Mehr Zeit fürs Vatersein
Für die Familie da sein und dennoch Karriere machen – Viele Väter befinden sich heute in einem Zwiespalt
BERLIN - Ja, es stimmt: Anders als in früheren Generationen schieben Väter heute den Kinderwagen, lernen Windeln zu wechseln und gehen mit dem Nachwuchs zum Arzt. Wenn in der Kita oder in der Schule Elternsprechtag ist, erscheint immer öfter der Vater. Im vom Bundesfamilienministerium herausgegebenen Väterreport 2021 ist das stark wachsende Interesse der Väter am Familienleben gut dokumentiert. 45 Prozent wünschen sich laut einer dort zitierten Allensbach-Umfrage eine gerechte Aufteilung der Kinderbetreuung zwischen Mann und Frau.
Das Problem dabei: Es handelt sich um reine Willensbekundungen. Die Realität sieht nämlich anders aus. In derselben Umfrage geben nur 17 Prozent der Väter an, dass sie tatsächlich die Hälfte der in der Familie anfallenden Arbeiten übernehmen. Dazu passt, dass trotz des angeblich so großen Wunsches, mehr für die Kinder da zu sein, weit und breit kein Trend zu mehr Teilzeitarbeit von Vätern zu erkennen ist. Im Gegenteil: Sobald die staatlich geförderten Elternmonate vorbei sind, kehren fast neun Zehntel der Väter in ihren Vollzeitjob zurück.
Tut sich also gar nichts im Hinblick auf modernere Familienverhältnisse, und sind wie eh und je vor allem die Mütter für Küche und Kinder zuständig? Ganz so negativ sieht der Geschäftsführer des Bundesforums Männer, Dag Schölper, die Entwicklung nicht. „Trotz Job verbringen Väter inzwischen deutlich mehr Zeit mit ihren Kindern, nämlich im Schnitt drei Stunden täglich und damit etwa ein Drittel mehr als 1993“, sagt er der „Schwäbischen Zeitung“. Insofern sei ein „kultureller Wandel“durchaus zu beobachten.
Ronald (25) hat in dieser Hinsicht Glück gehabt. Er lebt in Köln, seine Eltern stammen aus dem sächsischen Hoyerswerda. „Mein Vater und meine Mutter sind beide berufstätig und haben sich, als ich jünger war, etwa zu gleichen Teilen um mich gekümmert“, sagt er. Eins hätte er sich aber gewünscht: „Dass sie insgesamt mehr Zeit für mich gehabt hätten.“Die 23-jährige Berlinerin Leyla hat dagegen sehr viel Zeit mit ihrer Mutter verbracht. Ihr Vater machte sich rar. „Dabei habe ich mir immer gewünscht, dass mir meine Eltern mehr den Rücken stärken, zum Beispiel wenn es mal Stress in der Schule gab.“Schölper, dessen Bundesforum Männer dem Bündnis
„Sorgearbeit fair teilen“angehört, sagt, viele Männer befänden sich in dem Zwiespalt, zugleich „gute Arbeitnehmer und gute Väter“sein zu wollen. „Es ist nicht einfach, dem gerecht zu werden“, sagt er. Er beobachtet, dass es für viele Männer „die Norm“sei, einem Vollzeitjob nachzugehen, „einfach, weil sie nicht aus dem Rahmen fallen wollen“. Andere hätten „gute ökonomische Gründe dafür“. Tatsächlich sei es noch oft so, dass der Mann mehr verdiene als die Frau. Ein guter Vater könne man trotz Vollzeittätigkeit sein, betont
Schölper. „Das hängt aber zum Beispiel davon ab, wie sehr man sich auf die öffentliche Infrastruktur verlassen kann, zum Beispiel in Form von Ganztagsbetreuung in Kindergärten und Schulen.“Am späten Nachmittag und Abend bleibe dann noch Zeit, um die Tochter oder den Sohn zum Sportverein zu bringen beziehungsweise sich anderweitig mit ihm oder ihr zu beschäftigen.
Interessant findet er jedoch Ansätze wie etwa den von der Industriegewerkschaft Metall, die in Tarifverhandlungen „Zeitausgleich statt mehr Kohle“durchgesetzt habe. „Da sieht man, dass es auch für Beschäftigte in traditionellen Branchen attraktiv sein kann zu sagen, ,ich arbeite ein paar Stunden weniger in der Woche und kümmere mich mehr um meine Familie‘.“
Rund 6,5 Milliarden Euro jährlich lässt sich der deutsche Staat das Elterngeld kosten. Es soll einen Anreiz bieten, dass sich Mütter, aber auch Väter vor allem dann intensiv um ihre Kinder kümmern können, wenn diese noch sehr klein sind. Knapp die Hälfte der Väter nimmt dieses Angebot wahr – aber nur, um danach mit voller Kraft weiterzuarbeiten. „Viele Väter konzentrieren sich, auch wenn sie andere Wünsche äußern, auf die Berufstätigkeit“, heißt es dazu im Väterreport 2021. „In der Folge tragen die Mütter weiterhin die Hauptlast der Familienarbeit – mit negativen Folgen für ihre eigenen Karrierechancen und ihre eigene ökonomische Unabhängigkeit.“Immerhin: Die Pandemie habe gezeigt, dass eine andere Aufgabenteilung sehr wohl möglich sei, sagt Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht (SPD), und fügt hinzu: „Trotz aller Belastungen“. Familien und die gesamte Gesellschaft könnten an die Erfahrungen, die in dieser Zeit gemacht wurden, anknüpfen.
Auch Schölper vom Bundesforum Männer berichtet von positiven Entwicklungen während der Pandemie. „Dort, wo Väter und Mütter schon vorher bereit waren, Verantwortung in der Familie zu übernehmen, hat das auch während der Einschränkungen gut geklappt“, sagt er. Gerade die Möglichkeiten zu mehr Homeoffice böten zudem neue Möglichkeiten. „Wenn die Fahrzeiten wegfallen, bleibt mehr Zeit für die Familie.“