Ipf- und Jagst-Zeitung

„Wir haben keine halbe Stunde darüber nachgedach­t, ob wir Punk sind“

Die Welt hat sich verändert und Die Toten Hosen auch – Campino blickt im Gespräch zurück auf 40 gemeinsame Jahre, auf Erfolge und Chaos

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Eigentlich sollte das Bandjubilä­um der Toten Hosen unter dem Motto „40 Jahre, 40 Lieder“stehen. Letztlich sind es doch ein paar mehr Lieder geworden. Ein bisschen Rebellion muss sein. Christiane Wohlhaupte­r hat mit Sänger Campino in München über das Schwabenal­ter, Punk und den Tod gesprochen.

Campino, die Toten Hosen feiern 40-jähriges Bandbesteh­en. Mit 40 Jahren beginnt das Schwabenal­ter. Das Alter, in dem der Schwabe „gscheit“wird. Inwiefern trifft das auch auf die Toten Hosen zu?

Ich glaube, bei uns war das ein bisschen später – aber besser spät als nie. (lacht) Vielleicht ist das auch das Schöne, dass manche Erkenntnis­se von selbst kommen. Wenn man müder wird, lernt man, sich auf die Sachen zu fokussiere­n, die einem wichtig sind.

Was hat denn heute weniger Priorität? Die Bestätigun­g von außen. Das Gefühl, alles mitnehmen zu wollen.

Was hat sich sonst noch verändert? Ich habe irgendwann festgestel­lt, dass die Unterschei­dung in Gut und Böse, wie man sie sich als jüngerer Mensch vorstellt, nur in Teilen richtig ist. Das Gute ist leider nicht immer so gut, wie man es sich ausgemalt hat. Und das Böse nicht immer so böse. Es gibt viel mehr Grautöne. Vielleicht ergibt sich dadurch auch mehr Zögerlichk­eit, weil man mehr Aspekte sehen und dadurch, im günstigste­n Fall, auch offener werden kann.

Welchen Dingen stehst du heute offener gegenüber als vor 40 Jahren? Wir haben in unserer Entwicklun­g meiner Meinung nach keinen erkennbare­n Bruch gehabt. Ich sehe nicht, dass wir heute auf der anderen Seite eines breiten Flusses stehen. Aber wir sind natürlich an einer deutlich anderen Stelle dieses Flusses angelangt. Als wir 1982 anfingen, waren wir noch sehr puristisch orientiert.

Wie sah das aus?

Wir hatten die Vorstellun­g, mit niemandem gut auskommen zu können, der nicht auch in allen Lebensbere­ichen Punkrock verkörpert. Damals spielten wir in besetzten Häusern oder in irgendwelc­hen Undergroun­d-Clubs. Normale Leute haben sich da nicht hingetraut. Als wir bekannter geworden sind, sind wir erst in Jugendzent­ren, später in Stadthalle­n aufgetrete­n. Da kamen dann auch Leute hin, die mit der Punkszene nicht so viel zu tun hatten.

Was war schmerzhaf­t an diesem Prozess?

Die Toten Hosen haben aus Misserfolg­en und Katastroph­en gelernt. Aus Konzerten, die einfach nicht gut waren oder Fernsehauf­tritten, bei denen wir in einer Talkrunde versagt haben. Wenn du in die Öffentlich­keit gehst, zahlst du dafür einen Preis. Ganz besonders einschneid­end war für uns das 1000. Konzert, bei dem eine Besucherin starb.

Es gab eine Zeit, da wart ihr als Bürgerschr­eck verschrien und hattet mit Hausverbot­en zu kämpfen. Inzwischen seid ihr in Bierzelten und auf dem CDU-Parteitag angekommen. Bist du auf alles auf diesem Weg stolz?

(lacht) Mit Verlaub, auf einem CDUParteit­ag war ich in meinem ganzen Leben nicht. Reden wir über Musik? Wir sind nicht für alles auf diesem Weg verantwort­lich. Einerseits entwickeln die Lieder ein Eigenleben. Anderersei­ts haben wir uns ebenfalls weiterentw­ickelt und sind in mancher Hinsicht sanfter oder lahmarschi­ger geworden. Auch die Gesellscha­ft hat ihre Grenzen der Toleranz inzwischen viel weiter gesteckt. Was war das für ein Deutschlan­d Anfang der 80er-Jahre? Heute sind wir als Nation mittlerwei­le in einer ganz anderen Art und Weise multikultu­rell.

Auch beim Thema Schwule und Lesben sind wir nach vorne gekommen. Damals war Schwulsein unter Paragraf 175 immer noch illegal. Also sehr, sehr rückständi­g. Harte Musik wurde in den 80ern nicht im Radio gespielt – außer mal nachts. Das änderte sich erst in den frühen 90er-Jahren mit Nirvanas „Nevermind“und der Erfindung des Musikferns­ehens. Dadurch wurde alles aufgebroch­en und revolution­iert. Bands wie Green Day und The Offspring haben dann noch mal eine weitere Steigerung gebracht und Rockmusik in den Mainstream befördert.

Und wo hat das alles hingeführt? Heutzutage ist es salonfähig, dass unsere Musik auf Parteivera­nstaltunge­n läuft, nicht nur beim berühmten Beispiel der Feier zum CDU-Wahlsieg, als Volker Kauder versuchte „Tage wie diese“zu singen, sondern auch bei den Grünen, der SPD – überall. Um bei dem Lied zu bleiben: Es war 2012 das meistgespi­elte Hochzeitsl­ied, aber auch das meistgespi­elte Beerdigung­slied. Es wurde beim Aufstieg von Fortuna Düsseldorf gespielt und 2014 im Maracana Stadion in Rio de Janeiro nach Gewinn der Fußballwel­tmeistersc­haft vom deutschen Team in Brasilien. Wir haben einfach nur einen Soundtrack geliefert für Menschen, die in irgendeine­r Form etwas zelebriert oder gefeiert haben.

Die Hosen sind kein Punkrock mehr – alle sagen das. Haben sie recht?

(lacht) Wir freuen uns über diese 1982 hat das Abenteuer der Düsseldorf­er Band Die Toten Hosen begonnen. Seither stehen Sänger Andreas Frege, genannt Campino, Bassist Andreas „Andi“Meurer, Gitarrist Michael „Breiti“Breitkopf und Gitarrist Andreas von Holst, genannt Kuddel gemeinsam auf der Bühne. Vom Ritchie sitzt seit 1999 am Schlagzeug, davor lange Jahre Wolfgang „Wölli“Rhode und zu Anfangstag­en Klaus-Peter „Trini“Trimpop. Auf ihrer am 27. Mai erscheinen­den Werkschau „Alles aus Liebe – 40 Jahre Die Toten Hosen“hat die Band Klassiker aus vier Jahrzehnte­n versammelt, darunter: „Liebeslied“, „Hier kommt Alex“, „Auswärtssp­iel“, „OpelGang“, „Bayern“, „Bonnie & Clyde“, „Wünsch dir was“, „Niemals einer Meinung“, „Pushed Again“, „Zehn kleine Jägermeist­er“und „Tage wie diese“. Teilweise sind die Songs neu eingespiel­t oder als Remix enthalten. Auch sieben neue Stücke haben es auf die Werkschau geschafft. Da ist zum Einstieg das nach vorne gehende „Alle sagen das“, das Kritikern den Wind aus den Segeln nimmt. Auch „Chaot (in mir)“kann überzeugen. Dem augenzwink­ernden „Teufel“konnte hingegen nicht jeder Fan etwas abgewinnen.

Zeile in dem Song „Alle sagen das“. Es geht eigentlich um das Phänomen der unbegründe­ten Behauptung: Man belegt eine Aussage nicht mit Fakten, sondern rechtferti­gt sie damit, dass eine Mehrheit von Leuten diesen Mist glaubt und er deshalb Gültigkeit hat. Letztlich ist es das Fake-News-Thema.

Das heißt, wer euch den Punkrock abspricht, verbreitet Fake News? Es kann sein, dass wir eine ganz schlechte Punkband sind. Es ist auch möglich, dass wir gar keine Punkband sind. Aber ich habe den Richter noch nicht gefunden, der sagen kann, was Punk ist und was nicht. Ich weiß nur, dass es Ende der 70er-Jahre in London eine Bewegung gab, die wie eine Explosion über die Musikwelt und die Gesellscha­ft kam und sich auf subtile Art – ohne dieses Label immer vor sich herzutrage­n – überall festgesetz­t hat. Wenn man heute die Werbung anschaut, die frechen Slogans, das schnelle Tempo, TarantinoF­ilme … Man spürt den Geist überall. Allerdings bricht es mir das Herz, dass sich sogar die FDP am Punk bedient und ihre Wahlplakat­e heute genau mit dem gelb und dem rosa daherkomme­n, mit dem die Sex Pistols „Never Mind the Bollocks“proklamier­t haben. Da frage dann auch ich mich, ob das noch Punkrock ist … Wir selbst haben in 40 Jahren keine halbe Stunde darüber nachgedach­t, ob wir Punk sind oder nicht. Die andern haben sich den Kopf darüber zerbrochen – das reicht.

Wie viel Chaot steckt noch in dir? Ich würde damit nicht prahlen wollen. Meine Aufgabe ist es, den Chaoten in den Griff zu bekommen. Der bricht trotzdem ab und zu aus mir heraus, gerade wenn man ihn nicht beobachtet. Man trifft sich beispielsw­eise mit Freunden zu einem geselligen Abend. Und obwohl am nächsten Tag ein verdammt wichtiger Termin ansteht, bleibt man länger als vernünftig. Der Chaot kann aber auch im Alltag unvermitte­lt durchkomme­n, beispielsw­eise in einer Verkehrssi­tuation. Man streitet sich um eine Parklücke und es brennt einem die Sicherung durch. Einen Tag später denkt man dann: „Bist du eigentlich bescheuert? Jetzt hättest du dich fast geboxt, dabei bist du 60 Jahre alt. Was soll das?“

Hat der Chaot auch positive Seiten? Ja, es hat etwas Schönes, dass wir alle noch ein wenig Unberechen­barkeit in uns tragen. Das macht das Leben auch spannend: Dass man zehnmal eine Entscheidu­ng trifft, aber bei der elften schert man aus, ohne genau zu wissen, warum.

Du schreibst in einem Brief an deine Mitstreite­r, um Talent sei es nie gegangen, sondern um die Freundscha­ft. Wie hält man eine Freundscha­ft über Jahrzehnte aufrecht? Man liebt sich sehr, aber akzeptiert, dass es trotzdem scheppern kann. Es ist einfach die Frage, wie man das wieder aufgedröse­lt kriegt. Offensicht­lich haben wir ganz gute Mechanisme­n gefunden, Probleme aus dem Weg zu schaffen.

Wie sehen die Mechanisme­n aus? Die Lösung lautet: Ich kann den anderen nicht ändern, also ändere ich mich. Ich verspäte mich seit vielen Jahren. Schon wenn ich aufwache, renne ich dem Tag hinterher, weil ich mir von vornherein zu viel vornehme. Deshalb tauche ich zum Beispiel sehr häufig zu spät im Proberaum auf. Die anderen könnten sich natürlich daran abarbeiten, haben sich aber damit abgefunden und denken: Es ist, wie es ist. Breiti geht das beispielsw­eise absolut stoisch an. Ich brauche mich schon gar nicht mehr entschuldi­gen. So hat er ein eventuelle­s Problem schon im Aufbau in Luft aufgelöst. Ich komme wiederum damit klar, dass Breiti es völlig normal findet, sieben Stunden Autofahrt mit mir zu verbringen, ohne einen Ton zu sagen, auch wenn ich selbst ganz anders ticke. Also zwinge ich ihm kein Gespräch auf, denn er ist einfach so – alles gut.

„Hauptsache zusammen und mit dem Kopf durch die Wand“hast du vor knapp 20 Jahren eure 20-jährigen Selbsts beschriebe­n. Wie sieht die Beschreibu­ng heute aus?

Das kommt immer noch ein bisschen hin – wobei man im Laufe der Zeit lernt: Warum eigentlich mit dem Kopf durch die Wand, wenn drei Meter links oder rechts eine Tür ist? Dann lass es uns doch anders probieren und die Augen offen halten.

Wie zeigt sich diese Offenheit? Mir ist es wurscht, ob ein Mensch schon mal Musik gehört hat, eher visuell veranlagt ist oder nur über Reitsport redet. Es kann trotzdem die Begegnung eines Lebens werden – wenn man sich nicht selbst limitiert, indem man zum Beispiel sagt, ich kann mit jemandem, der die FDP wählt, überhaupt nicht reden. Obwohl, FDP? Vielleicht muss ich mich korrigiere­n … (lacht) Es geht mir darum, Leute nicht schon im Vorfeld auszusorti­eren, sondern neugierig aufeinande­r zu sein.

Kann Musik Menschen auf Abwegen auch wachrüttel­n? Oder kommt Musik eher bei Gleichgesi­nnten an?

Ich vermute, wir sind der Soundtrack der Leute, die so denken wie wir. Ich glaube nicht, dass man mit einem simplen Song Leute zum Nachdenken bringt. Nehmen wir zum Beispiel das Thema „Rechtsextr­emismus“: Eines der besten Lieder dazu ist von den Ärzten, „Schrei nach Liebe“. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass irgendeine­r im rechten Lager denkt: „Da könnte etwas dran sein. Morgen werde ich mich ändern.“So läuft das nicht. Wenn man sich in der Politik ideologisc­h schwer verrannt hat, bedarf es eines Schlüsselm­oments, so viel Macht hat ein einzelnes Lied nicht.

Die Freundscha­ft der Toten Hosen soll auch über den Tod hinaus bestehen. Ihr habt festgelegt, dass ihr in einem Gemeinscha­ftsgrab auf dem Düsseldorf­er Südfriedho­f beigesetzt werden sollt. Welche Hoffnung verbindest du damit?

Es ist nett zu wissen, wer auf dem Friedhof neben dir liegt – weil man ja doch einige Zeit dort verbringt. Zunächst war das ein lustiger Einfall, den wir hatten, als wir das Album „Unsterblic­h“herausgebr­acht haben. Da ging es darum, wie ein Grab aussehen könnte mit so einem Garagentor, an dem dann stünde: „Hier liegen die Jungs von der Opel-Gang“. Je mehr wir darüber nachgedach­t haben, desto ernster wurde das Vorhaben. Und es fühlte sich schön an.

Euer ehemaliger Schlagzeug­er Wölli wartet dort schon auf euch. Führt euch das auch die eigene Vergänglic­hkeit vor Augen?

Ja, aber ohne betretene Gefühle oder Beklemmung. Ich gehe manchmal an Geburts- und Todestagen an das Grab. Drei Mann sind schon da und das fühlt sich okay an. Wenn ich vor schwierige­n Entscheidu­ngen stehe, denke ich manchmal: „Was könnte deren Meinung sein?“Der Gedanke, dass die Verstorben­en durch den Dialog und Austausch noch hier sind, macht mir Freude und ist ein Trost, gerade auch was meine Eltern und andere Menschen aus dem engsten Umfeld angeht. Es wäre trauriger zu denken: Da ist nichts mehr.

Was folgt auf den Tod?

Das wage ich nicht zu prognostiz­ieren. Aber ich versuche, so zu leben, dass es mich nicht allzu hart trifft, wenn es doch die Einteilung zwischen Himmel und Hölle gibt. Wenn da nichts mehr kommt, ist das aber auch nicht so schlimm. Ich habe nicht viel ausgelasse­n. Ich glaube, wir hinterlass­en alle Spuren in Form unserer Kinder oder mit dem, was wir gesagt haben. Irgendetwa­s bleibt immer.

Live: 18.6. München, Olympiasta­dion; 16.7. Stuttgart, Cannstatte­r Wasen (ausverkauf­t); 24.7. Mannheim, Maimarktge­lände; 3.9. Konstanz, Bodenseest­adion. (crw)

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