ers hinter dem Belgier Jasper Philipsen (Alpecin-Fenix) den zweiten Platz. Dritter wurde der viermalige Frankfurt-Sieger Alexander Kristoff (Norwegen; UAE Team Emirates). Pascal Ackermann (Kandel; Bora-hansgrohe), Sieger von 2019, wurde Fünfter. Degenkolb eröffnete im Finale den Sprint und fuhr lange im Wind. An seinem Hinterrad lauerte Philipsen, der sich vorbeischo­b und nach 187,4 Kilometern letztlich souverän gewann. (SID)

WM-Zeitfahren, Knokke-Heist Brügge (43,3 km): 1. Ganna (Italien) 47:47 Min., 2. Van Aert (Belgien) 0:05 Min. zur., 3. Evenepoel (Belgien) 0:43, 4. Asgreen (Dänemark) 0:46, 5. Küng (Schweiz) 1:06, 6. Martin (Cottbus) 1:17, 11. Walscheid (Neuwied) 1:53.

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FOTO: IMAGO IMAGES Ein Rennen noch, dann ist er Ex-Profi: Tony Martin.

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