Der Druck auf Ungeimpfte steigt
Aus einem Fehler bei den Corona-Fallzahlen für die Schulen zieht ein Vater seine eigenen Schlüsse
ELLWANGEN - Was sind Fakten? In Zeiten von Corona eine heikle Frage. Wie das Beispiel um einen Vater, die Landkreisverwaltung und zwei erkrankte Lehrkräfte an Ellwanger Schulen zeigt.
Die Landkreisverwaltung hatte für den September über die CoronaInfektionen an den Ellwanger Schulen berichtet. „Lehrkräfte sind nicht betroffen“, hatte Pressesprecherin Susanne Dietterle mitgeteilt. Der Vater meldete sich per E-Mail: „Diese Aussage ist falsch.“Am HariolfGymnasium sei eine Lehrkraft an Corona erkrankt und habe circa zwei Wochen lang nicht unterrichten können. Auch am Peutinger-Gymnasium sei eine Lehrkraft an Corona erkrankt.
„Ja, das war ein Fehler“, bestätigte Dietterle daraufhin. Zwei Fälle seien bekannt gewesen, als sie im Rahmen einer Presseanfrage die falsche Auskunft gegeben habe. Die Zahlen vom Gesundheitsamt kämen aber auch zeitverzögert bei der Pressestelle des Landratsamts an. Die Sprecherin entschuldigte sich für den Fehler und korrigierte die Zahlen: Insgesamt habe sich die Zahl der dem Gesundheitsamt bekannten infizierten Lehrkräfte an Schulen im gesamten Ostalbkreis bis einschließlich 30. September 2021 auf vier erhöht.
Der Vater sieht in dem Vorfall mehr als ein Versehen. Er setzt das Wort „Versehen“in seiner Mail in Anführungszeichen. Und schreibt: „Interessant ... dürfte in diesem Zusammenhang auch sein, dass beide Lehrkräfte vollständig geimpft waren und es somit an den Ellwanger Schulen schon in den ersten beiden Schulwochen mindestens zwei Impfdurchbrüche gegeben hat.“
Auf Anfrage der Ipf- und JagstZeitung / Aalener Nachrichten ergänzt er: „Die Vermutung ist, dass nur die Lehrer in die Statistik aufgenommen werden, die ungeimpft sind. Dabei ist es eine wichtige Info, dass auch Lehrer erkanken, die geimpft sind. Man kann nicht solche Zahlen herausgeben, die besagen, bei den Lehrern ist alles okay, denn sie sind ja durchgeimpft. Und bei den Schülern sind die Infektionszahlen so hoch wie nie. Da wird ein falscher Eindruck vermittelt. Soll da der Impfdruck auf die Kinder erhöht werden?“
„Auch Geimpfte können infiziert sein und erkranken. Das bestreitet niemand“, entgegnet Susanne Dietterle. Es gebe deshalb keinen Grund, Impfdurchbrüche zu unterschlagen. Tatsächlich kann, wer möchte, beim Robert-Koch-Institut nachlesen: „Die Wirksamkeit der Covid-19-Impfungen
ist sehr gut, aber beträgt nicht 100 Prozent. Das bedeutet: Obwohl die Impfstoffe sehr wirksam sind, können sie nicht alle Infektionen bei Geimpften verhindern. Sie sorgen aber dafür, dass Infektionen deutlich weniger häufig vorkommen und dass schwere Covid-19-Krankheitsverläufe bei Geimpften sehr selten werden.“
Das Landesgesundheitsamt listet die Infektionszahlen für den September nach Ungeimpften und Geimpften auf. Laut dem Lagebericht zu Covid-19 von Donnerstag, 30. September, gab es in Baden-Württemberg in den vergangenen 28 Tagen insgesamt 40 713 Covid-19-Fälle. Davon mussten 1567 ins Krankenhaus. Von ihnen waren 233 mögliche Impfdurchbrüche. Weiter zählt das Landesgesundheitsamt die Fälle auf, die intensivmedizinisch betreut werden mussten. Von den 1567 Menschen, die ins Krankenhaus kamen, lagen 219 auf der Intensivstation. 21 von ihnen waren Impfdurchbrüche.
Auch an den Kliniken Ostalb gibt es Patienten, die trotz Impfung erkrankt sind. Es handele sich um Menschen, die an einer Vorerkrankung leiden, berichtet Professor Ulrich
Solzbach, Vorstandsvorsitzender der Kliniken Ostalb. Die meisten Menschen, die sich trotz Impfung anstecken, bemerkten ihre Erkrankung nicht einmal, weiß der Mediziner. Lediglich bei rund vier Prozent seien die Verläufe so schwerwiegend, dass sie einen Aufenthalt im Krankenhaus nötig machten. Klar sei aber auch, dass Geimpfte das Virus trotz zweifachem Piks weiter verbreiten können, wenn auch in geringerer Form.
Auf diese Gefahr weist auch der Ellwanger Vater hin. Er erzählt, dass der Ehepartner einer der infizierten Lehrkräfte ebenfalls als Lehrkraft arbeitet. Als Geimpfter habe diese Lehrkraft weiter unterrichtet. „Was, wenn diese Person die Krankheit weiterträgt, mein Kind sich ansteckt und ich deswegen in Quarantäne muss?“fragt der Ellwanger.
Tatsächlich müssen vollständig Geimpfte weder in Quarantäne noch sich testen, so die aktuelle CoronaVerordnung vom 27. September. Die Impfquote bei Lehrkräften liegt nach Auskunft von Fabian Schmidt vom Kultusministerium „nach Rückmeldungen der Lehrerverbände bei etwa 80 bis 90 Prozent“.
Demnach treten die meisten Lehrkräfte geimpft, aber ungetestet vor ihre vielmals noch ungeimpften Schülerinnen und Schüler. Das Robert-Koch-Institut rät: „Das Risiko, das Virus möglicherweise auch unbemerkt an andere Menschen zu übertragen, muss durch das Einhalten der Infektionsschutzmaßnahmen zusätzlich reduziert werden.
Daher empfiehlt die Ständige Impfkommission auch nach Impfung die allgemein empfohlenen Schutzmaßnahmen (Alltagsmasken, Hygieneregeln, Abstandhalten, Lüften) weiterhin einzuhalten.“
Gleichzeitig erhöht die Regierung in der Tat den Druck auf Ungeimpfte: Coronatests werden ab 11. Oktober kostenpflichtig. Steigt die Auslastung der Krankenhäuser, tritt die 2GRegel mit großen Beschränkungen für Ungeimpfte in Kraft.
Professor Solzbach hält es für kontraproduktiv, Druck auszuüben. Vielmehr müssten Ungeimpfte mit Argumenten überzeugt werden: „Begleiterscheinungen wie ein schmerzender Arm, Kopfschmerzen und eine leicht angestiegene Temperatur sind nichts im Vergleich zu dem, was bei einer schweren Covid-19-Erkrankung droht“, sagt er.
Auch der Ellwanger Vater sorgt sich darüber, was es für ihn bedeuten würde, wenn das Virus den Weg in seine Familie fände. Angst um die Gesundheit nennt er dabei nicht. „Ich bin nicht geimpft, also erhalte ich bei Quarantäne keine Lohnfortzahlung“, sagt er. Diese Entscheidung der Gesundheitsminister gilt ab 1. November.
Das gesamte Interview mit Professor Ulrich Solzbach, Vorstandsvorsitzender der Kliniken Ostalb, lesen Sie auf der Seite „Aalen“. Der Ellwanger Vater ist der Redaktion namentlich bekannt.