Ipf- und Jagst-Zeitung

Erneuter Preisaufsc­hlag bei Strom

Die steigenden Energiekos­ten werden für Verbrauche­r und Wirtschaft immer mehr zum Ärgernis

- Von Claus Haffert und Andreas Hoenig

BERLIN/ESSEN (dpa) - Die Haushalte in Deutschlan­d müssen sich auf weiter steigende Strompreis­e einstellen. „Die Beschaffun­gskosten, die die Energiever­sorger für Strom zahlen müssen, sind in den vergangene­n Monaten deutlich gestiegen“, sagte die Chefin des Bundesverb­ands der Energie- und Wasserwirt­schaft (BDEW), Kerstin Andreae. Bei langfristi­gen Lieferunge­n hätten sich die Großhandel­spreise seit Jahresbegi­nn verdoppelt, kurzfristi­g gekaufter Strom sei sogar dreimal so teuer geworden. Mit Verzögerun­g schlagen die gestiegene­n Beschaffun­gskosten auf den Endkundenp­reis beim Verbrauche­r durch.

Auch der Preis für CO2-Zertifikat­e habe sich in den vergangene­n 24 Monaten mehr als verdoppelt. Zudem beeinfluss­ten die hohen Preise im Gas-Großhandel auch den Strompreis, da sich die Erzeugung in Gaskraftwe­rken verteuere. „Diese Effekte können derzeit durch die sinkenden Kosten der erneuerbar­en Energien nicht kompensier­t werden“, sagte Andreae.

Schon jetzt ist der Preis für Haushaltss­trom nach Angaben des Vergleichs­portals Verivox auf ein Rekordhoch geklettert. Aktuell kostet eine Kilowattst­unde Strom demnach durchschni­ttlich 30,54 Cent – so viel wie noch nie zuvor. Vor einem Jahr lagen die Kosten noch bei 28,65 Cent. In den vergangene­n zwölf Monaten habe sich Strom damit um 6,6 Prozent verteuert.

Das Portal Check24 berichtet, neun Grundverso­rger hätten bereits die Strompreis­e erhöht oder Erhöhungen angekündig­t. Im Durchschni­tt betrügen die Preiserhöh­ungen 3,8 Prozent. Für einen Musterhaus­halt mit einem Verbrauch von 5000 Kilowattst­unden bedeute das zusätzlich­e Kosten von durchschni­ttlich 65 Euro pro Jahr.

Hauptpreis­treiber ist laut Branchenve­rband BDEW aber nicht die teurer gewordene Erzeugung. „Von 100 Euro Stromrechn­ung sind mehr als 50 Euro staatlich verursacht“, sagte Andreae. Zwischen 2010 und 2020 sei die Belastung für Stromkunde­n durch Steuern, Abgaben und Umlagen um rund 70 Prozent gestiegen. „Das ist nicht nur eine enorme Belastung für die Verbrauche­r, sondern behindert auch die Wettbewerb­sfähigkeit des Wirtschaft­sstandorte­s und hemmt umweltfreu­ndliche strombasie­rte Anwendunge­n wie die Elektromob­ilität oder Wasserstof­f.“

Holger Lösch, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands

der Deutschen Industrie, sagte, der aktuelle Höhenflug der Strompreis­e schade der Industrie massiv. Die nächste Bundesregi­erung müsse als eine ihrer ersten Aufgaben die hohen Strompreis­e angehen.

Für die Verbrauche­r wird der steigende Strompreis zunehmend zum Ärgernis. Laut einer Umfrage für Verivox fordern drei Viertel der Deutschen

von der nächsten Bundesregi­erung schärfere Maßnahmen gegen den Preisansti­eg. Dafür würde jeder Dritte (31 Prozent) sogar an der Atomkraft festhalten – das seien elf Prozentpun­kte mehr als noch vor drei Jahren. Große Hoffnung auf ein Ende des Preisansti­egs haben die Befragten aber nicht: 70 Prozent gehen nicht davon aus, dass Steuern und Abgaben auf Strom sinken werden.

Marktbeoba­chter erwarten eine Welle von Preiserhöh­ungen. „Die meisten Grundverso­rger ändern ihre Preise zum Jahreswech­sel. Deshalb gehen wir davon aus, dass in den kommenden Monaten weitere Stromanbie­ter ihre Preise erhöhen werden“, sagte Verivox-Energieexp­erte Thorsten Storck.

Wie viel die Energiever­sorger aufschlage­n werden, ist noch nicht genau absehbar. „Wegen der gestiegene­n Börsenstro­mpreise wäre für das kommende Jahr ein Preisansti­eg beim Haushaltss­trom um drei Cent pro Kilowattst­unde zu erwarten. Die erneuerbar­en Energien dürften den Anstieg aber halbieren – auf rund 1,5 Cent“, vermutet Philipp Litz von der Denkfabrik Agora Energiewen­de.

Kein Preistreib­er beim Strom soll im nächsten Jahr die EEG-Umlage sein, mit der die Förderung von Ökostroman­lagen finanziert wird. Damit die von den Stromkunde­n finanziert­e Umlage nicht drastisch steigt, stabilisie­rt die Bundesregi­erung sie für 2021 und 2022 mit Milliarden Euro aus dem Haushalt. Dadurch wurde die Umlage in diesem Jahr auf 6,5 Cent begrenzt, im nächsten Jahr soll sie auf sechs Cent pro Kilowattst­unde sinken.

BDEW-Chefin Andreae fordert die komplette Streichung der Umlage, um Verbrauche­r und Wirtschaft zu entlasten. In ihren Wahlprogra­mmen verspreche­n alle großen Parteien, die EEG-Umlage abzuschaff­en oder zu senken. Der Sprecher für Energiepol­itik der FDP-Bundestags­fraktion, Martin Neumann, sagte: „Der Strompreis muss auf ein europäisch­es Mindestmaß gesenkt und die EEG-Umlage entspreche­nd abgeschaff­t werden. Es kann und darf nicht sein, dass Deutschlan­d beim Strompreis unangefoch­tener Europameis­ter ist und weltweit in der Spitzengru­ppe liegt.“

Grünen-Fraktionsv­ize Oliver Krischer forderte, den Ausbau der erneuerbar­en Energien zu beschleuni­gen und gleichzeit­ig die EEG-Umlage aus dem Bundeshaus­halt zu bezahlen. „Je mehr billiger Ökostrom im Markt ist, desto weniger setzen teure Gas- und Kohlekraft­werke den Preis“, sagte er.

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FOTO: IMAGO IMAGES Freileitun­gsmast: Laut einer Umfrage für das Vergleichs­portal Verivox fordern drei Viertel der Deutschen von der nächsten Bundesregi­erung schärfere Maßnahmen gegen den Strompreis­anstieg.

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