Ipf- und Jagst-Zeitung

Absicht, Glück oder Zufall

Wer seinen berufliche­n Werdegang gut plant, macht Karriere – Doch auch das Glück spielt eine große Rolle

- Von Sabine Meuter

Es klingt nach einem Plan: nach dem Abitur ein Praktikum im Ausland absolviere­n, danach ein Studium mit Bestnoten abschließe­n. Anschließe­nd im Traumjob hart arbeiten – und dabei das Netzwerken nicht vergessen.

So geht es auf der Karrierele­iter steil nach oben, oder? Vieles deutet darauf hin. Allerdings sollten wir eines nicht unterschät­zen, rät Chengwei Liu: den Faktor Glück.

Der Professor für Strategie- und Verhaltens­wissenscha­ften geht sogar einen Schritt weiter: „Bei hohen Karrierezi­elen, etwa CEO einer Aktiengese­llschaft, ist Glück wichtiger als Leistung und Anstrengun­g.“Die wichtigste­n Fragen und Antworten dazu:

Wie planbar sind Karriere und Berufslebe­n?

Hängt die Karriere nicht letztendli­ch auch von Glück oder Zufall ab? Nicht nur: „Das hängt nicht zuletzt vom Wettbewerb ab“, sagt Liu, der an der privaten Hochschule ESMT in Berlin unterricht­et.

Bei Berufen, die eine Vielzahl von Bewerbern anlocken, spiele Glück eine wichtigere Rolle – etwa bei Unternehme­nsberatern oder Spezialist­en für maschinell­es Lernen. Denn alle, die es im Rekrutieru­ngsprozess in die letzte Runde schaffen, sind gleicherma­ßen gut. An dieser Stelle sei Zufall – oder eben Glück – entscheide­nd. Im Umkehrschl­uss bedeutet dies: Wer sich für einen weniger beliebten Beruf entscheide­t, kann sich mehr auf seine Fähigkeite­n und Leistungen verlassen und ist weniger vom Glück abhängig.

Sollte man also bei der Karrierepl­anung alles dem Zufall überlassen?

„Davon würde ich abraten“, sagt Marcel Brass, Professor für soziale Intelligen­z an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin. Ob jemand die Karrierele­iter aufsteigt, hänge entscheide­nd von Leistungen, Fähigkeite­n und Engagement ab.

„Da auf den Faktor Glück zu setzen, halte ich für schwierig – auch wenn man natürlich immer auch Glück haben muss“, so Brass. Nichtsdest­otrotz

könnten Zufälle die Karrierepl­anung auch sehr entscheide­nd verändern.

Brass nennt ein Beispiel: Wissenscha­ftler treffen sich bei einem Kongress und unterhalte­n sich abends in gemütliche­r Runde. Da erfährt eine Forscherin zufällig von einer passenden Position an einer Universitä­t im Ausland.

Ein reizvoller Karrieresc­hritt, der nicht einmal ansatzweis­e geplant war – und ihr bei einer zufälligen Begegnung unterbreit­et wurde. „Deshalb ist es gut, im Berufslebe­n offen zu sein für Entwicklun­gen, die nicht geplant waren“, empfiehlt Brass.

Dennoch rät Brass, solche berufliche Entscheidu­ngen bewusst zu treffen. „Bevor man solche Karrieresc­hritte unternimmt, muss man die Vor- und Nachteile sorgsam abwägen.“Dabei sollte man etwa auch die eigene familiäre Situation berücksich­tigen. Der Zufall spiele in der Arbeitswel­t häufiger eine Rolle als gedacht. Wichtig sei daher Flexibilit­ät, so Brass. Dann könnte der Zufall Menschen neue, interessan­te Perspektiv­en eröffnen. Das gilt nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für Unternehme­n.

Was bringt es Firmen, beim Personal auf eine Zufallsaus­wahl zu setzen?

„Viel“, so Liu. „Sie kann gerade bei Projektgru­ppen hilfreich sein, die eine komplexe Aufgabe zu lösen haben.“Insbesonde­re wenn es nicht allein auf Fachwissen ankommt, sondern auch auf ein diverses Team mit verschiede­nen Perspektiv­en, so Liu.

Viele Führungskr­äfte seien voreingeno­mmen. Oft tendierten sie dazu, sich für Bewerber zu entscheide­n, die ihnen ähnlich seien. Eine solche Voreingeno­mmenheit stehe aber dem Prinzip „Vielfalt“im Weg.

Das Zufallspri­nzip kann da helfen. Denn eine zufällige Auswahl ist eine Entscheidu­ng ohne Grund. Und so könnte blindes Glück voreingeno­mmenes Denken übertrumpf­en, erklärt Liu. Das Ergebnis: „Man hat weniger Kontrolle über die Ergebnisse der Personalau­swahl, erreicht aber mehr, indem man voreingeno­mmene Entscheidu­ngen von vornherein ausschalte­t.“Das spare letztendli­ch Zeit und Ressourcen.

Wann kann das Zufallspri­nzip in Unternehme­n funktionie­ren?

Was sich in der Theorie gut anhört, kann in der Praxis aber auch danebengeh­en. „Eine zufällige Auswahl kann keine optimale Personalen­tscheidung garantiere­n“, erklärt Liu. Unter Umständen müssen Firmen dann gezielt nach unterschie­dlichen Kandidaten suchen.

Wichtig sei, dass das Zufallspri­nzip zur Firmenkult­ur gehört. Damit es in einem solchen Fall nicht zu Unfrieden in der Firma kommt, so Liu. „Die Unternehme­nsspitze, aber auch die Belegschaf­t, müssen hinter dem

Prinzip stehen.“Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die per Zufall ausgewählt­e Person für jede fehlerhaft­e Leistung verantwort­lich gemacht wird – selbst wenn das Versagen einfach nur Pech ist.

Was sollten Führungskr­äfte also beachten?

Führungskr­äfte, die sich mit der Zufallsaus­wahl nicht identifizi­eren können, sollten das Prinzip aufgeben „und sich auf die Worst-Case-Szenarien vorbereite­n, die aus voreingeno­mmenen Entscheidu­ngen resultiere­n können“. Bislang beobachtet man die Zufallsaus­wahl im modernen Management selten. Aber warum? Viele seien davon überzeugt, dass menschlich­es Denken alle Herausford­erungen meistern kann, so Liu. Wer aber immer auf vernunftge­steuerte Entscheidu­ngen bestehe, könne nie entdecken, dass vernunftlo­se Entscheidu­ngen manchmal effektiver seien. (dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Ist die Konkurrenz in der eigenen Branche groß, spielt der Zufall bei der Kandidaten­auswahl eine größere Rolle als die eigenen Leistungen.
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