Wo Millionen baden gehen
Jeder Deutsche geht durchschnittlich sechsmal im Jahr in ein Schwimmbad – Der Betrieb bleibt dennoch ein Zuschussgeschäft – Und jetzt wird auch noch das Gas knapp
AALEN - Ein Summen liegt in der Luft, das Licht ist schummrig. Kessel, Hebel, Rohre füllen den fensterlosen Raum. Ein wenig wie im Bauch eines Schiffes, findet Reinhold Michelberger. Nur, dass das Wasser nicht unter seinen Füßen ist, sondern über seinem Kopf.
Michelberger steht im Technikraum des Hallenbades von Aalen, er verantwortet die Bäderbetriebe der Stadtwerke. Damit ist er in der Kreisstadt des Ostalbkreises zuständig für zwei Freibäder, ein Hallenbad, eine Therme und die Baustelle für ein neues Kombibad. „Ein Schwimmbad“, sagt Michelberger, nachdem er die Funktionsweise von Pumpen und Filteranlagen im Keller des Hallenbades erklärt hat,
„ist vor allem ein technischer Betrieb“.
Die etwa zehn Badegäste, die ein Stockwerk weiter oben, über Michelbergers Kopf, gerade das 25-Meter-Becken nutzen, bekommen davon wenig mit. Ein Sportler mit Schwimmbrille pflügt zügig durchs Wasser, die meisten aber ziehen gemächlich eine Bahn nach der anderen. Das Bad ist eine große, lichte Halle, ein Zweckbau aus dem Jahr 1963. Eine Glasfront gibt den Blick frei auf die Hügel hinter der Stadt und auf das Finanzamt. Eine Wand ist mit Meereswellen bemalt, ein paar Stauden bringen etwas Grün in den Raum. Die Atmosphäre wirkt schlicht, aber nicht ungastlich.
Oben Sport und Entspannung, unten brummende Technik: Von dem, was ein Schwimmbad ausmacht, sehen Gäste nur die eine Hälfte – Michelberger beschäftigt vor allem die andere. Und wer als Stadtkämmerer oder Gemeinderat Verantwortung trägt für Bau und Unterhalt einer Badeanstalt, blickt womöglich noch einmal anders auf die Schwimmbecken: Mit dem Wissen nämlich, dass man hier sehr leicht sehr viel Geld versenken kann.
6000 Hallen- und Freibäder listet der „Bäderatlas“für Deutschland auf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Einige wenige private Badelandschaften mit ausgefeiltem Wellness- oder Hotellerieangebot und hohen Eintrittspreisen machen Gewinn. Der ganze große Rest schreibt rote Zahlen. Dabei tritt dort jeder Bundesbürger rechnerisch sechsmal im Jahr ans Kassenhäuschen. Doch für jeden einzelnen Gast musste eine Kommune oder ein Stadtwerk in Vor-CoronaZeiten etwa fünf Euro draufzahlen, im Corona-Jahr 2020 stieg dieser Betrag auf fast elf Euro an, heißt es von der Deutschen Gesellschaft für das Bäderwesen (DGfdB).
Auch für die Stadtwerke Aalen ist das Hallenbad ein Verlustbringer. „Die Kosten können zu 30 bis 35 Prozent gedeckt werden“, berichtet Michelberger. „Der Rest muss zugeschossen werden.“Die Idee, dass die Stadtwerke das Minusgeschäft quersubventionieren durch die Einnahmen beim Verkauf von Strom und Gas, die will Michelbergers Kollege Igor Dimitrijoski, Unternehmenssprecher der Stadtwerke, so nicht stehen lassen. „Wenn der Strom- oder der Gaspreis kalkuliert wird, spielen die Bäder keine Rolle“, betont er. „Das ist komplett getrennt.“Dimitrijoski formuliert es lieber so: „Wenn Energieversorger keine Bäder betreiben, dann haben sie für ihre Eigentümer entsprechend höhere Gewinne.“Was der Bäderbetrieb die Stadtwerke im Jahr kostet, will er aber nicht sagen.
Wohl aber, wie sich die Ausgaben aufteilen. Der größte Einzelposten sind die Kosten fürs Personal – für Aalen beziffert Michelberger diesen Anteil auf 40 Prozent. Das ist „scharf kalkuliert“, betont der Schwimmbadchef. So führt beispielsweise an Vormittagen nur eine Schwimmmeisterin Aufsicht im Hallenbad, während es nachmittags zwei sind. Das Dreimeterbrett bleibt deswegen vormittags geschlossen. Die Badegäste, die zu dieser Tageszeit eher im Rentenalter sind, erwecken nicht den Eindruck, als ob ihnen deswegen etwas fehlen würde.
Der zweite Punkt, der den Betrieb eines Schwimmbades so teuer macht, sind dann schon die Energiepreise. In Aalen machen sie 20 Prozent der laufenden Kosten aus. Die restlichen Ausgaben gliedern sich auf in Ersatzteile, Reparaturen, Instandhaltungskosten. Hinzu kommt die Abschreibung von Investitionen.
Wobei der Anteil der Energiekosten angesichts des Krieges in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf die Gasversorgung eher steigen dürfte. Denn mit Gas werden viele Bäder beheizt. Oder eben auch nicht: In Weingarten (Landkreis Ravensburg) beschloss der Gemeinderat, das Badewasser im örtlichen Freibad in diesem Sommer gar nicht zu temperieren, statt 24 Grad wird das Wasser wohl nur etwa 16 Grad warm sein. „Der Bodensee wird schließlich auch nicht aufgewärmt“, hatte ein Gemeinderat in der entscheidenden Sitzung argumentiert.
Andernorts dürfte es ebenfalls kühler werden, zumindest etwas. Eine Senkung der Wassertemperatur von zwei Grad bei gleichzeitiger Erhöhung der Luftfeuchtigkeit auf 64 Prozent ist nach Ansicht von Michael Weilandt geeignet, den Energieverbrauch in Hallenbädern um ein Viertel zu senken. Weilandt ist stellvertretender Geschäftsführer des Bäder-Fachverbands DGfdB. Im April hat er den Leitfaden „Schwimmbäder in der Energiekrise“veröffentlicht. Dass die Bäder nach Corona jetzt wegen der Gaspreise gleich noch einmal schließen müssen, will Weilandt vermeiden. Er weiß aber auch, dass bei allzu kühlen Temperaturen die Leute nicht mitziehen: „Die Kunden schwimmen gern im warmen Wasser und mit kaltem Kopf.“Auch wenn es energetisch noch so unsinnig ist. Denn die Verdunstung an der Wasseroberfläche ist der größte Energiefresser in jedem Pool. Ein beheiztes Ganzjahres-Außenbecken kostet, auf den Quadratmeter gerechnet, so viel Energie wie hundert gut gedämmte Einfamilienhäuser, sagt Weilandt.
Kein Wunder, dass man auch in Aalen auf die Idee kam, ein Außenbecken zu schließen. Nicht im alten Hallenbad, sondern im Vorzeige-Badetempel der Stadt, in den LimesThermen. Der Grund für den Schließungsplan war im vergangenen Winter noch der Besucherrückgang infolge der Pandemie. Einige Tage lang war das Becken, eine optisch schön gestaltete Anlage im Stil eines römischen Atriums, für Besucher gesperrt. Doch im Rathaus war man entsetzt: Das Becken müsse wieder geöffnet werden, forderten Lokalpolitiker die Stadtwerke auf. Um die coronabedingten Umsatzeinbußen abzufedern, war der Gemeinderat zwar zu einer Finanzspritze bereit. Aber nur unter der Bedingung, dass das Außenbecken offen bleibt. In der aktuellen Energiepreis-Diskussion gehören die Aalener nun zu jenen, die die Temperatur in den Schwimmbecken erst einmal stabil halten wollen. Die Frage werde zwar geprüft, sagt Betriebsleiter Michelberger. Aber: „Wir wollen unseren Kunden Komfort anbieten.“
Komfort – das ist nicht nur bei der Badetemperatur ein Thema. Das Aalener Hallenbad wird kommendes Jahr 60 Jahre alt. Zum Zeitpunkt seiner Eröffnung war es auf der Höhe der Zeit. Im Angebot waren damals auch Wannenbäder, denn längst nicht jeder Stadtbewohner verfügte in der Nachkriegszeit über ein eigenes Bad. Die Wannen sind längst abgebaut, das Hallenbad inzwischen in die Jahre gekommen.
Das ist nicht untypisch. Laut Umfragen von 2016 und 2018 ist die Hälfte der deutschen Bäder sanierungsbedürftig. Die notwendigen Investitionen wurden auf 4,5 Milliarden Euro beziffert. Die Zahlen beziehen sich auf den Stand vor Corona. Inzwischen dürften einige Schwimmbadbetreiber die erzwungenen Schließungen für Sanierungsarbeiten genutzt haben. Das Grundproblem aber bleibt und stellt viele Kommunen vor immense Herausforderungen. „Es müssen zusätzliche Investitionen getätigt werden. Dazu sind die Städte nicht alle in der Lage“, sagt Norbert Brugger, der als Dezernent beim baden-württembergischen Städtetag unter anderem für das Bäderwesen zuständig ist. Er verweist auf den Koalitionsvertrag von Grünen und CDU in Baden-Württemberg. Im Kapitel zu Gesellschaft und Integration heißt es dort: „Wir setzen uns für eine gute Bäderinfrastruktur ein“. Aus Bruggers Sicht kann das nur bedeuten, dass das Land ein spezielles Förderprogramm auflegen sollte, mit dem es den Kommunen beim Bau und der Sanierung von Schwimmbädern unter die Arme greift.
Das für die Sportförderung zuständige Kultusministerium sieht das nicht ganz so. Auf Anfrage listet es zwar eine ganze Reihe von Förderprogrammen auf, die vor allem Schülern und sogar Kindergartenkindern das Schwimmen näherbringen sollen. In welchen Schwimmbecken dieses Heranführen ans Element
Wasser stattfinden soll, dafür sieht sich das Ministerium eher nicht zuständig. „Grundsätzlich haben die Städte und Gemeinden als Schulträger die für die Schule erforderlichen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen“, teilt ein Sprecher mit – das gelte auch für Bäder, in denen der Schwimmunterricht stattfinden könne. Der Neubau von Schwimmbädern sei „eine kommunale Selbstverwaltungsangelegenheit“.
Nicht nur aus Bruggers Sicht können viele Kommunen das aber nicht stemmen. Auch die oppositionelle SPD drängt auf mehr Engagement des Landes. „Vielen Kommunen fehlt schlichtweg das Geld, um ihre Hallenund Freibäder in Schuss zu halten und einen ordnungsgemäßen Betrieb zu gewährleisten“, sagt Gernot Gruber, der in der SPD-Landtagsfraktion für Sportpolitik zuständig ist. In den letzten Haushaltsverhandlungen habe seine Partei 15 Millionen Euro gefordert, um Sanierung und Modernisierung von Bädern mit 20 Prozent und maximal 250 000 Euro pro Bad zu bezuschussen. In manchen Bundesländern gibt es solche Programme, Bayern beispielsweise stellt seinen Kommunen dafür jährlich 20 Millionen Euro bereit.
Aalen hat sich auch ohne ein solches Förderprogramm an einen Neubau gewagt. Auf dem Gelände eines alten Freibades soll ein Kombibad mit Hallen- und Außenbecken entstehen. Die Investitionssumme beläuft sich aktuell auf 54 Millionen Euro. Nach den Worten von Stadtwerke-Bäderchef Michelberger entfallen beim Neubau eines Hallenbades allein 60 Prozent auf Gebäude- und Badewassertechnik – auch das erklärt, warum es manchen Städten schwerfällt, den Neubau eines Schwimmbades alleine zu finanzieren. Zumal der Verschleiß hinzukommt. Während Michelberger etwa für Rohrleitungen und Filtertechnik eine Lebensdauer von 40 Jahren ansetzt, muss beispielsweise die Lüftungstechnik nach 25 Jahren erneuert werden, die Heizungstechnik nach 25 Jahren. All das kostet Geld.
Im Fall des neuen Aalener Kombibades geht es aber darum, überhaupt erst einmal den Rohbau zu stemmen. Gut möglich, dass die 54-MillionenEuro-Marke nicht das Ende der Fahnenstange ist. Zuletzt sind Baufirmen von dem Projekt abgesprungen, weil ihnen die Kostenkalkulation zu riskant wurde. Ob der geplante Eröffnungstermin 2025 zu halten ist, scheint offen.