Wenn die Baulücke leer bleibt
CDU-Landtagsabgeordneter fordert kürzeren Bestandsschutz für ungenutzte Ställe
STUTTGART - Um weniger Flächen zu verbrauchen, sollen Baulücken geschlossen werden: So lautet das vor Jahren von der Politik in Land und Bund gesetzte Ziel. In der Praxis gibt es aber rechtliche Hürden, für die der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Dörflinger radikale Lösungen fordert. Als Beispiel dient ihm der Laupheimer Teilort Baustetten.
Trotz guter Vorsätze versiegelt auch Baden-Württemberg immer mehr Fläche. Im vergangenen Jahr seien im Durchschnitt täglich 6,2 Hektar dazugekommen, hat das Statistische Landesamt jüngst verkündet. Der Flächenfraß liege damit über dem Durchschnitt von 5,8 Hektar der vergangenen fünf Jahre. 14,8 Prozent des Landes seien nun bebaut.
Dennoch herrscht Wohnraummangel. Gemeinden, die im Ortskern Baulücken schließen wollen, haben Probleme. Eines davon: In vielen Dörfern gibt es landwirtschaftliche Betriebe, in deren Ställen zwar keine Tiere mehr gehalten werden. Neubauten müssen wegen des Bundesimmissionsschutzgesetzes dennoch Abstand halten, um Nachbarn unter anderem vor störenden Gerüchen zu schützen. Es könnte schließlich sein, dass der Stall doch wieder genutzt wird.
Die grün-schwarze Koalition im Land wollte diese Blockade lösen. 2019 hat sie die Landesbauordnung geändert. Seitdem haben Ställe nur noch sechs Jahre Bestandsrecht, wenn darin keine Tiere mehr leben. Eine Verlängerung um zwei weitere Jahre ist auf Antrag möglich. Vor allem der Gemeindetag, der die Interessen kleinerer Kommunen vertritt, hatte sich vehement für Änderungen ausgesprochen. Nach anfänglicher Gegenwehr hatte auch der Landesbauernverband eingelenkt. Ortskerne seien schließlich zum Wohnen bestimmt, so das Argument. Die FDP sprach indes von Enteignung und äußerte rechtliche Bedenken.
Nun, 2022, ist Halbzeit der SechsJahres-Frist. Der Gemeindetag hatte den Bestandsschutz schon 2019 als zu umfangreich kritisiert und eine kürzere Frist vorgeschlagen. Denn bislang sei immer noch kein neuer Wohnraum in den Kommunen entstanden, beklagen diese laut Gemeindetagssprecher Christopher Heck.
Der Biberacher Abgeordnete Dörflinger betont: „Das Ziel Innenverdichtung vor Außenentwicklung ist der absolut richtige Ansatz. Wir stehen uns aber selber im Weg, um das Ziel erreichen zu können.“Er fordert von der Regierung, im
Dialog mit den entsprechenden
Akteuren die Übergangsfrist zu verkürzen. Das wünscht sich auch der Gemeindetag und regt an, eine neue Frist nicht erst ab dem Tag gelten zu lassen, an dem die Neuregelung in Kraft tritt, wenn die Ställe etwa schon seit Jahrzehnten leer stehen.
Dörflingers Parteifreundin und Landesbauministerin Nicole Razavi zeigt sich hierfür offen. Ihr Haus sei mit dem Landesagrarministerium dazu im Austausch. „Wir werden uns die Landesbauordnung ganz grundsätzlich anschauen“, vor allem mit dem Ziel des Bürokratieabbaus, so Razavi. Für den Landesbauernverband ist die Sechs-Jahres-Frist indes eine rote Linie, „da die Betriebe hier gegebenenfalls Entwicklungsspielraum brauchen“, betont eine Sprecherin.
Der Laupheimer Ortsteil Baustetten hat noch ein anderes Problem, wie
Ortsvorsteher Dietmar Kögel erklärt. Dort geht es nicht so sehr um leere Ställe, sondern um die, in denen Tiere leben. „Wir haben landesweit die höchste Schweinedichte bezogen auf unsere Einwohner“, nämlich 24 000 Tiere bei 2100 Menschen. Die Folge: „Wir sind in einer Totalblockade.“Die Schweinehalter seien so über den Ort verteilt, dass das Bundesimmissionsschutzgesetz Neubauten fast generell verhindere. „Egal wo jemand bauen möchte, darf er das nicht.“So sei allein in den vergangenen drei Jahren der Bau von 50 neuen Wohneinheiten gescheitert – stets am Geruch der Schweine.
Sichtbarstes Mahnmal hierfür ist wohl die „klaffende Wunde“mitten im Ort, wie Kögel es nennt. Ein altes Gebäude wurde abgerissen, es sollten neue entstehen unter anderem für barrierefreies Wohnen, Nahversorgung und die Ortschaftsverwaltung. Sogar Fördergeld vom Land gab es zur Neugestaltung der Ortsmitte. Für den Abriss und die Renaturierung der Rottum konnte es fließen. Neues Baurecht gab es aber nicht. „Jeder junge Bürger aus Baustetten, der hier nicht bauen kann, fehlt in der Gemeinschaft und im Ehrenamt, wenn er wegzieht“, beklagt Kögel. „Wenn das so weitergeht, werden wir in 20 Jahren ein Geisterdorf.“
Damit Baustetten eine Zukunft hat, wünscht sich Kögel mehr Mut der Behörden beim Erteilen von Baugenehmigungen. „Das Bundesimmissionsschutzgesetz gibt nur Richtwerte vor, das sind keine strikten Grenzwerte.“Gerüche sollten anders behandeln werden als Lärm. „Das eine ist nur eine Belästigung, das andere gesundheitsgefährdend“, sagt er.
Dörflinger sieht das genauso. „Wir diskutieren in Fällen wie Baustetten immer über Landwirtschaft oder Wohnen. Das Ziel muss aber sein, dass man das gemeinsam hinbekommt“, sagt er und setzt sich deshalb ein für eine entsprechende Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Die Beteiligten vor Ort sollten aus seiner Sicht entscheiden dürfen, ob sie trotz möglicher Geruchsbelästigung bauen oder nicht. Denn: „Wenn das so weitergeht, werden wir das Problem von sechs Hektar Flächenversiegelung pro Tag nicht lösen können.“
Der Landesbauernverband sieht das kritisch. „Wenn es möglich wäre, näher an Stallgebäuden zu bauen, darf dies auf keinen Fall zu Lasten der landwirtschaftlichen Betriebe gehen“, betont die Sprecherin. „Schon heute kommt es zu Konflikten zwischen Landwirten und ihrem nachbarschaftlichen Umfeld.“
Dieses Problem sieht auch Ministerin Razavi. „Das Gesetz schützt die Bauern“, sagt sie. Es passiere immer wieder, dass Menschen in ein Dorf ziehen und sich dann beschwerten – oder klagten. „Die Landwirtschaft hat eine Privilegierung, und das ist auch gut so.“Mit ihrer Kollegin im Bund, Bauministerin Klara Geywitz (SPD), habe sie indes über eine Erleichterung für Neubauten auf landwirtschaftlichen Höfen gesprochen. Es müsse möglich sein, dass die Kinder oder Enkelkinder auf einem Hof neu bauen können, damit Bauernfamilien nach einer Übergabe beisammen bleiben können. Der bisherige Ermessenspielraum der Behörden reiche hier nicht. Der Bauernverband lobt Razavis Ansatz, denn nur so hätten Familienbetriebe die Chance, sich weiterzuentwickeln.
„Die Landwirtschaft hat eine Privilegierung, und das ist auch gut so.“
Landesbauministerin Nicole Razavi (CDU)