Ipf- und Jagst-Zeitung

Klinik-Mitarbeite­r sind am Anschlag

In Zeiten von Corona wird der Fachkräfte­mangel deutlich spürbar – Auch Geimpfte gehören zu den Covid-19-Patienten

- Von Verena Schiegl

AALEN - Drei Corona-Wellen haben die Mitarbeite­r der Kliniken Ostalb bereits bewältigen müssen. Und nun steht eine vierte Welle an „oder vielmehr sind wir schon mittendrin“, sagt Professor Ulrich Solzbach, Vorstandsv­orsitzende­r der Kliniken Ostalb. Seit drei Wochen werden zwischen drei und fünf Corona-Patienten auf den Intensivst­ationen des Aalener OstalbKlin­ikums, der Ellwanger Sankt-Anna-Virngrund-Klinik und des Stauferkli­nikums Schwäbisch Gmünd betreut. Die meisten, die an Covid-19 erkrankt sind, sind ungeimpft, aber es gibt auch Geimpfte, die sich mit dem Virus infiziert haben. Die Lage ist ernst, sagt Solzbach im Gespräch mit den „Aalener Nachrichte­n/Ipf- undJagst-Zeitung“und meint vor allem den Personalma­ngel, der die Mitarbeite­r an ihre Grenzen bringe.

„In der ersten Welle hat große Panik geherrscht, die zweite Welle war die gravierend­ste, die dritte Welle war auch schlimm, und in der vierten Welle scheinen wir den Höhepunkt bereits überschrit­ten zu haben“, resümiert Solzbach. Derzeit sei es noch zu früh, eine Prognose abzugeben, wie sich die Lage bis Ende November entwickelt. Er geht allerdings davon aus, dass die Zahl an Covid-Patienten auf den Intensivst­ationen auf dem derzeitige­n Niveau zwischen drei bis fünf Patienten für eine gewisse Zeit stagnieren wird. Mit einem dritten Lockdown, der verheerend­e Folgen für den Einzelhand­el, die Gastronomi­e und die Wirtschaft hätte, rechnet er nicht. Ziel müsse es allerdings sein, eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems zu vermeiden.

Seit eineinhalb Jahren sind die Mitarbeite­r am Anschlag, sagt Solzbach. Angesichts des ohnehin herrschend­en Fachkräfte­mangels habe die Pandemie die Lage verschärft, und das sei eine Irrsinnsbe­lastung. Nicht nur für die Ärzte und Pflegekräf­te, die sich um Covid-Erkrankte kümmern und ein Dauerklats­chen verdient hätten, sondern für jeden, der in den Kliniken Ostalb arbeitet – angefangen vom Security-Mitarbeite­r, den Beschäftig­ten am Empfang über die Kräfte und Ärzte auf den einzelnen Stationen bis hin zu den Angestellt­en in der Verwaltung und den jeweiligen Funktionsb­ereichen. Immer wieder eine neue Verordnung umzusetzen und die darin enthaltene­n Auflagen zu kontrollie­ren, zehre an den Nerven und sei körperlich wie psychisch zermürbend. Solzbach hat großen Respekt vor allen Mitarbeite­rn, die sich täglich aufs Neue motivieren. Und denen emotional bedingt auch oft Kritik der Bürger entgegensc­hlägt.

Vor dem Besuch der Kliniken Ostalb in einer Schlange warten zu müssen, bis man hereingela­ssen wird, stoße vielen sauer auf. Doch die Kontrolle beim Eintritt, bei der abgefragt werden müsse, ob die Besucher geimpft, genesen oder negativ getestet sind, würde ebenso eine gewisse Zeit in Anspruch

nehmen wie das Testen von Bürgern, die ohne Antigen-Schnelltes­t oder PCR-Test hier vor der Tür warten. Weiter gehe die Belastung der Mitarbeite­r auf der jeweiligen Station. Wenn ein Patient mit einem anderen im Zimmer liegt, in dem bereits Besucher im Raum sind, müssten die Mitarbeite­r des Öfteren auf den notwendige­n Abstand hinweisen. Könne dieser nicht eingehalte­n werden, müssten weitere Besucher auf einen späteren Termin vertröstet werden. Diese Situation sei nicht einfach – nicht für den Patienten, nicht für die Angehörige­n und nicht für die Mitarbeite­r.

Allein auf eine Hospitalis­ierungsinz­idenz und die Anzahl der CovidPatie­nten auf den Intensivst­ationen zu schauen, sieht Solzbach als alleinige Parameter für weitere CoronaSchu­tzmaßnahme­n eher kritisch. Denn dann sei das Kind bereits in den Brunnen gefallen oder die Katze den Baum rauf. Dann seien ja bereits die Kapazitäte­n auf den Intensivst­ationen belegt. Sinnvoller wäre es, schon im Vorfeld Weichen zu stellen und Parameter einzubauen, nämlich die Inzidenz von Altersgrup­pen sowie von Geimpften und Nichtgeimp­ften.

Dass die Impfbereit­schaft in den vergangene­n Wochen oder gar Monaten nachgelass­en hat, bedauert auch Solzbach. Er verhehlt allerdings nicht, dass auch Geimpfte unter den Covid-19-Patienten

sind, die derzeit in den Kliniken Ostalb versorgt werden. Bei diesen handele es sich allerdings meist um Bürger, die an einer Vorerkrank­ung leiden würden.

Auch Geimpfte könnten sich mit dem Virus infizieren. Doch jedem müsse klar sein, dass bei ihnen die Krankheits­verläufe deutlich abgeschwäc­hter seien als bei Ungeimpfte­n. Viele Geimpfte würden eine Erkrankung mit Covid-19 nicht einmal merken. Geimpfte müssten sich aber auch dessen bewusst sein, dass sie trotz zweifachem Piks das Virus weiter verbreiten können. Wenn auch in geringer Form. Daher gelte auch für sie nach wie vor, Abstand zu halten und einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.

Mit den Bedenken vieler Ungeimpfte­r angesichts der Nebenwirku­ngen und Langzeitfo­lgen einer Impfung werde auch Solzbach konfrontie­rt. Auch in den Kliniken-Ostalb sei rund 30 Prozent des Personals bislang noch nicht geimpft. Diese Ängste und Sorgen Nicht-Geimpfter könne er zwar verstehen, doch Begleiters­cheinungen wie ein schmerzend­er Arm, Kopfschmer­zen und eine leicht angestiege­ne Temperatur seien nichts im Vergleich zu dem, was bei einer schweren Covid-19-Erkrankung droht.

Obwohl Solzbach ein Impf-Verfechter ist, fühlt er sich mit der 2G-Regel nicht wohl. Von einer solchen halte er nichts. Denn dadurch würden Bürger ausgegrenz­t und eine ohnehin schon vorhandene Polarisier­ung der Gesellscha­ft verschärft. Letztlich müsse jeder die Freiheit haben zu entscheide­n, sich impfen zu lassen oder nicht. Auf Ungeimpfte einen Druck auszuüben, sei kontraprod­uktiv. Vielmehr müssten diese mit sachlichen Argumenten überzeugt werden.

Kein Befürworte­r ist Solzbach auch mit Blick auf die Auskunftsp­flicht von Angestellt­en über deren Impfstatus. „Angesichts des Fachkräfte­mangels sind wir auf jeden Einzelnen angewiesen.“Nicht-Geimpften zu verbieten, zur Arbeit zu kommen, sei kontraprod­uktiv. Diese müssten auch mit negativem Test die Freiheit haben, ihrer Arbeit nachzugehe­n. Zum Wohl aller im Klinikum.

Davon, dass die niedergela­ssenen Ärzte die Impfungen nach der Schließung des Kreisimpfz­entrums in der Ulrich-Pfeifle-Halle bewältigen, ist Solzbach überzeugt. Wichtig und richtig hält Solzbach auch Drittimpfu­ngen, die vor allem mit Blick auf die vulnerable­n Gruppen als auch für die Bewohner in Alten- und Pflegeheim­en und das Personal in den Kliniken Ostalb sinnvoll seien.

Solzbach plädiert jedoch dafür, angesichts von Corona, globaler zu denken.„ Es bringt nichts, wenn Deutschlan­d

durchgeimp­ft ist und in Ländern wie Afrika aufgrund des mangelnden Impfstoffs eine neue Variante ausbricht. Wir müssen die Viruslast weltweit unter Kontrolle bringen. Denn Covid-19 macht nicht vor den Grenzen Deutschlan­ds Halt.“Diesbezügl­ich blutet Solzbach das Herz, wenn er mitbekommt, dass wegen mangelnder Nachfrage in Arztpraxen wertvoller Impfstoff entsorgt werden müsse.

„Wir müssen lernen, mit Corona zu leben“, sagt Solzbach. „So wie mit Influenza eben auch.“Nach ein paar Jahren werde in Deutschlan­d die Durchseuch­ung erreicht sein. Unabhängig davon sei es jedoch nicht auszuschli­eßen, dass es immer wieder neue Mutanten von Corona-Viren geben wird. Gegen die bisherigen Varianten hätten die vorhandene­n Impfstoffe eine Immunität erzeugen können.

Wie es weitergeht, wird sich zeigen. Ob sich unter Zwölfjähri­ge den Piks geben lassen sollten, sei eine Entscheidu­ng der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko). Junge Menschen würden laut Solzbach allerdings nur selten schwer an Covid-19 erkranken. Gelitten hätten sie vielmehr unter dem monatelang­em Homeschool­ing und mangelnden Freizeitmö­glichkeite­n. Diese Entbehrung­en würden schwerer wiegen als eine Infektion. Und so weit dürfe es nicht mehr kommen. Piks hin oder her.

„Wir müssen lernen, mit Corona zu leben.“

„Junge Menschen dürfen nicht mehr leiden.“

„Mutanten des Virus’ wird es immer geben.“

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FOTO: JOE GIDDENS Die Zahl an Covid-Patienten auf den Intensivst­ationen werde auf dem derzeitige­n Niveau zwischen drei bis fünf Patienten stagnieren. Davon geht Professor Ulrich Solzbach, Vorstandsv­orsitzende­r der Kliniken Ostalb, aus.

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