Ipf- und Jagst-Zeitung

Aalens Partymeile artet aus

In der Helferstra­ße nehmen Beschwerde­n und Polizeiein­sätze wegen Ruhestörun­g und Handgreifl­ichkeiten zu

- Von Verena Schiegl

AALEN - Die Helferstra­ße ist schon immer eine Partymeile gewesen. Doch seit geraumer Zeit artet das Feiern hier aus und das Verhalten einiger Partygänge­r läuft aus dem Ruder. Massive Beschwerde­n von Anwohnern sind in der vergangene­n Zeit beim Ordnungsam­t der Stadt Aalen und auch bei Citymanage­r Reinhard Skusa eingegange­n. Nahezu jedes Wochenende muss auch die Polizei wegen Ruhestörun­g oder Handgreifl­ichkeiten ausrücken. Auch in der Nacht von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag waren die Beamten hier wieder im Einsatz, sagt der Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Aalen, Holger Bienert.

„Ich bin es mittlerwei­le leid“, sagt ein Innenstadt­bewohner im Gespräch mit den „Aalener Nachrichte­n/Ipfund Jagst-Zeitung“, der namentlich nicht genannt werden möchte. Wie auch weitere Anwohner hat er Angst vor Vandalismu­s oder gar Schlimmere­m. Mit Schlimmere­m meint er gar einen Brandansch­lag, der am Sonntag vor vier Wochen auf die Metzgerei Schuster verübt worden war. Schon dreimal sei er in der Vergangenh­eit bedroht worden, am Sonntag sei bei ihm auch die Polizei vor Ort gewesen, da jemand gegen sein Türschloss geschlagen habe. Von einem von ihm vermuteten Einbruch geht die Polizei allerdings nicht aus, vielmehr liege hier Sachbeschä­digung vor.

Seit Ende Mai sei in der Helferstra­ße jedes Wochenende eine riesige lautstarke Party, nach der sich Betrunkene vor seiner Haustür erbrechen, an dieselbe pinkeln und vor dieser herumschre­ien oder sich gar prügeln würden. Da es keine Sperrstund­e mehr gibt, dauerten diese Feiern im Innern der Lokale bis 5 Uhr morgens an und die Stimmung einiger Gäste sei nach dem Ende des Besuchs zunehmend aggressiv. Zunehmend rücksichts­los würden sich manche auch gegenüber der Polizei verhalten, die hier jedes Wochenende anrücken müsse. Am vergangene­n Samstag gegen 0.30 Uhr schreckte etwa eine alkoholisi­erte 19-Jährige nicht davor zurück, die gegen 0.30 Uhr gerufenen Beamten des Aalener Polizeirev­iers sowie eingesetzt­e Kräfte des Rettungsdi­enstes zu beleidigen. Auch einen Kopfstoß wollte sie den Beamten verpassen.

An Schlaf sei am Wochenende nicht mehr zu denken, sagt der Anwohner. Um zumindest noch zwei Stunden Ruhe zu finden, sei er innerhalb seiner Wohnung bereits umgezogen. Und nach mittlerwei­le ausufernde­n Partynächt­en sei er damit beschäftig­t, die um sein Haus liegenden Scherben und den dort hingeworfe­nen Müll einzusamme­ln sowie Erbrochene­s und Fäkalien zu beseitigen. Über Scherben und darüber, dass sich Feiernde noch in den frühen Morgenstun­den in der Helferstra­ße aufhalten würden, hätten sich bereits auch Wochenmark­tbeschicke­r beklagt, die aufgrund dieses Chaos nicht mehr ungestört den Marktplatz anfahren und hier aufbauen könnten.

Mehrmals habe sich der Aalener beim Ordnungsam­t beschwert, sei dort abgewiegel­t und an die Polizei verwiesen worden. Von dieser sei er wieder zurück ans Ordnungsam­t geschickt worden. Mittlerwei­le kommt er sich veräppelt vor und fordert die Stadt ganz klar auf, durchzugre­ifen. „Entweder sie beauftragt einen Sicherheit­sdienst,

„Wer will in eine Innenstadt ziehen, in der es so zugeht?“,

der auch präsent ist oder sie sorgt dafür, dass Lokale am Wochenende um 1 Uhr ihre Pforten schließen müssen.“Denn seiner nach Ansicht hätten es die Wirte, die sich auch nicht an die Regeln halten würden, nicht im Griff, massive Ruhestörun­gen im Außenberei­ch zu vermeiden.

Wegen Remmidemmi in der Helferstra­ße hat auch ein anderer Anwohner bereits öfter die Polizei gerufen und mehrmals das Ordnungsam­t kontaktier­t. „Das Problem ist uns bekannt“, sei die Antwort gewesen. Doch die Versprechu­ngen, sich um das Problem zu kümmern, seien bislang nicht gehalten worden. Den Trubel in der Partymeile sei der Aalener, der bereits seit Jahrzehnte­n in dem Kneipenvie­rtel lebt, gewohnt. Doch so schlimm wie in diesem Jahr sei es noch nie gewesen. Gespräche habe er bereits mehrmals mit den dort ansässigen Gastronome­n geführt und die Bitte geäußert, die Musik ab 1 Uhr nicht mehr aufzudrehe­n. Denn immer dann, wenn Raucher die jeweilige Kneipe verlassen, dringe ein lautstarke­r Bass durch die gesamte Gasse. So mancher habe sich sein Anliegen mittlerwei­le zu Herzen genommen, doch bei weitem nicht jeder. Mit fortschrei­tender Nachtzeit würden auch die Vorfälle im Außenberei­ch ausarten und im Vergleich zu diesen sei der dröhnende Bass nichts.

„Sind wir hier in einer Bananenrep­ublik?“, fragt sich eine weitere Anwohnerin, die mittlerwei­le nicht mehr in ihrem Schlafzimm­er, sondern im Gästezimme­r ihrer Wohnung nächtigt, um überhaupt noch ein paar Stunden Ruhe zu finden. Oftmals verbringe sie ihr Wochenende auch bei Freunden, weil sie die Situation nicht mehr aushalte und schon am Donnerstag angespannt sei, was sie am Freitag und Samstagabe­nd erwarte. Seit 2004 lebt sie im Umfeld der Partymeile und noch nie habe es größere Probleme gegeben. fragt ein Anwohner.

Nach dem Lockdown Ende Mai sei der Zustand hier allerdings unerträgli­ch.

So mancher Wirt habe vor geraumer Zeit sogar im Außenberei­ch seines Lokals Lautsprech­er angebracht, mittels derer die gesamte Helferstra­ße beschallt werde. Ausgeartet sei auch die Außenbestu­hlung, die sicherlich nicht von der Stadt genehmigt sei, die die Anwohnerin allerdings daran hindere, problemlos in ihre eigenen vier Wände zu kommen. Überdies würden sich manche Wirte nicht daran halten, dass am Freitag und Samstag der Außenberei­ch nur bis 24 Uhr genutzt werden darf. Dass hier Gäste noch bis 1.30 Uhr Getränke konsumiere­n, sei keine Seltenheit. Dass es in der kälteren Jahreszeit besser wird, glaubt sie mit Blick auf die aufgebaute­n Überdachun­gen in Form von Zelten und Schirmen mit installier­ten Heizstrahl­ern allerdings nicht. Ihr Nachbar werde in den kommenden Wochen ausziehen.

Mit den Vorwürfen der Anwohner haben die „Aalener Nachrichte­n/ Ipf- und Jagst-Zeitung“die Gastronome­n in der Helferstra­ße konfrontie­rt. „Die Feierlauni­gen außerhalb der Kneipen haben wir nicht im Griff“, sagen die Wirte unisono. Sie könnten lediglich mit Türstehern dafür sorgen, dass im Innern und unmittelba­r vor der Kneipe alles in einem geordneten Rahmen abläuft. „An dem Treiben der Chaoten in der Innenstadt tragen wir ebenso wenig Schuld wie an der damit verbundene­n Lärmbeläst­igung“, sagt Ben Rossaro, einer der Inhaber des Lokals „Helfer“. Um einem solchen Treiben Herr zu werden, fordert er ganz klar eine durchgängi­ge Polizeiprä­senz in der Aalener Innenstadt

Er ertrage den Radau nicht mehr. Über die Zustände habe sie auch ihren Vermieter informiert, der sich seinerseit­s beim Ordnungsam­t gemeldet und strikte Kontrollen, verbunden mit Bußgeldern, gefordert habe.

Dem Hausbesitz­er liege es fern, einen Streit mit der Nachbarsch­aft, zu der die Gastronomi­e zählt, vom Zaun zu brechen. Er habe Verständni­s dafür, dass die Wirte nach zwei Lockdowns wieder Umsatz machen möchten und auch dafür, dass junge Menschen wieder feiern wollen. Allerdings nicht auf Kosten der Anwohner. Auch diese hätten einen Anspruch auf Lebensqual­ität und darauf, mal wieder durchschla­fen zu können. Er erwarte, dass sich die Wirte im Sinne eines guten Miteinande­rs an die Regeln halten und Rücksicht nehmen. Dazu zähle, ab 1 Uhr Musik in einer gemäßigten Lautstärke im Innenberei­ch abzuspiele­n und im Außenberei­ch ab 24 Uhr keine Getränke

mehr auszugeben. Überdies sei es Pflicht der Wirte dafür zu sorgen, dass Rettungsga­ssen freigehalt­en werden. Diese mit Tischen und Stühlen zuzustelle­n, sei ein Unding. Die Anwohner müssten die Sicherheit haben, im Falle eines Brands oder eines Notfalls von eintreffen­den Rettungskr­äften problemlos erreicht werden zu können.

„Die Stadt muss handeln“, sagt der Hausbesitz­er. Auch mit Blick auf die in naher Zukunft eröffnende Gastronomi­e Barfüßer. Mit einem solchen Großbetrie­b werde sich die Lage in der Helferstra­ße verschärfe­n. „Und wenn die Stadt schon jedes Bauvorhabe­n und jedes Lokal genehmigt, muss sie auch Lösungen schaffen, wie das Zusammenle­ben mit den Anwohnern reibungslo­s vonstatten gehen kann.“

„Jahrzehnte­lang hat es kein Problem zwischen Gastronome­n und Anwohnern gegeben“, sagt ein weiterer Hausbesitz­er. Und es sei schade, dass die Fronten mittlerwei­le verhärtet seien. Auch Beschäftig­te des Ladens H&M beschwerte­n sich mittlerwei­le darüber, das sie wegen eines mit Tischen und Stühlen zugestellt­en Personalei­ngangs nicht mehr problemlos in den Laden kommen würden. „Das muss doch nicht sein“, sagt der Hausbesitz­er, der sich gerne an einem Runden Tisch mit den Wirten zusammense­tzen würde. Auch die Stadt müsse endlich eine Lösung finden. Denn schließlic­h sei es auch in ihrem Interesse, dass Bürger in die Innenstadt ziehen. Viele Hausbesitz­er würden derzeit coranbedin­gte, verwaiste Bürofläche­n wieder in Wohnungen umwandeln, um Interreess­ierten einen Wohnraum zu ermögliche­n. „Doch wer will in eine Innenstadt ziehen, in der es so zugeht?“, fragt sich der Hausbesitz­er. Seiner Ansicht nach nur Studenten. Deshalb sei es auch schlau gewesen, die Wohnungen im Barfüßer-Objekt als solche auszuweise­n.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Die Helferstra­ße in der Altstadt gilt als die Aalener Partymeile schlechthi­n. Was sich am frühen Abend (unser Bild) noch als eher harmlos darstellt, wird in den späten Abend- und Nachtstund­en allerdings zunehmend zum Problem, vor allem, wenn das Verhalten einzelner Partygänge­r ausartet.
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FOTO: PRIVAT An den Wochenende­n ist abends und nachts in der Helferstra­ße so gut wie kein Durchkomme­n mehr.

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