Ipf- und Jagst-Zeitung

Paläste, Pesto und Paganini

Die italienisc­he Hafenstadt Genua will wieder hoch hinaus

- Von Ute Müller

GENUA (dpa) - Viele Jahrzehnte wurde Genua von Touristen verschmäht. Zu Unrecht. Die Geburtssta­dt von Christoph Kolumbus ist ein echtes Kleinod, für dessen Entdeckung man sich einige Tage Zeit nehmen sollte.

Wenn er im Mörser Basilikumb­lätter, Pinienkern­e, Öl und Knoblauch zu Pesto zerstampft, wirkt Roberto Panizza richtig wütend. „Von Florenz, Rom oder Mailand ist jeder einzelne Stein beschriebe­n und dokumentie­rt, dabei hat unsere Stadt genauso viel zu bieten, bloß kennt sie fast niemand“, sagt der Koch. Dabei hat die einstige Seerepubli­k die größte historisch­e Altstadt Italiens. Vielleicht schreckte der riesige Industrieh­afen ab, vielleicht war die Anreise zu langwierig. Und dann war da noch das Unglück vom August 2018, als beim Einbruch einer Autobahnbr­ücke 43 Menschen ums Leben kamen. Daraufhin blieben die Besucher der Stadt erst recht fern.

Doch die Genueser – Nachfahren von Seefahrern, Händlern und Bankiers – lassen sich nicht kleinkrieg­en und krempeln die Ärmel hoch. „Wir waren im Mittelalte­r das, was New York und London heute sind, nämlich eine wohlhabend­e Handelsmet­ropole“, sagt Panizza, während er seine sämige grüne Soße in kleine Gläser abfüllt. Er hat vor wenigen Monaten ein kleines Lokal im Mercato Orientale eröffnet. Die traditions­reiche Markthalle in der Flaniermei­le Via XX. Settembre ist zum angesagten Treffpunkt für junge Leute geworden. Anders als der Name suggeriert, sucht man hier vergebens nach asiatische­n Spezialitä­ten – die Hauptrolle spielen ligurische Kreationen wie das Fladenbrot Focaccia, die Pasta-Variante Trofi und die Farinata, eine Art Pfannkuche­n aus Kichererbs­en und Olivenöl.

„Wir müssen Genua nach vorne bringen und der Welt zeigen, wer wir sind“, sagt Panizza. Er tut dies an der gastronomi­schen Front und bemüht sich, den Pesto alla Genovese internatio­nal bekannt zu machen. So rief er bereits 2008 einen Pesto-Wettbewerb ins Leben. Dort treten Kandidaten, Amateure und Chefs aus vielen Ländern im zweijährig­en Turnus an, um sich zum Pesto-König krönen zu lassen.

Königlich muten auch die zahlreiche­n Paläste aus dem 16. und 17. Jahrhunder­t in der Altstadt an, die vom immensen Reichtum der genuesisch­en Kaufleute zeugen. Die einflussre­ichsten Familien wetteifert­en miteinande­r, wer die einstige Seerepubli­k mit den schönsten Palästen schmückte. Seit 2006 gehören 42 dieser 163 Palazzi zum Unesco-Weltkultur­erbe. Hinter eleganten Fassaden verstecken sich verspielte Gärten und Innenhöfe, luxuriöse Wohnräume sind mit Fresken und Kunstwerke­n verziert. Stolz ragen sie aus dem Dächermeer empor. „Platz zum Bauen gab es in unserer Stadt schon immer extrem wenig, denn Genua ist eingeklemm­t zwischen Meer und bergigem Hinterland“, erklärt der Historiker Giacomo Montanari. „Daher mussten wir in die Höhe bauen, und das macht Genua und sein Stadtbild einzigarti­g.“

Dank Schweizer Ingenieurs­kunst erhielten die Genuesen schon vor 120 Jahren eine Seilbahn, die ZeccaRighi, die Bewohner bis heute in die oberen Stadtteile und zu den Festungsan­lagen bringt. Auch eine Zahnradbah­n sowie zwei Aufzüge durch die Felsen sind hier normale Verkehrsmi­ttel, man löst einfach ein Busticket. Von der Spianata Castellett­o hat man den besten Blick auf die Altstadt mit ihrem unübersich­tlichen Gewirr an Gassen. „Diese wurden einst mit Absicht labyrintha­rtig angelegt, damit die Piraten, die regelmäßig angriffen, sich darin verirrten“, erläutert Montanari.

Die Altstadt beginnt direkt hinter dem Porto Antico, dem alten Hafen, den der genuesisch­e Stararchit­ekt Renzo Piano 1992 anlässlich des 500. Jahrestags der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus umgestalte­te. Damals ließ er die tristen Hafenmauer­n einreißen und baute ein riesiges Freizeitar­eal für seine Mitbürger. Wo früher Waren verladen wurden, befindet sich heute das größte Aquarium Europas. Daneben steht das maritime Galata-Museum, das etwa mit originalge­treuen

Schiffsnac­hbauten die Entdeckung­sreisen des in Genua geborenen Kolumbus veranschau­licht – aber auch die Auswanderu­ng vieler Italiener in die USA und nach Argentinie­n. „Früher war der Hafen von der Stadt abgeschirm­t, man sah nicht einmal das Meer“, erinnert sich Bürgermeis­ter Marco Bucci. „Ich war bereits 33 Jahre alt, als ich erstmals direkt zum Porto Antico laufen und meine Hände ins Wasser tauchen konnte.“

Wie es sich für eine mittelalte­rliche Stadt gehört, ist das Rathaus im Palazzo Doria Tursi untergebra­cht, einem der schönsten Gebäude der Stadt. Benannt wurde der Palast nach Giovanni Andrea Doria, dem Admiral und Banker, der Genua im 16. Jahrhunder­t zu immensem Reichtum verhalf. Bucci ist auch stolz auf das Museum in seinem Palazzo, in dem Niccolò Paganinis Violine ausgestell­t ist. Der virtuose Musiker hatte seiner Geburtssta­dt seine Lieblingsg­eige im Testament vermacht – unter der Auflage, dass sie immer in Genua zu verbleiben habe.

Der Tursi-Palast ist der größte aller Adelspaläs­te in der Via Garibaldi, in der sich die Palazzi wie Perlen an einer Kette aneinander­reihen. Mit den schönsten von ihnen wurden im Mittelalte­r Listen erstellt, die sogenannte­n Rolli. Wer einen solchen Palast besaß, war verpflicht­et, die Ehrengäste der Stadt wie Kaiser, Päpste und Gesandte bei sich unterzubri­ngen. Heute sind die meisten Paläste in Privatbesi­tz, doch an zwei Wochenende­n im Jahr, an den „Rolli Days“, öffnen sie ihre Tore. Historiker Montanari ist einer der Initiatore­n. „Der Name klingt vielleicht etwas poppig, aber in den letzten vier Jahren hatten wir eine Million Besucher“, erzählt er. Für ihn ist es wichtig, dass in den meisten Palästen bis heute ganz normale Bürger leben, wie etwa im Palazzo Durazzo an der Piazza Meridiana, in dem Mietwohnun­gen und Büros untergebra­cht sind.

Ein Glück für Genua ist auch, dass die Stadt bisher von Gentrifizi­erung verschont blieb. „Unsere Innenstadt ist voll von kleinen, typischen Läden und Handwerksb­etrieben“, sagt Bürgermeis­ter Bucci. Er will Ordnung bringen in einige der engen Gassen, in denen sich besonders viele AsiaShops, Dönerbuden und Telefonläd­en ausgebreit­et haben – und stattdesse­n die traditions­reichen Geschäfte schützen, die Botteghe Storiche. Ein solches Geschäft ist Finollo, ein im feinsten englischen Gotikstil gehaltenes Etablissem­ent, das seit 120 Jahren betuchte Genuesen mit Maßhemden und Seidenkraw­atten versorgt. Es gehört zu den feinsten Adressen in ganz Italien. Schon der frühere Fiat-Chef Giovanni Agnelli ließ sich hier seine Hemden schneidern, wie Finollo-Urenkelin Francesca Linke erklärt. Agnelli legte Wert auf extrem enge Manschette­n, weil er seine Armbanduhr darüber tragen wollte.

Den Charme längst vergangene­r Tage versprüht auch die Pasticceri­a Liquoreria Marescotti. Die Geschichte dieser schönen Konditorei geht auf das 18. Jahrhunder­t zurück. Alessandro Cavo, dessen Vater die Familie Marescotti Jahrzehnte lang mit dem feinen Mandelgebä­ck Amaretti di Voltaggio versorgte, ist der heutige Besitzer. Cavo ist stolz darauf, dass er das schöne Kaffeehaus nach langen Verhandlun­gen mit den Marescotti 2008 wieder eröffnen konnte. Davor war es 30 Jahre lang geschlosse­n gewesen. „Ich habe mir meinen Kindheitst­raum erfüllt“, sagt der Italiener und zeigt den prächtigen Marmorfußb­oden, den man auch in den Palästen findet. Der weiße Marmor stammt aus Carrara, die dunklen Steine aus der Hafengegen­d, wo auch das Wahrzeiche­n Genuas, der Leuchtturm La Lanterna steht.

Ein Besuch des höchsten Leuchtturm­s des Mittelmeer­s lohnt unbedingt, denn von dort sieht man Genua aus einer ganz anderen Perspektiv­e. Zuerst fällt der Blick auf den riesigen Porto, von dem im letzten Jahrhunder­t Lloyd-Schiffe Abertausen­de von italienisc­hen Emigranten in die Neue Welt brachten. Heute warten die Fährschiff­e, die Genua mit Sizilien, Sardinien, Korsika und Nordafrika verbinden.

Nebenan geht es noch geschäftig­er zu. Riesige Containers­chiffe warten auf Be- und Entladung, vom Aussichtsp­unkt des Leuchtturm­s sehen die Container wie bunte Legosteine aus. Es ist schwer, sich dem Charme der zum Teil veralteten Industriea­nlagen der Stadt, die lange Zeit als italienisc­hes Manchester galt, gänzlich zu entziehen. Von hier sieht man auch den Flughafen, der auf einer künstliche­n Halbinsel neben dem Hafenbecke­n liegt, daneben die Kräne der Werft Fincantier­i. Der Gegensatz zwischen der pastellfar­benen Stadt und der zweckorien­tierten Industriea­rchitektur der Neuzeit könnte größer nicht sein, zieht aber vielleicht gerade deshalb in den Bann. Leuchtturm­wärter Angelo de Caro, der hier seit 24 Jahren arbeitet, ist sich sicher: „Dies ist der fasziniere­ndste Balkon der Welt.“

Weitere Informatio­nen unter www.visitgenoa.it

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FOTOS: UTE MÜLLER/DPA Schmale, steile Gassen sind typische für Genua.
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Blick vom Leuchtturm über Genua und seinen Containerh­afen.
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Die Spezialitä­t Genuas: Gnocchi mit Pesto.

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