Ipf- und Jagst-Zeitung

Gute Politik wäre ein Anfang

- ●» Von Claudia Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Es scheint nicht so richtig zusammenwa­chsen zu wollen, dieses Deutschlan­d, auch 32 Jahre nach der Wiedervere­inigung nicht. Die Menschen im Osten und Westen empfinden nach wie vor unterschie­dlich. Das zeigt sich bei jeder Wahl, das belegt jede neue Umfrage, das wird vor allem in Krisenzeit­en wie jetzt offenbar. Während im Osten bereits wieder Tausende auf die Straße gehen, um gegen die Russland-Sanktionen zu protestier­en, sind im Westen der Republik bislang nur überschaub­are Grüppchen unterwegs. Die Unzufriede­nheit über die explodiere­nden Energieund Lebensmitt­elkosten wächst zwar hier wie dort, in diesem Punkt liegt der Osten aber deutlich vorn.

Jetzt wird den Menschen in den „neuen Ländern“– aus Westperspe­ktive – ja gerne vorgeworfe­n, sie seien undankbar für all die kostspieli­gen Segnungen der Einheit und schlicht unfähig, ihr DDR-geprägtes Misstrauen gegenüber Staat und Regierung hinter sich zu lassen. Doch dieser Vorwurf greift zu kurz. Nicht die Menschen in Ost und West sind so verschiede­n, sondern nach wie vor die Lebensumst­ände. In Bayern und Baden-Württember­g ist es beispielsw­eise leicht möglich, in der Nähe seines Heimatorte­s einen Arbeitspla­tz zu finden. In manchen Gegenden im Osten dagegen nicht. Die Menschen im Osten haben auch weniger Geld auf der hohen Kante, und sie erben im Schnitt weniger. Sie sind selten in Führungspo­sitionen vertreten, an den entscheide­nden Hebeln sitzen die aus dem Westen. All diese Faktoren machen die „Ossis“zwar nicht automatisc­h zu sogenannte­n Wutbürgern, aber manche eben schon. Und Unzufriede­nheit wirkt ansteckend. Was helfen würde, um die teils schlechte Stimmung im Osten, aber auch das Trennende zwischen Ost und West zu überwinden? Gute Politik wäre ein Anfang, so banal es klingt. Beispielsw­eise in schnelles Internet zu investiere­n, damit sich dort, wo es Wohnungen und Platz gibt, auch Unternehme­n und Arbeitskrä­fte ansiedeln. Einheit funktionie­rt nur, wenn sich die Menschen wie eine Einheit fühlen. Dafür braucht es einen Austausch zwischen Nord und Süd und genauso zwischen Ost und West.

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