„Das war ein Wahnsinnsritt“
EHG-Chef Brandt über die Rekordergebnisse, die der Wohnmobilbauer ausgerechnet im Corona-Jahr erzielt hat
BAD WALDSEE - Die Situation ist absurd: Die Auftragsbücher sind voll, die Fahrzeuge begehrt – und dennoch droht der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) Kurzarbeit und ein Produktionsstopp. Grund sind Materialmangel und Lieferengpässe. Über die Folgen für den oberschwäbischen Wohnmobilbauer, die guten Geschäfte im vergangenen Jahr und die Suche nach jungen Kunden hat Benjamin Wagener mit EHG-Chef Martin Brandt gesprochen.
Corona hat Ihr im Juli zu Ende gegangenes Geschäftsjahr von Anfang bis Ende geprägt. Wie hat sich die Pandemie ausgewirkt?
Wenn man nur auf die Zahlen blickt, sind das Rekordzahlen. Wenn man aber sieht, wie wir das erreicht haben, dann war das ein Wahnsinnsritt.
Warum steigt in diesen Zeiten die Nachfrage nach Wohnmobilen? Wir waren schon vor Corona im Boom. In der Pandemie haben die Menschen dann gesehen, dass man mit dem Wohnmobil autark unterwegs sein und relativ unabhängig reisen kann. Das hat sich sehr positiv ausgewirkt, und wir haben viele neue Kunden gewonnen. Im Camper-VanBereich, also bei den kompakten Fahrzeugen, haben wir vor allem bei jungen Leuten Erfolg gehabt, die die Fahrzeuge nicht klassisch nutzen und damit vier Wochen Urlaub machen, sondern mit ihnen regelmäßig Wochenendtrips unternehmen.
Wie sieht der Erfolg in Zahlen aus? Wir haben einen Umsatz von 2,7 Milliarden Euro erwirtschaftet, das war ein Plus von 23 Prozent.
Und der Gewinn?
Über den Gewinn sprechen wir nicht.
Aber Sie schreiben schwarze Zahlen, oder? Und Ihre Mutter, der USKonzern Thor, ist mit Ihrem Beitrag zufrieden?
Ja.
Wie schätzen Sie die weitere Marktentwicklung ein?
Die Nachfrage ist da, unser Auftragsbestand ist hoch. Und die Händlerbestände sind so niedrig wie noch nie, zudem ist auch der Gebrauchtwagenmarkt leer gekauft. Wir gehen also davon aus, dass der Boom weiter anhält – und nicht nur in diesem Geschäftsjahr, sondern auch mittelfristig. Aber das Problem ist ein anderes. Das Problem ist, wie wir den Markt bedienen können.
Sie meinen, Ihnen fehlen Teile, um die Fahrzeuge fertigzustellen und auszuliefern.
Wir verfügen einfach nicht über die Materialien, die wir brauchen. Wir bekommen gerade nicht die Fahrgestelle, die wir benötigen – weder von Fiat noch von Mercedes. Denn dort fehlen Halbleiter und Computerchips. Fiat kann uns nicht mal sagen, wie viele Fahrgestelle wir in den nächsten Wochen bekommen. Wir können gar nichts planen, wir wissen nicht, wohin die Reise geht.
Welche Teile fehlen Ihnen noch? Das kann man gar nicht so sagen, denn das ändert sich jede Woche. Mal sind es Fenster, mal Kühlschränke. Aber das größte Problem sind die Fahrgestelle. Das ist eine Situation, die ärgerlich ist – natürlich auch für die Händler und die Endkunden. Wir haben Kunden, die haben Fahrzeuge gekauft und denen können wir nicht sagen, wann sie das Fahrzeuge erhalten. Wir können nicht so viel produzieren, wie wir verkaufen könnten.
Wie lange reichen die Fahrgestelle, die Ihre Zulieferer zugesagt haben? Vielleicht bis Ende Oktober oder Anfang November. Im Moment leben wir von der Hand in den Mund. Wir müssen auch unsere Vorproduktion andauernd umplanen, weswegen wir auch erhebliche Produktivitätsverluste haben. Es könnte sogar sein, dass wir im November trotz des sehr guten Auftragsbestands die Produktion noch einmal stoppen und in Kurzarbeit gehen müssen.
Wie viele Fahrzeuge hat die ErwinHymer-Gruppe im Jahr 2020/21 verkauft?
Die Zahl der verkauften Fahrzeuge haben wir um 18 Prozent auf 65 000 gesteigert. Die Marken vergleichen wir nicht untereinander, weil die in unterschiedlichen Segmenten tätig sind. Wir schauen uns die Segmente an, also die Wohnwagen, die Wohnmobile und die Camper-Vans. Am stärksten wachsen die Vans und dann die Wohnmobile.
Was ist Ihre liebste Marke?
Das ist wie bei den Kindern, die sind alle unterschiedlich, aber man liebt alle und macht keine Unterschiede. Alle Marken haben sich besser entwickelt als geplant.
Die Pandemie hat auch die Integration der EHG in den Thor-Konzern durcheinandergewirbelt. Wie laufen die gemeinsamen Projekte? Wir wollten Camper-Vans nach europäischem Vorbild auf den USMarkt bringen, wir wollten bei den Innovationen und im Einkauf zusammenarbeiten. Viele Projekte haben wir aber auf Eis gelegt, weil wir nicht reisen konnten. Bei den Innovationen und im Einlauf laufen einige Projekt – aber lange nicht in der Geschwindigkeit, die wir uns erhofft haben. Man muss sich für manche Dinge halt doch persönlich treffen.
Finden Sie für Ihre Werke ausreichend qualifiziertes Personal?
Wir sind angewachsen auf 8883 Mitarbeiter, das sind 1500 mehr als vergangenes Jahr. Und es ist wirklich schwer, Leute zu bekommen. Wir verstärken unsere Ausbildung und Weiterbildung – unter anderem mit unserer Erwin-Hymer-Akademie. Da wir ein Haus auf Rädern sind, brauchen wir alle Gewerke, die man im Haus hat – das sind Schreiner, Elektriker, Sanitärexperten. Weil es so schwierig ist, Leute zu bekommen, stellen wir Leute als Elektriker ein, bilden sie weiter, damit sie auch andere Sachen machen können und wir flexibel sind.
Der Küchenbauer Alno hat Ende September seine Produktion eingestellt. Haben Sie Ihre Scouts schon nach Pfullendorf geschickt? Wir haben schon seit Jahren gute Kontakte nach Pfullendorf und haben schon nach der ersten Insolvenz einige gute Leute von Alno gewonnen.
Haben Sie bereits Arndt Vierhaus, den Chef der Vierhaus-Gruppe getroffen, klimaneutral komplett der das Produktionsgelände von Alno mit allen Hallen in Pfullendorf gekauft hat? Immerhin will er sein Engagement in der Caravan-Branche ausbauen und hat gerade den Caravan-Zulieferer Tegos in Ostrach übernommen. Soll dort ein neues Caravan-Zentrum entstehen?
Ich habe das alles aus der Presse erfahren. Wir wussten, dass Tegos Probleme hatte und einen Investor gesucht hat. Wir haben das beobachtet und finden gut, dass die VierhausGruppe da eingestiegen ist und wir dort weiter einen zuverlässigen Partner haben. Was die VierhausGruppe mit dem Alno-Gelände vorhat, weiß ich nicht, aber wenn Arndt Vierhaus seine Zuliefertätigkeiten ausdehnen will, steht dem nichts im Wege. Wir können bei den Engpässen jeden Zulieferer brauchen.
Wie sehen die Planungen für eine Erweiterung Ihrer Hymer-Produktion in Bad Waldsee aus?
Wir haben eine neue Produktionshalle gebaut, da gehen wir in die Chassis-Produktion, die wird im April 2022 anlaufen. Weitere Planungen haben wir nicht.
Im kommenden Jahr werden Sie Ihr Servicegeschäft in eine eigene Gesellschaft ausgliedern. Was sind die Hintergründe?
Bei uns macht jede Marke ihren Kundendienst im Wesentlichen selbst – und hat dann oft genau dieselben Teile bei sich auf Lager. Wir wollen das effizienter gestalten und die verschiedenen Lager zusammenführen. Wir nehmen nun den Kundendienst von Hymer, der schon für andere Marken arbeitet, organisieren das markenneutral und docken dort andere Marken an. Am Ende werden wir einen Kundendienst haben für die gesamte Erwin-Hymer-Gruppe.
Was bedeutet die Ausgliederung für die Mitarbeiter?
Die Mitarbeiter werden keine anderen Arbeitsbedingungen haben, als jetzt dort vorherrschen.
Zahl der verkauften Fahrzeuge um 18 Prozent auf 65 000. Vor allem die kompakten Camper-Vans (plus 59 Prozent/21 000 Fahrzeuge) und die Wohnmobile (plus zehn Prozent/30 000 Fahrzeuge) verkauften sich gut. Die Zahl der abgesetzten Wohnwagen ging dagegen um drei Prozent auf 14 000 zurück. Wie Brandt weiter erläuterte, hat sich die EHG konkrete Klimaziele gesetzt. So arbeiteten alle Werke der Gruppe seit August – also mit grüner Energie. Steht nicht ausreichend Öko-Energie zur Verfügung kompensiere der Wohnmobilbauer das durch konventionelle Energie ausgestoßene Kohlendioxid. (ben)
In diesem Jahr ist die EHG nicht auf dem Caravan-Salon gewesen. Dafür verstärken Sie Ihr digitales Marketing. Was ist der Grund? Mehr als 80 Prozent unserer Marketingausgaben geben wir bislang für Messen aus. Wenn wir auf die Messen gehen, erreichen wir aber nur Menschen, die sich sowieso schon für Caravaning interessieren. Wir wollen aber auch neue und junge Kunden erreichen, die noch gar nicht wissen, wie interessant Caravaning ist. Und da fahren wir nun im Digitalen Kampagnen, die auf genau diese Zielgruppe zugeschnitten ist.
Waren Sie privat auf dem CaravanSalon? Was sind die neuesten Trends?
Als Vorstandsmitglied des Caravaning Industrie Verbands musste ich da hin – und ich bin natürlich auch durch die Hallen gelaufen. Aber richtige neue Trends habe ich nicht entdeckt, wir waren ja auch nicht da.