Spinner, Revolutionär, Innovator
Mit Tesla und Space X hat Elon Musk die Wirtschaft verändert – Doch was will der reichste Mensch mit Twitter?
WASHINGTON - Die Krönung Elon des Ersten fand im Stillen statt. Genauer gesagt in einer Mitteilung an die Börsenaufsicht SEC im März 2021. Darin schrieb der Chef des weltgrößten Herstellers von Elektroautos, fortan trage er nicht mehr den Titel „CEO“, sondern „Technoking of Tesla“. Das war klassisch Elon Musk, der in der Woche seiner Krönung an einem einzigen Tag seinem Vermögen 25 Milliarden Dollar hinzugefügt hatte.
Menschen, die Musk kennen, sehen in dem Akt mehr als einen Scherz des reichsten Mannes der Welt. Tatsächlich handelt es sich um ein Stück Selbstoffenbarung eines Menschen, der oft so auftritt wie ein offenes Buch, den meisten in seiner Widersprüchlichkeit aber ein Rätsel bleibt.
Jüngstes Beispiel ist sein Verhalten bei der angekündigten Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter für 44 Milliarden US-Dollar. An einem einzigen Tag schaffte es Musk, mit seinen Tweets am 13. Mai, Experten, Investoren und Beteiligte komplett zu verwirren. In einer ersten Kurznachricht sprach er mutmaßlich falsche Angaben zum Anteil der unechten Konten des Übernahmekandidaten an. Der Deal sei „vorläufig auf Eis gelegt“, beschied der Technoking. War der Zukauf nur so eine Idee? Hatten die skeptischen bis negativen Reaktionen im TwitterUniversum dem Heißsporn kalte Füße verpasst? Oder versuchte er bloß, den Kaufpreis von 54,20 Dollar je Aktie nach unten zu verhandeln?
Wenn das Musks Ziel war, hatte er am Dienstagmorgen ein paar zusätzliche Argumente. Hartnäckig kam er auf das Thema gefälschter Konten zurück. Er selbst gehe davon aus, dass 20 Prozent der 229 Millionen Konten nicht echt seien. „Man kann nicht den gleichen Preis für etwas zahlen, das viel schlechter ist als behauptet“, machte Musk bei einer Konferenz in Miami klar. Ein cleveres Argument, das Twitter-Chef Parag Agrawal schlecht entkräften kann. Denn bei der Anmeldung zu Twitter müssen sich Nutzer nicht identifizieren. Mangels anderer Kaufangebote hat der gebürtige Südafrikaner den Konzern mit dem blauen Piepmatz im Logo so weit in die Ecke manövriert, dass er sich am Ende gezwungen sieht, einen kräftigen Discount einzuräumen. Jedenfalls sieht es wenig danach aus, dass Musk die Strafe von einer Milliarde Dollar zahlen wird, wenn der Deal nicht zustande kommt.
Traurig wären nur wenige Nutzer, die eine Alleinherrschaft des Technokings im Twitter-Reich fürchten. Zumal er bereits angekündigt hat, den Bann Donald Trumps nach dem Sturm dessen Anhänger auf den Kongress vom 6. Januar 2021 rückgängig machen zu wollen. Dies sei „eine moralisch falsche Entscheidung“gewesen und „extrem närrisch“obendrein. Der Bann habe nichts dazu beigetragen, Trump zum Schweigen zu bringen.
Tatsächlich erreichte der Ex-Präsident bei Erhebungen von Unternehmen, die Relevanz und Präsenz von Nutzern in den Netzwerken messen, zuletzt ein Fünfjahrestief. Statt dem Ausschluss auf Lebenszeit will Technoking Musk eher Auszeiten verhängen, „illegale“Inhalte unsichtbar machen und Beiträge unterbinden, „die zerstörerisch für die Welt“oder „verkehrt und schlecht“sind. Dass er Trumps Aktivitäten dieser Kategorie nicht zuordnet, irritiert für einen, der früher einmal sechs Stunden Schlange stand, um Barack Obama im Wahlkampf die Hand zu schütteln.
Neuerdings gibt sich der Technoking als Republikaner zu erkennen. Die US-Demokraten seien zur „Partei der Spaltung und des Hasses“geworden. Er verweist auf seiner Meinung nach dort dominierende selbsternannte Verteidiger von immer abstruseren Minderheitenrechten als Begründung. „Deshalb kann ich sie nicht mehr unterstützen und werde die Republikaner wählen.“
Es ist einer der vielen Widersprüche in der Gedankenwelt des libertären Einzelkämpfers, der wenig Lust hat, sich anderen gegenüber zu rechtfertigen. Weshalb er schon einmal vorhatte, Tesla von der Börse zu nehmen und in ein privates Unternehmen umzuwandeln. Genau das kündigte er bei einer erfolgreichen Übernahme von Twitter an. Als Eigentümer läge es in seinem Ermessen, wer twittern darf und wer nicht.
Deshalb ist die Mitteilung an die SEC nicht nur ein Scherz. Wie ein absolutistischer Herrscher setzt sich Musk die Krone des Technoking von Tesla selbst auf. Dabei versteht sich der exzentrische Milliardär mit einem geschätzten Vermögen von 267 Milliarden US-Dollar als aufgeklärter Herrscher, der nicht weniger als die
Menschheit retten will. „Was ich mache, muss einen Nutzen für die Welt haben“, postulierte Musk in einem seiner seltenen Interviews mit dem amerikanischen Fernsehsender PBS im Jahr 2007. Das war lange bevor er Tesla zum wertvollsten Automobilunternehmen der Welt machte und mit Space X der staatlichen Weltraumagentur Nasa den Rang ablief.
Musk wollte nicht nur schöne und schnelle Autos bauen, sondern mithelfen, den Klimawandel zu stoppen. Ein Anspruch, über den damals noch viele lachten. Eine halbe Million produzierte Teslas später musste selbst VW-Chef Herbert Diess öffentlich zugestehen: „Elon Musk ist ein Innovator, der uns vorwärtstreibt.“Musk Biograf Ashlee Vance macht neben Musks genialem Verständnis komplexer technischer Sachverhalte dessen eisernen Willen für seinen Erfolg verantwortlich. „Er hört nicht auf, bis er hat, was er will.“Davon können viele ein Lied singen, die mit ihm aneinandergeraten sind. Beispiel Tesla Gigafactory in Grünheide vor den Toren Berlin. Umweltbedenken über den hohen Wasserverbrauch des Werks wischt er brüsk zur Seite. „Grundsätzlich ist das keine trockene Region, ansonsten würden hier kaum Bäume wachsen“, merkte er keck an, während er auf Grundlage provisorischer Baugenehmigungen im Eiltempo Fakten schaffte.
Nur einmal ist es anderes gelaufen. Damals, als sein Partner bei PayPal, Peter Thiel, ihn aus dem Geschäft drängte. Seitdem strebt Musk in seinen vielen Unternehmungen die Alleinherrschaft an. Er sicherte sich die Mehrheit bei Tesla und Space X und besetzte die Führung der Unternehmen mit loyalen Gefolgsleuten. Besonderes Kennzeichen des inneren Zirkels um den Technokönig – Geduld und Gefolgschaft. „Wenn Elon etwas sagt, ist es besser innezuhalten, statt loszulegen“, sagt Gwynne Shotwell, die für die Raketenentwicklung bei SpaceX zuständig ist. „Klappe halten und nachdenken, wie das umzusetzen ist. Dann öffnen sich Wege, etwas zu erreichen.“
Die Besiedlung des Mars ist eine dieser Visionen, die Musk wie besessen seit Kindheitstagen verfolgt, als er Science-Fiction-Romane verschlang. Musk nahm sich vor, es der Weltraumbehörde zu zeigen. Er wusste, dass er dafür viel Geld benötigen würde. Schritt für Schritt arbeitete er darauf hin. Er baute eine Rakete, die den Orbit erreichte, konstruierte ein Shuttle zur Internationalen Raumstation und schießt Satelliten zu einem Bruchteil der einstigen Kosten ins All. Der Mars kommt näher. Ein Zufluchtsort der Menschheit vor Klimakatastrophen und Atomkrieg.
Heute lacht niemand mehr über den Technoking, der erst die Automobilindustrie und dann die Raumfahrt revolutioniert hat. Mit seinem Bezahlsystem PayPal setzte er Impulse in der Finanzindustrie, mit Solarcity will er einen Massenmarkt für erneuerbare Energien im Wohnbereich erschließen, und mit Neuralink arbeitet er an einer Schnittstelle zwischen menschlichem Gehirn und softwaregesteuerter Computersysteme.
Für den kosmischen Scherzbold reiht sich Twitter in seine Vision ein, die Menschheit zu retten. Den Kurznachrichtendienst betrachtet Musk dabei als Marktplatz der freien Rede, mit der auf Erden die Demokratie gesichert werden soll. Auf die Frage, warum er so viel Energie auf Twitter investiere, sagte Musk. „Weil es Spaß macht.“Wie zum Beweis zeigt sein Twitter-Profil die Planeten, nach denen er strebt. Darunter stellt er sich vor als Elon Musk, „Technoking und Eroberer des Mars“.