Ein Schatten liegt über dem strahlenden Sieger
Olaf Scholz und die SPD haben sich gerade noch vor der Bedeutungslosigkeit gerettet – Doch nun brauchen sie Partner
BERLIN - „Ansonsten habe ich gut geschlafen“, sagt Kanzlerkandidat Olaf Scholz und lächelt, als er am Montag den Morgen nach der Bundestagswahl beschreiben soll. Eingerahmt von den beiden Gewinnerinnen der Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, Franziska Giffey und Manuela Schwesig, und den Parteichefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken will er den Regierungsanspruch seiner Partei untermauern.
Und doch liegt ein Schatten auf ihrem Auftritt. 25,7 Prozent sind zwar kein Ergebnis, mit dem man sich in die 40-Prozent-plus-Ahnenreihe der Kanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder einreihen könnte. Dennoch ist die fast schon totgesagte SPD wieder da – und will ihren Regierungsanspruch untermauern. Die Partei hat kurz vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit die Kurve gekriegt. Aber sie hat jetzt ein neues Problem.
Dabei ist alles anders als damals, im Jahr 2017. Da saß Wolfgang Schmidt in der Landesvertretung Hamburg und raufte sich die Haare. Der Mann, der Olaf Scholz seit Jahren von Station zu Station folgt und als sein engster Vertrauter gilt, war
Gast in einer Runde, die den katastrophalen Wahlausgang analysieren sollte: hohe Parteifunktionäre, Meinungsforschungsinstitute und eine ganze Schar von Politologen.
Irgendwann kam die These auf, dass es die Hartz-Reformen waren, die für die Niederlage verantwortlich gemacht werden müssten. Es seien nicht der unglücklich agierende Kandidat Martin Schulz, die unklare Wahlbotschaft und die ständigen Streitereien unter den Sozialdemokraten. An dieser Stelle raufte sich Berater Schmidt die Haare.
Man kann sagen, dass die Planung für den Nachwahltag 2021 damals in Schmidts Kopf reifte. Unter Führung der damaligen Parteichefin Andrea Nahles verabschiedete sich die Partei von Hartz, ohne damit zu brechen – und als Scholz nach der Niederlage im Kampf um Nahles’ Nachfolge Kanzlerkandidat wurde, stimmte dann alles: die Botschaft, die Geschlossenheit und der Kandidat.
Das heißt nicht, dass Scholz nun die einzige Machtbastion in der SPD wäre. Der frisch in den Bundestag gewählte Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert ist zu nennen, Arbeitsminister Hubertus Heil, Generalsekretär Lars Klingbeil und ja, auch die beiden Parteivorsitzenden. Und neben Scholz konkurrieren auch drei erfolgreiche
Frauen um Einfluss und Macht in der Partei, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, vor allem aber die nun frisch gewählten SPD-Frauen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, Franziska Giffey und Manuela Schwesig.
Die Ausgangslage ist also diesmal gut für die SPD. Aber auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus bleiben die Mienen des Führungspersonals meistens ernst. Denn auf Bundesebene braucht die Partei Koalitionspartner, um regieren zu können. Und ihre Optionen sind am Abend vorher zusammengeschrumpft.
Die Möglichkeit eines rot-grünroten Bündnisses hat sich mit dem schwachen Abschneiden der Linken erledigt. Der siegreichen SPD bleiben daher nur zwei Möglichkeiten, um eine Regierung zu bilden. Die eine davon, eine Fortsetzung der Großen Koalition, diesmal unter sozialdemokratischer Führung, wollen weder SPD noch CDU. Für beide Seiten kommt es nun darauf an, das beste Angebot zu bieten, um Grüne und FDP zu sich in eine Koalition zu holen. Ampel oder Jamaika – eines dieser beiden konkurrierenden Modelle stellt nun die Zukunft dar.
Es ist also klar, dass sich sowohl die SPD als auch die CDU an die beiden heranrobben. Nachdem CDUChef
Armin Laschet am Wahlabend bereits das Bild einer „Zukunftskoalition“mit Grünen und Liberalen entworfen hatte, zieht SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Montag in der SPD-Zentrale nach und entwirft seinerseits das Bild einer „Fortschrittskoalition“unter SPD-Führung. So regierten die drei Parteien in Rheinland-Pfalz schon zusammen. Er erinnert auch an die „sehr erfolgreichen sozialliberalen Koalitionen“von 1969 bis 1982 und die „sehr gute Regierungszeit mit den Grünen“von 1998 bis 2005.
Scholz‘ salbungsvolle Worte stehen im Gegensatz zu dem, was die Parteichefs Esken und Walter-Borjans bereits seit Tagen verbreiten. Die beiden Befürworter eines rotgrünen Bündnisses haben mit der
Einbeziehung der Liberalen ein erkennbares Problem, etwa mit der Absage an Steuererhöhungen und dem Festhalten an der schwarzen Null. Esken betonte schon kurz vor der Wahl: „Das ist Voodoo.“Walter-Borjans legte am Montagmorgen nach. Es scheint, als setze die SPD auf die guter Polizist/böser Polizist-Strategie aus US-Krimis. Hier die strengen Parteichefs, dort der salbungsvolle Kanzleranwärter. Für die SPD ist es dabei eine missliche Lage, dass sich zuerst Grüne und FDP untereinander abstimmen wollen.
Denn damit würde sie zu einer Getriebenen, der man Zugeständnisse abpressen kann. Scholz erinnert die FDP daher an die glücklose schwarz-gelbe Bundesregierung von 2009 bis 2013, an Regierungsparteien, die „hintenrum erzählen, was die anderen alles schlecht machen“, an das „in den letzten Jahren abschreckendste Beispiel“für Regierungstätigkeit. Er hingegen wolle eine Regierung bilden, die auf Vertrauen beruhe. Daher sei es „erst mal völlig okay“, wenn FDP und Grüne zunächst untereinander sprächen. „So schnell wie möglich“, spätestens bis Weihnachten, will Scholz ein Bündnis gezimmert haben. Es könnte allerdings sein, dass er das allein gar nicht bestimmen kann.