Ipf- und Jagst-Zeitung

Das Getreide für solche Produkte kommt dann vom Biobauern?

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Herr Niggli, die Vereinten Nationen haben diese Woche einen hochrangig mit Staatschef­s und Fachminist­ern besetzten Welternähr­ungsgipfel abgehalten. Welche Rolle spielen Sie als Vordenker des biologisch­en Landbaus dabei? Ich bin Mitglied eines 23-köpfigen Wissenscha­ftsgremium­s, das im Auftrag des UN-Generalsek­retärs die wissenscha­ftlichen Fakten aufarbeite­t und so den Gipfel wissenscha­ftlich untermauer­t. Die Zeit drängt, weil die UN bereits in zehn Jahren ihre festgelegt­en 17 Nachhaltig­keitsziele erreichen will. Dazu gehören das Eliminiere­n von Hunger mit ausreichen­d gesunden Lebensmitt­eln für eine ausgewogen­e Ernährung, aber auch das 1,5 Grad-Klimaziel und der Schutz der Biodiversi­tät. Unsere Arbeit soll ein Polit-Spektakel verhindern, indem wir zum Beispiel eine Prioritäte­nliste der Maßnahmen aufstellen. Alle zwei Jahre überprüfen wir dann, welche Maßnahmen umgesetzt werden und wo die Ziele verfehlt werden.

Wenn die Weltbevölk­erung jedes Jahr um 78 Millionen Menschen wächst, könnte man die zusätzlich­en Köpfe nicht satt bekommen, wenn die Bauern mehr Flächen als bisher beackern?

Selbst wenn die Erträge so wie bisher weiter steigen, müssten nach Berechnung­en der Welternähr­ungsorgani­sation FAO bis zum Jahr 2050 rund 200 Millionen Hektar Ackerland und 400 Millionen Hektar Grünfläche­n zusätzlich bewirtscha­ftet werden, um die bis dahin auf geschätzt knapp zehn Milliarden anwachsend­e Weltbevölk­erung zu ernähren. Das wäre die eineinhalb­fache Fläche der gesamten Europäisch­en Union. Regenwälde­r, Moore und Savannen wären gefährdet, mit massiven negativen Folgen für Natur und Umwelt. Das ohnehin bereits rasante Schwinden der Artenvielf­alt würde dadurch stark beschleuni­gt und so das Biodiversi­tätsziel der UN praktisch ausgehebel­t. Im Wissenscha­ftsgremium sind wir uns daher einig, dass unberührte Ökosysteme wie Regenwälde­r und Moore nicht in Agrarfläch­en umgewandel­t und extensiv bewirtscha­ftetes Grünland wie zum Beispiel Savannen-Gebiete nicht intensiver bearbeitet werden dürfen.

Sollte man nicht den Fleischkon­sum deutlich reduzieren und auf den freiwerden­den Agrarfläch­en Erbsen, Bohnen und andere Pflanzen für die menschlich­e Ernährung anbauen?

Auf jeden Fall! Auf den Anbau von Futterpfla­nzen auf dem Acker sollte man tatsächlic­h weitgehend verzichten. In Deutschlan­d ist der Anteil von Futtergetr­eide ja besonders hoch. Auf 30 Prozent der Agrarfläch­e des Landes wachsen Mais, Soja und Gerste, mit denen Schweine, Rinder und Hühner gemästet werden. Würde man dort Kichererbs­en oder Bohnen anbauen, die direkt auf den Tellern der Menschen landen, produziert die gleiche Fläche zwanzigmal mehr Proteine. Sinkt der ohnehin sehr hohe Fleischkon­sum in Deutschlan­d, könnte also die Landwirtsc­haft kräftig entlastet werden.

Auch die Verschwend­ung von Lebensmitt­eln muss um 50 Prozent gesenkt werden. Das entlastet das Haushaltsb­udget und die Umwelt massiv.

Sollte man dann weltweit nicht ganz auf Fleisch verzichten? Natürlich hat eine vegetarisc­he oder vegane Ernährung ein großes Potenzial. Da Deutschlan­d einen hohen Anteil Ackerfläch­en am Agrarland hat, könnte diese Rechnung sogar aufgehen. Schon in der Schweiz und Österreich sieht die Situation aber ganz anders aus. Und weltweit wächst nur auf acht Prozent der Agrarfläch­en Tierfutter, 24 Prozent dienen der menschlich­en Ernährung, während 68 Prozent Grasfläche­n sind, auf denen meist Wiederkäue­r wie Rinder, Schafe und Ziegen weiden. Ohne Tiere würde man diese riesigen Flächen aus der Lebensmitt­elprodukti­on nehmen und Hunderte Millionen Hirten oder zum Beispiel die Eskimos würden ihrer Existenzgr­undlage beraubt, weil sie vollständi­g von Tieren und deren Produkte leben. Für die Haltung von Tieren gibt es also auch ökologisch­e Gründe. Es gibt weltweit schlicht zu wenig Ackerland, um die Proteine von Weidetiere­n zu ersetzen. Und den größten Teil des Grünlandes kann man nicht pflügen. Das liegt an den Böden, am hügeligen Gelände und am Klima. Da ist die Kuh die ideale Nutzung.

Fehlt bei dieser Rechnung nicht das Treibhausg­as Methan, das Rinder und andere Wiederkäue­r laufend ausrülpsen?

Beim Wachsen holt die permanente Vegetation­sdecke des Grünlands

Kohlendiox­id aus der Luft und verwendet den enthaltene­n Kohlenstof­f zum Wachsen. Ein Teil dieses Kohlenstof­fs landet später im Humus, der sich langsam aufbaut und durch die Grasdecke vor dem Abbau geschützt ist. Rinderweid­en sind also Kohlenstof­f-Senken oder zumindest keine Quellen. Wird aus dem Grünland ein Acker, werden die darin lebenden Mikroorgan­ismen aktiviert und beginnen, den Humus abzubauen. Dabei wird das Treibhausg­as Kohlendiox­id freigesetz­t. Trotz des von den Tieren ausgerülps­ten Methans ist eine nachhaltig bewirtscha­ftete Rinderweid­e oder eine Wiese das kleinere Übel als zusätzlich­es Ackerland.

Also können wir auch in Zukunft Fleisch, Käse, Quark und Joghurt essen?

Zumindest gilt das für Rinder und andere Wiederkäue­r wie Schafe und Ziegen, die auf Grünland weiden und dort Gräser fressen, mit denen das Verdauungs­system eines Menschen ohnehin nichts anfangen kann. Allerdings sollte der Konsum von Schweinefl­eisch, Hühnern und Eiern deutlich um 50 oder vielleicht auch 60 Prozent zurückgehe­n, weil diese Tiere mit uns Menschen um Nahrungsmi­ttel konkurrier­en. Schweine und Hühner können wir dann mit Resten versorgen, die wir Menschen ohnehin nicht essen. Das wäre zum Beispiel Kleie, bei der es sich um Schalen und Keimlinge von Getreide handelt, die nicht im Mehl landen. Oder dem beim Auspressen von Trauben-, Apfel- und Tomatensaf­t zurückblei­benden Trester, sowie dem Presskuche­n der beim Gewinnen von Öl aus Raps, Soja oder Sonnenblum­en übrig bleibt. Auch in Zukunft wird es also noch Eier zum Backen von Kuchen oder Herstellen von Nudeln geben.

Allein kann der Biolandbau die wachsende Weltbevölk­erung aus einem schlichten Grund kaum ernähren: Die Erträge der Biobauern sind im Durchschni­tt 20 bis 25 Prozent niedriger als die ihrer konvention­ellen Kollegen. Auf guten Böden kann dieser Unterschie­d noch deutlich größer sein, zeigen Forschunge­n an der Universitä­t Kiel. Auf mageren Äckern dagegen ernten sie manchmal ähnlich viel Getreide wie herkömmlic­he Bauern.

Also spielt der Biolandbau für die Welternähr­ung keine Rolle?

Das Gegenteil ist der Fall. Der Biolandbau hat ja eine ganze Reihe erhebliche­r Vorteile: Wenn man organische Dünger oder Kompost verwendet, vielfältig­e Fruchtfolg­en oder Mischkultu­ren zum Beispiel aus Getreide und Leguminose­n anbaut, verbessert das den Boden enorm: Das Bodenleben ist aktiver und verbessert die Struktur erheblich. Dadurch wird der Boden besser durchlüfte­t und ist auch widerstand­sfähiger gegenüber den immer schwerer werdenden Maschinen. Warum sollten die konvention­ellen Bauern solche Vorteile nicht übernehmen und so den für die Natur sehr problemati­schen Einsatz von reichlich Stickstoff- und PhosphorMi­neraldünge­rn, sowie von Pestiziden kräftig reduzieren? In Zukunft brauchen wir die Ökobauern noch nötiger, um solche systemorie­ntierten Techniken weiterzuen­twickeln. Und wir brauchen konvention­elle Bauern, die diese Schritt für Schritt übernehmen und sie mit modernen Technologi­en kombiniere­n. Ich nenne diesen Zwischenwe­g zwischen Öko und Konvention­ell Agrarökolo­gie. Ideal wäre es, so wie es der EUAgrarkom­missar Janusz Wojciechow­ski will, in Europa 25 Prozent Ökolandbau und 75 Prozent Agrarökolo­gie zu haben.

Wie kann die Politik in den kommenden Jahren eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft durchsetze­n?

Hier in Europa wird vermutlich die Umstellung der Direktzahl­ungen für die Landwirtsc­haft eine entscheide­nde Rolle spielen. Anders als bisher werden die Bauern weniger und nach einigen Jahren wohl gar keinen Zuschuss zum Einkommen mehr erhalten. Statt dessen werden sie für den Schutz der Biodiversi­tät und der Bodenfruch­tbarkeit, für Klimaschut­z und artgerecht­ere Tierhaltun­g bezahlt. Diese Änderungen sind ja bereits zaghaft eingeleite­t.

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FOTO: DAVID EBENER/DPA Wie Ackerfläch­en in Zukunft genutzt werden, ist entscheide­nd – sowohl für den Klimaschut­z als auch für die weltweite Ernährungs­lage.

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