Steinmeier wirbt für ehrlichere und klügere Außenpolitik
Bundespräsident plädiert vor der UN-Vollversammlung für mehr deutsche und europäische Verantwortung
NEW YORK (dpa) - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eine ehrlichere, klügere und stärkere deutsche Außenpolitik als Konsequenz aus dem Scheitern des Westens in Afghanistan angemahnt. Ein „Rückzug von der Welt“sei keine Option, sagte er am Freitag in der ersten Rede eines Bundespräsidenten vor der UN-Vollversammlung seit fast 40 Jahren.
Steinmeier plädierte eindringlich für mehr deutsche und europäische Verantwortung in der Welt – auch militärisch, aber nicht nur: „Militärische Stärke ohne den Willen zur Verständigung, ohne Mut zur Diplomatie macht die Welt nicht friedlicher. Wir brauchen Verhandlungsstärke ebenso wie Verteidigungsstärke.“
Mit Blick auf den aktuellen Streit zwischen den USA und Frankreich über einen neuen Indopazifik-Pakt der Amerikaner warnte Steinmeier davor, das transatlantische Bündnis aufs Spiel zu setzen: „Kein kurzfristiger Vorteil ist es wert, dass unsere transatlantische Geschlossenheit Risse bekommt. Darauf sollten wir miteinander achtgeben.“
Die USA hatten vergangene Woche ohne Absprache mit den NatoPartnern ein neues Bündnis mit Australien und Großbritannien geschmiedet und damit ein milliardenschweres U-Boot-Geschäft der Franzosen platzen lassen. Das löste wütende Reaktionen in Paris und auch Irritationen in Deutschland und anderen EU-Ländern aus. Der Streit schlug auch am Rande der UN-Vollversammlung Wellen.
Steinmeier ging in seiner Rede ausführlich auf die Folgen der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan ein. Den Fall von Kabul bezeichnete er als „Zäsur“in der internationalen Politik. Deutschland trage eine Mitverantwortung dafür, dass es nicht gelungen sei, eine selbsttragende politische Ordnung in Afghanistan zu errichten. Resignation sei aber die falsche Lehre. Stattdessen bedeute „dieser Moment der geopolitischen Ernüchterung“für die Außenpolitik: „Wir müssen ehrlicher, wir müssen klüger, aber auch stärker werden.“
Die Möglichkeiten und Grenzen der Außenpolitik müssten realistischer definiert werden. Schwerpunkte müssten klüger gesetzt und der Instrumentenkasten erweitert werden. Steinmeier unterstützte zwar die Erhöhung der deutschen
Verteidigungsausgaben in den vergangenen Jahren, sagte aber auch: „Zukünftige Generationen werden uns nicht an militärischer Stärke heute messen, sondern daran, ob wir in der Lage waren, Probleme und Konflikte zu lösen.“Und dazu gehöre eben die Diplomatie.
Der Bundespräsident richtete mahnende Worte an die Großmächte USA, China und Russland, die sich derzeit im UN-Sicherheitsrat gegenseitig blockieren. „Die Vereinten Nationen sind kein wertneutraler Boxring der Weltmächte“, sagte er. Die mächtigen Staaten müssten ihrer Verantwortung für kleinere Länder gerecht werden. Gerade mit Blick auf den Klimawandel warnte Steinmeier vor „nationalen Egoismen“und forderte starke Beschlüsse bei der bevorstehenden Klimakonferenz. „Die Lücke zwischen unseren anspruchsvollen Zielen und unserer konkreten Politik ist noch viel zu groß. Wir sind es, die diese Lücke schließen müssen. Und wir müssen es jetzt tun.“