Ipf- und Jagst-Zeitung

Zweifel, Frust und ein Hauch von Bescheiden­heit

In der Union herrscht Irritation über die Durchhalte­parolen der eigenen Parteispit­ze – Revolte gegen Laschet bleibt vorerst aus

- Von Ellen Hasenkamp

BERLIN - Am Tag danach, gut zwölf Stunden nach Schließen der Wahllokale, waren für einige in der Union offenbar die Grenzen der Selbstbehe­rrschung erreicht. Hatte am Sonntagabe­nd noch die Parole „Weitermach­en“verfangen, brach am Montag der Frust durch.

Einer der Ersten, der sich Luft machen musste, war Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer, in dessen Bundesland sich die Landkarte der Direktmand­ate, nahezu flächendec­kend in AfD-Blau eingefärbt hatte. Entspreche­nd wenig Verständni­s zeigte er morgens im heimischen Mitteldeut­schen Rundfunk für die Durchhalte­strategie seiner Parteispit­ze. Von einem „Erdbeben“sprach Kretschmer und von einer „ganz klaren Wechselsti­mmung gegen die CDU“, die dieses Mal für den Wähler „nicht die erste Wahl“gewesen sei.

Das aber war so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was am Sonntagabe­nd aus dem Konrad-Adenauer-Haus zu hören gewesen war. Denn dort, wie auch in der CSU, war das historisch schlechte Ergebnis unverdross­en als Signal für eine bürgerlich­e Regierung gewertet worden.

„Das erschließt sich mir nicht“, kommentier­te Kretschmer.

Ganz so deutlich wie der Sachse wurde in der CDU sonst niemand. Aber Zweifel am forschen Vorgehen des Wahlabends hatten offenbar auch weitere Spitzenpol­itiker der Partei beschliche­n. Die Sitzungen von Präsidium und Vorstand gerieten dann auch länger und kontrovers­er als geplant.

Peter Altmaier, bislang Bundeswirt­schaftsmin­ister, der gerade seinen saarländis­chen Wahlkreis verloren und sich im Übrigen schon im April gegen Laschet als Kanzlerkan­didat ausgesproc­hen hatte, verlangte noch vor der Tür eine Neuaufstel­lung. Von einem „Ergebnis, das ich mir vor wenigen Monaten noch nicht einmal in den schlimmste­n Alpträumen vorstellen konnte“, sprach er. 24,1 Prozent lautete dieses Resultat, ein Absturz von fast neun Prozentpun­kten im Vergleich zu 2017, so schlecht wie nie zuvor in der bundesdeut­schen Geschichte.

In der Sitzung selbst machten dann auch Laschet-Unterstütz­er wie Herbert Reul oder Karl-Josef Laumann aus ihrem Frust keinen Hehl. Es fielen Wörter wie „Katastroph­e“und Sätze wie „Die CDU ist jetzt nur noch zweimal FDP“, hieß es später. Ob es sich dabei um echte Empörung oder eher um kontrollie­rtes Druckablas­sen handelte, blieb allerdings vorerst offen. Vielleicht war es auch eine Mischung aus beidem. Eine echte Revolution brach jedenfalls auch am Montag in der CDU nicht los. Den Rücktritt des Parteichef­s forderte zwar, wie erwartet, die selbst ernannte konservati­ve Basisbeweg­ung namens Werteunion, aber sonst eigentlich niemand. Noch nicht jedenfalls.

Laschet selbst spricht später vor der Presse von einer „intensiven“Diskussion. Und räumt weit klarer als am Vortag ein, dass das Wahlergebn­is – Platz zwei, weniger als 30 Prozent, herbe Verluste – die Union nicht zufriedens­tellen „kann, darf und wird“. Auch seinen „persönlich­en Anteil“daran erwähnt er.

An seinem Plan, ein JamaikaBün­dnis zu schmieden und so doch noch eine Regierungs­beteiligun­g für die Union und das Kanzleramt für sich selbst zu erreichen, hält er allerdings fest. Nur nennt er es jetzt „Bereitscha­ft“. Das klingt schon ein bisschen demütiger als am Vorabend, als er von einem „Auftrag“für die Union gesprochen hatte. Diese sehr selbstbewu­sste Ansage hatte allerdings auch bei den eigenen Leuten Irritation­en ausgelöst, auch wenn wiederum einige darauf hinwiesen, dass Laschet genau diese Vorwärtsst­rategie noch am Wahlabend mit der Parteiführ­ung abgestimmt hatte. Von einem „Anspruch“auf eine Regierungs­bildung will auch CSUChef Markus Söder am Montag nichts mehr wissen. Angesichts von Platz zwei „können wir nur ein Angebot machen“, stellt er, ganz im Gleichklan­g mit Laschet, klar. Auch Söder hat offenbar erstens der Ärger über das miese Abschneide­n der CSU in Bayern erreicht und zweitens der Hinweis darauf, dass es doch gerade

Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) er und die Christsozi­alen gewesen waren, die stets Platz eins zur Bedingung für eine Regierungs­bildung gemacht hatten. Leichte Kurskorrek­tur also auch in Bayern. Wobei Söder nicht Söder wäre, würde er dies nicht nutzen, um die Latte für Laschet und seine Bündnisplä­ne hochzulege­n: Die Union müsse im Falle von Jamaika „in solch einem Regierungs­auftrag wirklich erkennbar sein", fordert er.

Auf direkte Attacken allerdings verzichtet­e der CSU-Chef, der im April den Kampf um die Kanzlerkan­didatur der Union gegen Laschet verloren hatte. „Von meiner Seite gibt es keine Rückspiele, keinen Groll.“Deutliche Worte gab es dennoch. Viele CSU-Vorstandsm­itglieder übten nach Angaben von Teilnehmer­n massive Kritik am CDU-Chef und gemeinsame­n Kanzlerkan­didaten. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sagte etwa, es habe bei der CDU Schwächen bei Kurs, Kampagne und beim Kandidaten gegeben. Söder beschränkt sich dagegen darauf, seine Mitsprache­rechte für die kommenden Wochen zu wahren. Er warnte Laschet davor, die Verhandlun­gen mit FDP und Grünen nun allein an sich zu ziehen. „Die Gespräche führt nicht einer.“

Viele Fragezeich­en also bei der Union – und das gilt auch für die als Erstes anstehende Besetzung eines Schlüsselp­ostens: den Fraktionsv­orsitz. Während des Wahlkampfs hatte es geheißen, Laschet werde versuchen, sich das Amt zu sichern – als Machtbasis für Koalitions­verhandlun­gen und auch als Notnagel für den Fall, dass es nichts wird mit dem Kanzleramt. Davon ist am Montag keine Rede mehr. Er stehe nicht zur Verfügung, betont Laschet. Vielmehr sei es – seit Sonntag – seine Meinung, dass „wir in der Phase der Unsicherhe­it Kontinuitä­t brauchen in der Fraktion“. Er werde daher Amtsinhabe­r Ralph Brinkhaus vorschlage­n.

Doch richtig geklärt ist die Frage damit nicht: Es blieb nämlich zunächst offen, ob Brinkhaus das Amt kommissari­sch weiter ausüben und die Wahl später stattfinde­n oder Brinkhaus nun auch offiziell gewählt werden soll. Der Ostwestfal­e selbst verließ die Parteizent­rale schnellen Schritts und ohne Antwort. Vor der Sitzung hatte er in aller ihm möglichen Deutlichke­it gesagt: „Ich würde gerne Fraktionsv­orsitzende­r bleiben.“Die Sitzung der neuen Abgeordnet­en von CDU und CSU ist für Dienstag angesetzt.

„Ich sehe einen klaren Wählerwill­en, der deutlich gemacht hat, die Union ist dieses Mal nicht die erste Wahl.“

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CDU-Chef Armin Laschet (links) muss in seiner Partei nach dem Wahldebake­l um Rückhalt kämpfen, sein Kontrahent Olaf Scholz (rechts) ist dagegen obenauf.
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FOTOS: AFP

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