Die Kanzlermacher suchen Gemeinsamkeiten
Grüne und FDP müssen sowohl in Ampel- als auch in Jamaika-Koalition zusammenarbeiten – Habeck als Vizekanzler im Gespräch
BERLIN - Ampel oder Jamaika? Über diese Frage werden nicht die SPD oder Union entscheiden, sondern FDP und Grüne. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik bestimmen diese Parteien, welchen Weg Deutschland nun einschlägt. Sie sind die Kanzlermacher. Fragen und Antworten zum Thema.
Wer kann mit wem?
Schon seit vier Jahren treffen sich mehrere Politiker der Grünen und der FDP zu einem regelmäßigen zwölfköpfigen Gesprächskreis im gediegenen Lokal Lebensstern in Berlin-Charlottenburg. Ins Leben gerufen wurde er vom Kemptener Stephan Thomae, Fraktionsvize für die FDP im Bundestag, und dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz. Zunächst ging es darum, die gescheiterten JamaikaVerhandlungen 2017 aufzuarbeiten und den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Später spielten auch die eigenen Inhalte eine Rolle. „Die Atmosphäre ist sehr gut“, berichtet Thomae im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die eigenen Standpunkte könnten offen ausgetauscht und erklärt werden. Mit dabei sind Politiker und Politikerinnen wie Franziska Brantner, Dieter Janecek, und Oliver Krischer (Grüne) und auf der anderen Seite etwa Florian Toncar und Konstantin Kuhle. Ebenso hatte Lukas Köhler, Klimapolitiker bei der FDP, einen Kreis mit Daniel Bayaz von den Grünen, heute Finanzminister in Baden-Württemberg, gegründet, der vom ersten Corona-Lockdown jedoch wieder beerdigt wurde.
Wer kann mit wem nicht? Wollen Liberale ihre Distanz zu den Grünen ausdrücken, lassen sie gerne zwei Namen fallen, meist mit verächtlichem Unterton: Toni Hofreiter und Jürgen Trittin. Die beiden linken Grünen verkörpern für viele Liberale das „Öko-Bullerbü“, über das sich Lindner so gerne lustig macht. Und Lindner selbst ist bei vielen Grünen auch nicht unbedingt wohlgelitten. Hörte man sich am Montag bei den Liberalen um, wie der Umgang mit eher schwierigen Gesprächspartnern ablaufen soll, klingt eine gewisse Zuversicht durch: Trittin habe ohnehin nicht mehr viel zu sagen. Und selbst Hofreiter pflegte in der vergangenen Legislaturperiode einen regelmäßigen Gedankenaustausch mit Michael Theurer, wie der Vorsitzende der baden-württembergischen FDP berichtet.
Wann gibt es erste Gespräche? „Zeitnah“war die einzige Information, zu der sich Lindner am Dienstag hinreißen ließ. Die Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck, die für die Grünen die Sondierungen anführen, wollten sich gar nicht zu einem Zeitpunkt des Gesprächsbeginns äußern. Dafür haben sie sich geeinigt, wer von beiden Vizekanzler werden soll. Öffentlich machen sie ihre Entscheidung noch nicht. Doch unter anderem die „Frankfurter Allgemeine“und die „Welt“berichten, die Rolle des Vizekanzlers werde Habeck übernehmen.
Welche Berührungspunkte gibt es inhaltlich?
Inhaltlich und personell sei man nicht so weit auseinander, warb von Notz jüngst. Beide Parteien sehen den staatlichen Eingriff in Grundund Freiheitsrechte kritisch. Die Vorratsdatenspeicherung lehnen Grüne und FDP ebenso ab wie die Kameraüberwachung auf öffentlichen Plätzen. Annalena Baerbock sagte vor der Wahl, es gebe insbesondere bei den Parlaments- und Bürgerrechten große Schnittmengen. In der Opposition habe man gut zusammengearbeitet, gemeinsame Anträge eingebracht und die Regierung herausgefordert.
Was trennt sie?
Die größten Auseinandersetzungen könnte es bei den Themen Energieund Wirtschaftspolitik sowie Finanzen geben. Vor allem beim Thema Geld könnte es knifflig werden. Die Grünen wollen ihre umfassenden Klimapläne über Schulden finanzieren, das lehnt die FDP ab. Zudem will die FDP auf keinen Fall Steuern erhöhen – im Gegensatz zu den Grünen. Wie die Parteien da zusammenkommen wollen, ist noch unklar. Habeck warb am Montag erneut dafür, die Schuldenbremse zu reformieren. Er sei „guter Hoffnung“, FDP und Union erklären zu können, warum die Reform notwendig sei. Wenn der Plan aber nicht aufgehe, „soll die Gegenseite erklären, wo das Geld herkommen soll“, sagte Habeck. Auch beim Klimaschutz könnte es zu Konflikten kommen. In der Sache sind sich die Parteien einig: Eine Wende ist nötig. Beim Wie gehen sie jedoch auseinander. So wollen die Grünen den Verbrennungsmotor verbieten und setzen voll auf Elektromobilität, während die FDP technologieoffen an die Mobilitätswende herangeht. Klimapolitiker sehen aber durchaus Raum für Kompromisse.
Wie könnte die gemeinsame Erzählung lauten?
Status quo gegen Erneuerung, Weiter-so gegen Aufbruch: Diese Polarität machen Liberale und Grüne auf. Beide Parteien hätten sich „gegen den Status quo der Großen Koalition gewandt“, sagte Lindner. An dieser Erzählung hielten auch Baerbock und Habeck am Montag fest. „Wir wollen diese Bundesregierung in ein neues Zeitalter führen“, sagte Baerbock. „Das Schlechteste wäre, dass die ehemalige große Koalition einen fünften Aufguss bekommt. Irgendwann wird die Suppe dünn“, betonte Habeck. Zu dieser Erzählung passt auch, dass die beiden Parteien gerade bei jungen Erstwählern populär sind. Bei den 18bis 24-Jährigen waren Grüne und FDP die mit Abstand beliebtesten Parteien, während sie im Lager der Über 60-Jährigen am schlechtesten von allen Parteien abschnitten.
Was lässt sich aus den Ampelund Jamaika-Koalitionen in den Ländern lernen?
Schlüsselrollen könnten FDP-General Volker Wissing und Robert Habeck zukommen. „Eine Koalition mit ungewöhnlichen Partnern funktioniert nur, wenn alle Verantwortlichen bereit sind, dem Partner auf Augenhöhe und mit Wertschätzung zu begegnen“, sagte Wissing der „Schwäbischen Zeitung“jüngst. Das sei nicht trivial, weil man sich gleichzeitig inhaltlich voneinander abgrenzen müsse. „Das schafft deswegen nur jemand, der empathisch ist und zudem tief in den Fachthemen steckt, um gemeinsame Schnittstellen für einen tragfähigen Kompromiss ausmachen zu können.“Robert Habeck habe bewiesen, fügte Wissing hinzu, dass er ein erfahrener und empathischer Politiker sei. Ähnlich drückt es der stellvertretende FDPVorsitzende Wolfgang Kubicki jüngst aus: Die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein sei nur deswegen erfolgreich, weil bei allen Partnern unstrittig sei, Partnern nichts zuzumuten, das sie nicht leisten könnten. Habeck war in Kiel Mitarchitekt des Bündnisses und Landwirtschaftsminister.